1:0 gewann die „Albiceleste“ samstags gegen den belgischen Geheimfavoriten. Bei Manchen sind Messi, Higuaín und Co. jetzt (wieder) Anwärter für ganz oben, das hörte sich vor einigen Spielen noch anders an. Dabei war es der dritte 1:0-Erfolg im fünften (von fünf) gewonnenen Spiel – richtig dominant haben die „Gauchos“ ihre Ansprüche auf den Pokal trotz aller Siege nicht deponiert.
Für die blau-weißen Fans ist trotzdem klar, dass der nächste Weltmeister „Argentina“ heißen muss. Die Endrunde am südamerikanischen Kontinent ist einerseits ja fast so etwas wie eine Heim-WM für die Fans der „Seleccíon“, gleichzeitig rittern die 32 Mannschaften aber im Land des Erzfeindes Brasilien um den Titel. Argentinien und Brasilien – Maradona und Pelé: Eine Geschichte voller Rivalität, die sich auch im jeweiligen Jahrhundertfußballer verbildlichen lässt. An der Copacabana gelten die Blau-Weißen und ihre Fans als eingebildete Möchtegern-Fußballriesen: Die Selecao hat immerhin schon fünf Mal die WM gewinnen können, Argentinien holte erst zwei Titel.
Die Fans der „Gauchos“ sind leidenschaftlich und stimmgewaltig. Wie bei jedem Großereignis, gewinnt man auch bei dieser Endrunde den Eindruck, dass die südamerikanische Nation geschlossen hinter ihrer Mannschaft stehen würde. Fast alle Anhänger tragen Repliken des Trikots mit der Nummer 10: Lionel Messi wird als legitimer Nachfolger Maradonas angebetet, sein Kult beinhaltet schon die Erwartung eines Weltmeistertitels.
Vor 28 Jahren hat Diego seine Mannschaftdurch das Halbfinale gegen die Belgier geführt, indem er beide Tore des 2:0-Sieges erzielt hatte. Vor zwei Tagen (im Viertelfinale) hieß der glückliche Scorer Gonzalo Higuaín, der auch einen zweiten Treffer am Fuß hatte. Die belgische Latte verhinderte aber Schlimmeres. Die Fans jubelten, doch einige meinen zu wissen, wie es wirklich um die „Albiceleste“ und ihre Anhängerschaft steht.
Auf der Suche nach der verlorenen Ehre
Für den Soziologe und Philosoph Pablo Alabarces sind die argentinischen Fußballfans nicht in Liebe zur Nationalmannschaft vereint. Paradoxerweise sind für den Wissenschaftler gerade fehlende Unruhen Zeichen einer mangelnden Begeisterung für die „Seleccíon“: „Dort (im argentinischen Klubfußball, Anmerkung) gibt es ständig Randale, aber nie beim Nationalteam. Das ist auch ein Zeichen für fehlende Leidenschaft.“ Für Alabarces herrschen in Argentinien immer noch die Macho-Kicker vor. So war die angezettelte Prügelei nach dem verlorenen Elfmeterschießen 2006 in Deutschland gegen die DFB-Elf eine Sache, die aus gekränktem Stolz passiert war.
Auch Bastian Schweinsteiger erinnerte sich vier Jahre später während der WM in Südafrika an diesen Zwischenfall und stellte fest: „Wie sie gestikulieren – die einzelnen Spieler. Wie sie versuchen den Schiedsrichter zu beeinflussen, das gehört sich eigentlich nicht in meinen Augen. Das ist für mich respektlos. Aber die Argentinier sind so, deswegen muss man sich darauf einstellen.“.
Einige Monate zuvor hatte sich der Fußballgott und damalige Teamchef der „Gauchos“ ebenfalls daneben benommen. Er tat so, als würde er den damaligen Frischling Thomas Müller nicht erkennen und verließ deshalb die anberaumte DFB-Pressekonferenz. Ein mehr als fragwürdiges und zudem despektierliches Verhalten der „Hand Gottes“.
M’n‘M
Überhaupt ist der 53-jährige Ex-Spielmacher eine der umstrittensten Figuren des Weltfußballs. Nach seiner Karriere ließ es der geniale Kicker so richtig krachen: Kokain, Alkohol, Übergewicht, Affären und Schulden. Von allem hatte er auch schon während seiner aktiven Zeit „genascht“, danach legte sich der Argentinier aber voll ins Zeug und sägte so an seinem Image. Sein Intermezzo als Teamchef wurde von allen Seiten mehr als kritisch beäugt. Kaum einer glaubte, dass der ehemalige Weltfußballer tatsächlich in der Lage sei eine Mannschaft auf einen Titelgewinn vorzubereiten. Sein Engagement sollte der „Albiceleste“ vielmehr nach außenhin ein Gesicht verlieren, während andere im Dunkeln arbeiteten. Heute wettert Diego gegen dies und jenes, er teilt großmäulig aus – doch kaum einer nimmt ihn mehr ernst.
Nach der „Hand Gottes“, gibt es jetzt den Sohn Gottes, den „Messi(as)“. Alabarces spricht aus, was jeder, der den modernen Fußball verfolgt, weiß: „Maradona hat entscheidende Spiele allein gewonnen. Das hat Messi nicht, und das kann er nicht, weil das nicht mehr geht.“ Der Fußball hat sich verändert: Oft macht ein Weltklassespieler den Unterschied aus, wenn sich aber Spitzenmannschaften messen, ist es mit einem genialen Kicker nicht getan.
Maradona und Messi kommen zwar beide aus ärmlichen Verhältnissen, doch auch bei dieser Übereinstimmung sieht Alabarces nicht nur Gemeinsamkeiten: „Maradona als der arme Junge aus dem Vorort, der die Fußballwelt erobert, mit politischer Krise und Falkland-Krieg, das waren Voraussetzungen, die es so nicht mehr gibt. Mit dieser Persönlichkeit, seinen Fehlern und Verdiensten, taugte er unter diesen Gegebenheiten in jeder Hinsicht als nationale Identifikationsfigur. Das geht heute nicht mehr.“ Die Möglichkeit einer „direkten Thronfolge“ ist für den Philosophen aus diesen Gründen also ausgeschlossen. Vielleicht ist das auch gut so.
Die „Fußballheiligen“ machen das Spiel zwar erst sehenswert, allerdings ist Kicken immer noch ein Mannschaftssport, indem man nicht alles an einem Spieler aufhängen kann. Ein starkes Argentinien muss jetzt im Halbfinale die Holländer besiegen. Ein starker Messi wird dafür nicht genug sein.
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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