Das Duell der Vögel hat der Hahn für sich entschieden. Die „Super Eagles“ aus Nigeria verloren am Montag gegen „le coq“ aus Frankreich. Ein Ruhmesblatt war das gewonnene Achtelfinale für „les Bleus“ allerdings nicht.
Bei dieses Spiel habe ich mich erstmals dazu hinreißen lassen, beim dörflichen Wettspiel mitzumachen: Einen Euro Einsatz kostete mich mein Tipp (2:1 für Frankreich). Die Stimmung beim wirtshäuslichen „Fuaßboi-Schau‘n“ glich aber zunächst dem Spiel – mau und geruhsam: Sieben Leute saßen in der Kellerbar vor der Leinwand und sahen in ihre Gläser, denn das Spiel plätscherte anfangs nur dahin. Auf Seiten der „tricolore“ mutierte Mittelstürmer Giroud außerdem zum schmutzigen Streithahn. Der Arsenal-Legionär erwischte nicht seine beste Partie und leistete sich außerdem in Hälfte Eins einen Ellbogencheck ins Gesicht seines Gegenspielers Mikel. US-Schiri Geiger fand diesen Zwischenfall nur eine Ermahnung wert. Für den Wiederholungstäter (bereits gegen Kolumbien fuhr der 27-Jährige seinen Articulatio cubiti aus) ist diese erneute Tätlichkeit eine bestrafungswürdige Schande. Hier ist die FIFA gefordert: Wo liegt der Unterschied zwischen Ellbogencheck und Beißattacke?
Jenseits von Afrika
Abgesehen vom reinen „Gekicke“ bot dieses fünfte Achtelfinale auch genügend politische Brisanz: Die Boko Haram-Sekte hält Nigeria seit 2009 in Atem. Die radikal-islamische Spaltgruppe kämpft für einen autoritären Gottesstaat im Norden des Landes. Ihr Tätigkeitsspektrum zieht dabei alle grausamen Register: Entführungen, bewaffnete Angriffe, (Auto)bomben, Anschläge. Tausende Menschen wurden auf barbarischste Weise ermordet und verstümmelt. Auch der Vater von Chelsea-Spieler Victor Moses, ein Pastor, fiel Anfang der 2000er-Jahre den Unruhen im westafrikanischen Staat zum Opfer.
Trotz aller Turbulenzen im Heimatland versuchten die „grünen Adler“ im Spiel anfangs den Ton anzugeben. Doch auch die nigerianischen Kicker schienen am Montag an morbus africanus zu leiden. Diese „Krankheit“ befällt afrikanische Fußballmannschaften seit jeher gelegentlich und zeigte besonders bei dieser Endrunde ihre Auswüchse: Die Teams vom heißen Kontinent spielen grundsätzlich gefällig und auf Ballbesitz bedacht. Ökonomisch gehen sie es aber meist falsch an, zudem fehlt oft der Biss sowohl offensiv als auch in der Verteidigungsarbeit. Es ergeben sich zu wenige handfeste Torchancen, man spielt gleichmütig und unbekümmert nach vorne, ohne aber eiskalt den Abschluss zu suchen. Emenikes verwandelte Flachflanke blieb im Spiel gegen Frankreich hierbei die Ausnahme. Wegen eines (vermeintlichen) Abseits wurde das Tor jedoch nicht gegeben.
Erst in Hälfte Zwei wachten die Europäer langsam auf. Matuidi leiste sich das zweite Rotfoul auf französischer Seite – auch sein hartes Einsteigen blieb ohne Konsequenzen. Griezman kam für den glücklosen Giroud und brachte Schwung in die Partie. Plötzlich war Schlussmann Enyeama gefordert und verwandelte sich in den besten Afrikaner auf dem Feld. Auch diese „Mutation“ gehört zum morbus africanus: Im Laufe der 90 Minutenlöst sich die brave Offensive langsam in Luft auf und man ist nur mehr mit dem Verteidigen beschäftigt.
Schließlich mussten sich die „Eagles“ dem Druck beugen: Pogba köpfte in der 79. Minute zum 1:0 ein. Bezeichnend das Yobo danach einen Valbuena-Stanglpass über die eigene Torlinie drückte. Die Nigerianer haben sich – mehr oder minder – selbst aus dem Rennen geschossen, wobei nicht zu vergessen ist, dass klare Torchancen auf ihrer Seite Mangelware waren und sie in den zweiten 45 Minuten immer schwerer mit der gut organisierten Stabilität in den französischen Reihen zurechtkamen.
Wer ist hier der Hahn im Korb ?
Ein Glück, dass „les bleus“ im Achtelfinalenicht gegen Algerien antreten mussten. Eine derartige Paarung hätte einige Franzosen mit nordwestafrikanischen Wurzeln wohl in einen unbequemen Zwiespalt gebracht. Dass solche „Nichtigkeiten“ eine ernsthafte Rolle im hexagonalen vie quotidienne spielen, beweist eine Aussage der französischen Politikerin Marine Le Pen. Die Vorsitzende des rechts-konservativen Front National hatte inner-französische Ausschreitungen nach dem Achtelfinaleinzugs Algeriens zum Anlass genommen um gegen die Immigrationspolitik ihres Heimatlandes zu wettern. „Diese Weigerung, sich anzupassen, zeigt die Fehler unserer Einwanderungspolitik auf“, meinte die Juristin und schlug vor Doppelstaatsbürgerschaften abzuschaffen. Weiters rief die 45-Jährige migrationsstämmige Franzosen auf, die „équipe tricolore“ anzufeuern. Erst kürzlich haben die polemischen Rechten rund um Le Pen 25 % der Stimmen bei den Wahlen zum europäischen Parlament eingeheimst. Fußball ist eben schon lang mehr als nur ein Spiel.
Frankreich, eine ehemalige Kolonialmacht, spürt seinen multikulturellen Background auch in seiner Fußballnationalmannschaft. Am Montag standen acht Spieler mit multi-ethnischer Vergangenheit im Trikot mit dem gallischen Hahn auf dem Platz. Mit Évra, einem gebürtigen Senegalesen, war ein Kicker aktiv, der nicht in Frankreich geboren ist. „Früchte des Kolonialismus“ der montäglichen Spielaufstellung waren außerdem: Varane, Spross eines Vater aus Martinique und einer nord-französischen Mutter, Benzema, dessen Großvater einst aus Algerien nach Lyon kam, Paul Pogba, Sohn eines kongolesisch- guineischen Paares und Sissoko, dessen Wurzeln in Mali liegen.
Keine Kolonialvergangenheit, aber nicht-französische Vorfahren haben darüber hinaus: Matuidi (Angola), Valbuena (spanische Großeltern väterlicherseits) und Koscielny (polnische Wurzeln). Der eingewechselte Griezmann nennt eine portugiesische Oma „sein Eigen“, sein Nachname ist auch nicht gerade à la française. Werner Grissmann lässt grüßen.
Somit bleiben mit Lloris, Giroud, Debuchy und Cabaye vier Kicker des WM-Achtelfinales 2014 ohne „direkten“ Migrationshintergrund übrig. Wie stark wären „les bleus“ also ohne die Söhne Zugezogener? Als Pogba am Dienstag die Tür zum Viertelfinale weit aufstieß, krähte da ein Hahn nach seiner Herkunft, Madame Le Pen?! In diesem Sinne: Kikerikiiiiii!
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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