1955 lag das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Naziherrschaft schon wieder ein Jahrzehnt zurück. Viele Bürger hatten den Schleier des Vergessens über die Vergangenheit und ihr eigenes Verhalten gestülpt. Als die Besatzungssoldaten Österreich nach und nach den Rücken kehrten, konnte ein befreites Land erstmals aufatmen. Fußballerisch hatte sich die Nation freilich schon 1946 vom Deutschen Reich gelöst, sich wieder zu einer Mannschaft zusammengerauft und im Dezember ’46 Frankreich in einem Freundschaftsspiel 4:1 geschlagen. Bis zur Weltmeisterschaft 1954 baute man eine starke Truppe rund um die Weltklassespieler Zeman, Happel, Ocwirk, Hanappi und den Körner-Brüdern auf. Der Unmut anlässlich des dritten Platzes in der Schweiz zeugt von den hohen Erwartungen, die ein Gutteil der Anhänger und auch die Medien zuvor geschürt hatten. Trotzdem absolvierten die Österreicher in der Folge weitere erfolgreiche Länderkämpfe. Im Oktober sollte es neun Jahre später zu einem erneuten Aufeinandertreffen mit der Grande Nation im Wiener Prater kommen. Der Ex-Bundeskanzler und nunmehrige Außenminister Figl sowie weitere offizielle Repräsentanten des Staates wurden erwartet. Das sportliche Messen mit einer ehemaligen Besatzungsmacht war auch eine politische Angelegenheit bei der Figl ein Gesichtsbad nehmen musste. Doch kaum einer wusste, dass der Herr mit Brille und gestrengem Scheitel ein ausgesprochener Fußballconnaisseur und ihm der Termin in der Leopoldstadt deshalb gar nicht unangenehm war. Figl fand die Leistungen vieler Nationalkicker mehr als ansprechend, besonders Wacker-Wien-Stürmer Wagner huldigte er regelrecht.
Nach dem Abspielen der Hymnen schritten Figl und seine Entourage, sowie Vertreter der französischen Republik zur Begrüßung der Mannschaften aufs Feld. Während der französische Delegierte „seinem“ Mannschaftskapitän ein kurzes „Bon Courage!“ hinhauchte, schüttelte Figl jede einzelne rot-weiß-rote Fußballerhand bis er zu Theodor „Turl“ Wagner kam. Er blieb stehen um mit dem technisch beschlagenen Angreifer einige Worte zu wechseln. Man hätte meinen können, dass der Sportler vor dem großen Staatsmann nervös um Worte ringen müsste, doch die Plauderei plätscherte wie zwischen alten Schulfreunden gemütlich hin und her. Dem Außenminister war schließlich klar, dass er sich dem nächsten zuwenden musste und deshalb wollte er sich mit einigen salbungsvollen Wünschen verabschieden. Doch da verhaspelte er sich gefährlich: „Na dann, Sieg Heil, Herr Wagner!“, brach es aus ihm heraus. Hoppla. Irre, im ÖVP-Politiker nur ein Nanogramm Nazi-Gesinnung zu vermuten. Immerhin war Figl während der NS-Herrschaft fünf Jahre lang im Konzentrationslager inhaftiert gewesen und wurde gegen Ende des Krieges sogar zum Tode verurteilt. Nur die heranrückende Rote Armee rettete den studierten Agraringenieur vor der Exekution. In seiner Aufregung hatte der Staatsmann allerdings zwei Begriffe gedanklich falsch verknüpft und somit zu dem leider viel zu oft gehörten Nazi-Gruß geformt. Die Macht der Gewohnheit? Schützenhilfe bekam der Außenminister jedenfalls von „Gschropp“ Hanappi, der neben Wagner stand und schmunzelnd erwiderte: „Herr Minister, den Sieg wollen wir doch erhoffen – und Fußball Heil!“ Damit war die Sache gegessen. Figl erwiderte mit einem Kopfnicken: „Fußball Heil!“ und schritt schnell die restliche Reihe ab. Es war geschafft und am Ende konnte der fußballbegeisterte Politiker einen 2:1-Sieg für Österreich bejubeln.
Marie Samstag, abseits.at
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