Ein Besuch bei CA San Lorenzo: Ursprünglich im Sein, tiefverwurzelt in der Gegend!
Fankurve 24.April.2015 abseits.at News 0
Besucht man als Fußballfan Buenos Aires sind unweigerlich zwei Vereine in europäischen Köpfen: Boca Juniors und River Plate. Eines der ruhmreichsten Derbys der Welt. Klassenkampf pur, „Hochadel“ trifft Arbeiterklasse, drei Viertel einer Bevölkerung im fußballerischen Ausnahmezustand.
Abseits dieses weltweit angesehenen Duells gibt es aber auch noch andere Qualitätsmerkmale: Aktueller Copa Libertadores-Sieger Club Atlético San Lorenzo de Almagro gegen den Rekordsieger des Wettbewerbs Club Atlético Independiente. Genau dort fanden sich wir vier wieder!
Ausgangspunkt für diesen Fußballabend war eine Busfahrt nach Flores. Der Heimatgegend des Papstes. Unweigerlich stolpert man laufend über Bilder und Hinweise von Jorge Mario Bergoglio, wie sein bürgerlicher Name lautet. Spaziert man vom Zentrum des Stadtteils Richtung Stadion sieht man die gesamte soziale Bandbreite die Argentinien zu bieten hat. Von herrlichen Häusern mit Vorgärten, großen Autos und edel gestalteten Straßen bis zum sozialen Brennpunkt – den Villas. Villas sind das argentinische Pendant der brasilianischen Favelas.
So ist es auch nicht sehr verwunderlich, dass der letzte Kilometer zum Stadion nach mehrfachen abraten der hiesigen Bevölkerung mit dem Taxi zurückgelegt wurde. Optisch wirkte es weder extrem sonderbar – wenn man dritte Welt kennt – noch gefährlich, aber auch nachher erfuhren wir mehrfach, dass dieser Kilometer nichts für Ausländer ist. Um drei am Nachmittag beim Stadion angekommen erwartete uns ein martialisches Bild. Links das Armenviertel, rechts das Stadion, dazwischen eine Hundertschaft an Polizisten, aufgestellt in Reih und Glied, Vollmontur, 30° Celsius, die Sonne für unsere europäische Winterhaut ansatzweise sengend, Grillgeruch in der Luft. Es wurde im Laufe der nächsten Minuten etwas mulmig um die Magengegend. Wird das ein ruhiges Spiel? Oder kann da mehr passieren? Sollten wir eher passiv in der Ecke kauern oder zum Fanlokal gehen? Das Fanlokal besteht wohlgemerkt aus vier mehr oder weniger geraden Wände mit einem Dach, davor ein Betonsockel mit löchrigem Wellblech darüber, die Griller sind am Glühen, und am ersten Blick sieht man dann doch einige vermeintlich dubiose Gestalten.
Zunächst einmal auf die Suche nach Karten gemacht. So gehen wir massiv beäugt zwischen Wasserwerfen, gepanzerten Fahrzeugen und Truppentransportern und eben der Polizei vorm Stadion auf und ab. Als dann noch ein Feuerwehrauto vorm Haupteingang parkt – wohlgemerkt haben wir es fünf Stunden vor Spielanpfiff – ist das Gesamtbild des verheerenden Fußballabends in den Kopf gezimmert und eingepflanzt. Wie sich bereits wenige Minuten später herausstellt – völlig absurdes Hirngespinst. Da wir keinen Verkaufschalter finden fragen wir einen San Lorenzo Fan vorm Stadion.
Das Gespräch entwickelt sich zu einem Heißmacher aufs Spiel und bläst alle Horror-Szenarien weg. Die Polizisten sind harmlos, eigentlich ist eh nix los. Die 5-jährige Enkelin des Fans stellt den lebenden Beweis für die Harmlosigkeit der Begenung dar. Indepediente ist ein Klub von vielen und Fans bringen sie auch so gut wie keine mit. CA Huracán ist das Zauberwort für fußballerischen Wahnsinn in San Lorenzo und stellt das Lokalderby dar. Alles andere mehr oder weniger harmlos. Er überzeugt uns auch noch vorm Spiel auf die andere Straßenseite zu wechseln und mit den Fans ein paar Bier zu trinken. Die sind alle harmlos… sinngemäß seine Wortwahl.
