Wer mit dem Nachnamen Geier heißt, ist nicht unbedingt zu beglückwünschen. Nicht allzu viele positive Assoziationen verbindet man mit dem aasfressenden Greifvogel. Da gibt... Die Anekdote zum Sonntag (3) – Ein Vogel, der nicht fliegen wollte

Österreich - FlaggeWer mit dem Nachnamen Geier heißt, ist nicht unbedingt zu beglückwünschen. Nicht allzu viele positive Assoziationen verbindet man mit dem aasfressenden Greifvogel. Da gibt es die „Geierwally“ oder den „Pleitegeier“. Man kann sich wie ein „Geier auf etwas stürzen“ oder etwas kann vom „Geier geholt werden.“ Da hilft es auch nicht, wenn sich der Geier mit „y“ als „Geyer“ schreibt. So wie bei Karl Geyer, „Fußball-Oldtimer“, „hergestellt“ im Jahre 1899.

Aber nicht um des „Liebreiz“ seines Nachnamens hin, sondern aufgrund ganz anderer Motive wurde Geyer einst der fiktive Nachname „Vogerl“ angedichtet. 1919 wechselte der damals zwanzigjährige Flügelspieler vom WAC zum Wiener Amateur-Sportverein, der heutigen Austria Wien. Die Transferbedingungen sahen eine sechsmonatige Spielsperre vor, doch dem damaligen Amateur-Trainerteam war das recht „wurscht“. Sie wollten den Kicker mit der „eisernen Lunge“ und der brillanten Technik vor dem Ablauf dieser Frist aufstellen. Kurzerhand wurde Geyer unter dem Pseudonym „Vogerl“ auf den offiziellen Spielbericht gesetzt. Als die Freigabe des WAC nach mehreren Spielen „inkognito“ endlich wirksam wurde, hatte Geyer seinen Spitznamen schon weg. Er blieb ihm ein Leben lang. Und dieses Leben dauerte beinahe 99 Jahre, ehe Karl Geyer einen Monat vor seinem Geburtstag verstarb. Bis dahin war der Ex-Aktive eifriger Chronist und Zeitzeuge des österreichischen Fußballs von seinen Kinderschuhen bis in die Neunzigerjahre gewesen.

Geyer, der bis 1928 zu den besten Außenläufern Österreichs gezählt hatte, schlug nach einer schweren Verletzung die Trainerlaufbahn ein. 1931 gewann er mit dem WAC den Cup und stand im Finale des Mitropacups, das jedoch gegen die Vienna verloren ging. Nach weiteren Stationen im Amateurbereich emigrierte der mit einer Jüdin verheiratete Wiener nach dem Anschluss 1938 nach Norwegen, wo er Brann Bergen coachte. Nach seiner Rückkehr wurde er der erste Nachkriegstrainer der Wiener Austria, später war er gemeinsam mit Josef Molzer sogar für die Nationalmannschaft verantwortlich. Doch selbst als ÖFB-Teamchef schaute sich „Vogerl“ die Welt niemals aus der Vogelperspektive an. Der Wiener unternahm nie eine Flugreise: Die Kicker bestiegen die Maschine, Geyer selbst reiste per Bahn nach. Während die Mannschaft noch in den Hotelbetten schlummerte, wartete ihr Trainer schon in „Tripstrü“ auf den Anschlusszug.

Den Schwur, nie ein Flugzeug zu besteigen, hatte Karl Geyer im letzten Kriegsjahr an der Isonzofront getan. Als ob das Getöse im Schützengraben, das Kugelgewirr, Leid und Sterben ringsum nicht genug gewesen wären, musste der damalige Gefreite auch noch einen Luftkampf mit anschließendem Abschuss hautnah miterleben. Zwei blutjunge Piloten der englischen Luftwaffe verloren so ihr Leben und Geyer wusste ab diesem Zeitpunkt, dass er sich nie in eine derartige Maschine setzen würde. Er blieb seinem Bekenntnis immer treu und scheute trotzdem keine Reisen im Dienste des Fußballs. Besonders als ÖFB-Jugendleiter blieb der Wiener unvergessen: Unter seiner Führung holten die Junioren die Europameisterschaft 1957. Am Ende seines Lebens fiel Geyers Urteil über die österreichische Fußballszene zwiespältig aus: „Der Wiener Fußballer ist ein Genie, aber auch eine Kanaille.“, pflegte er zu sagen.

Marie Samstag, abseits.at

 

Marie Samstag

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