abseits.at präsentiert euch die Anekdote zum Sonntag. An jedem Sonntag liefern wir euch eine schöne, kleine Geschichte aus der österreichischen Fußballkultur. In jenen Jahren,... Die Anekdote zum Sonntag (1) – Einstand nach Maß auf der Pfarrwiese

Rapid retroabseits.at präsentiert euch die Anekdote zum Sonntag. An jedem Sonntag liefern wir euch eine schöne, kleine Geschichte aus der österreichischen Fußballkultur.

In jenen Jahren, die so lange her sind, dass sich wohl kein Leser dieser Zeilen tatsächlich an sie erinnern wird, warb das Hotel Schneller, vis-à-vis vom Hütteldorfer Bahnhof, mit Zentralheizung, Ein-und Zweibettzimmern und der Aussicht auf den Lainzer Tiergarten. Vieles hat sich seitdem verändert: Das Hotel Schneller wird unter einem anderen Namen geführt und das in derselben Gasse gelegene Hanappi-Stadion soll demnächst dem Erdboden gleichgemacht werde. Der Vorgänger dieser legendären Heimstätte des SK Rapid Wien, die Pfarrwiese, ist nicht minder mythisch und auch nur mehr eine Erinnerung aus längst vergangener Zeit.

Als diese aber noch bespielt wurde, fand sich eines schönen Vormittages eine Herrenrunde im Restaurant des Hotel Schneller ein. Die befreundeten Mannsbilder stärkten sich vor dem Besuch des Rapid-Trainings mit einem gutbürgerlichen Mittagessen. In ganz Wien pfiffen es 1930 die Spatzen von den Dächern: Der – heute auch in den Heldenhimmel erhobene – grün-weiße Sektionsleiter Dionys Schönecker hatte einen guten Fang gemacht: Ein niederösterreichischer Stürmer mit einem Schuss wie ein Pferd trug seit einigen Tagen das Trikot der Hütteldorfer. Die „Expertenrunde“ war nun angerückt, um den „Neuen“ unter die Lupe zu nehmen. Schließlich munkelte man, dass der Angreifer schon zwei Mal das Tornetz durchschossen habe.

Nach dem wohlschmeckenden Mahl spazierten die fünf Fachleute auf die Pfarrwiese und nahmen auf der Tribüne Platz, wo sie der Dinge harrten. Als Schönecker vorbeiging, wurde er nach dem „Neuen“ gefragt: „Der Lange dort.“, antwortete der Wiener und deutete auf einen schüchternen Burschen. Schon aufgrund der schlaksigen Figur machte sich Skepsis unter den Herren breit. Als endlich ein Ball ins Spiel kam, wuchs diese: „Der hat ka Ahnung vom Dribbeln.“ – „Bewegen tuat er sie wia in da Zeitlup‘n.“. Schnell wurden dem „Neuen“ sämtliche Qualitäten abgesprochen und ihm sogar das Urteil „Traumwandler“ aufgedrückt. In trauter (Wiener) Einigkeit motzte die Herrenrunde über das vermeintliche Juwel, das sich als Katzengold entpuppt hatte. Schönecker könne sich seinen „Wunderstürmer“ in die Haare schmieren.

Ein Knall gefolgt von einem Schmerzensschrei ließ plötzlich Stille unter den Zuschauern einkehren. „Bist deppat Langer, was reißt denn so an?!“, schrie der Torwart quer übers Feld und rieb sich die Handwurzeln. Verschämt blickte der Angesprochene zu Boden und lief zum Goalie um sich reumütig zu entschuldigen. Absicht steckte jedoch nicht dahinter, denn sein Mordsschuss war ihm einfach angeboren. Ebenso wie sein gutes Herz. Der „Neue“ hieß Franz „Bimbo“ Binder und sollte einer der besten Spieler Österreichs und eine weitere grün-weiße Legende werden.

Die Herren der „Expertenpartie“ widmeten sich nach diesem missglückten Ausflug ins Scouting-Geschäft wieder ihren Brotberufen. Einer von ihnen aber sollte noch bei vielen Gelegenheiten schmunzelnd diesen „faux-pas“ zum Besten geben. Anekdoten zu erzählen gehörte nämlich irgendwie zu seinem Alltag. Ob singend oder sprechend: Der Mann unter dessen Kommando man einst die Keißlergasse hinaufwanderte, um „Bimbo“ zu begutachten, hieß Hansl Schmid und war der „letzte Herr des Wienerliedes.“ Ein Kaufmann, Cafetier und Heurigensänger, der genauso wie Binder am 1. Dezember seinen Geburtstag feierte. Und so wie der „Bimbo“ Binder, das Hotel Schneller und die Pfarrwiese auch eine Legende aus längst vergangener Zeit.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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