Wir erfahren, dass ein Ticket auf der Längsseite 350 Argentinische Peso kostet (ca. 35€) und machen uns auf einen Weg zum Bankomaten. Naja, das ist natürlich ein etwas kompliziertes Unterfangen am Rande der Villa. So geht´s nochmal drei Kilometer Stadteinwärts. Ein äußerst sehenswerter Spaziergang. Die Tradition des Klubs fällt auf. An der Wand entlang zum Sportpark sind diverse Mannschaften aufgemalt (u.a. die erste von 1908), der Copa-Pokal, der Papst – bei der Übergabe des Trikots, Spielszenen und vieles mehr. Je näher der Abend rückt desto mehr Hinweise erhält man auf das Spiel. Nichts anderes wie bei uns. Trikots, Schals, hupende Autos! Um 18:00 Uhr finden wir dann den Weg in das urige Fan-Heim. Es ist schon einiges los und wir bekommen unser erstes Bier. Nach anfänglich skeptischen Minuten entwickelt sich zunehmend Interesse an uns Vier und als dann eine Mutter zum Trinken einlädt (Fernet Branca-Cola) zusammen mit Tochter und Schwiegersohn fallen auch die letzten Hemmungen, beiderseits. Die spanischsprechenden unter uns unterhalten sich lebhaft über Fußball, Fans und Vereine. Dabei kommt auch für uns alle eine äußerst überraschende Geschichte heraus. Am Rande des Armutsviertel sind die Bewohner bereit rund 17€ monatlich für ihre Mitgliedschaft aufzubringen… für uns alle eine Tatsache die uns mit großen Augen und offenem Mund da stehen lässt. Für die Fans keine Frage des Geldes, eher eine Frage der Ehre. Ihr Klub, ihre Leidenschaft!
Hinter uns wird es immer dichter (im doppelten Wortsinn), lauter und euphorischer. Fußball wird gelebt… San Lorenzo in den Himmel gehoben, Huracán geschmäht, und dazwischen wird gesungen und gefeiert.
Etwas mehr als eine Stunde vor Spielbeginn weisen sie uns darauf hin, dass gleich die Fans aus dem Villa vorfahren werden; und wie gesagt kommen auch schon zig Busse mit Fahnen vorgefahren und Tausende Menschen hupfen aus denselbigen. Ab diesem Zeitpunkt ist Fußballstimmung. Überall. Jetzt ist südamerikanisches Fußballfeeling zu spüren. Das äußerst bekömmliche Nationalbier Quilmes hat bei uns sein Werk verrichtet und wir gehen mit weihnachtlichem Kindsgesichtern zu unseren Plätzen.
Das 1993 eröffnete Estadio Pedro Bidegain bietet rund 44.000 Zuschauern Platz. Die eckenoffene, allerdings weitläufige Bauweise hat durchaus optische Wucht. Umso beeindruckender wirkt daher auch die bereits volle Heimkurve. Insgesamt werden es ca. 25.000 Zuschauer sein. Die Fans singen unentwegt und durchaus auch laut. Rundum geschlossen und mit Dach muss die Atmosphäre ein Wahnsinn sein! Allerdings fehlt dem europäischen Stadionohr der impulsive Karacho den tausendfaches Klatschen verursacht. Es wird bei Spielszenen geklatscht; bei Balleroberung und guten Pässen. Aber Klatschen als Anfeuerung fehlt im Repertoire. Interessantes Phänomen!
Die volle Pracht der Heimkurve können wir beim spielentscheidenden 1:0 sehen. Dies ist der Höhepunkt des Abends und hinterlässt bleibenden Eindruck. Spielerisch hätte man sich deutlich mehr erwartet; vor allem taktisch ist es verwunderlich das San Lorenzo die Copa gewinnen konnte. Athletisch und technisch durchaus versiert ist das Verhalten weder im Angriff noch in der Defensive bei keiner der beiden Mannschaften klar strukturiert. So bleibt dieses Spiel von Fanseite deutlich mehr in Erinnerung, als vom spielerischen Niveau.
Die Heimreise gestaltet sich noch schwierig da der öffentliche Nahverkehr etwas anders aussieht, als von heimischen Gefilden gewöhnt. Wenn in einer Stunde rund 15 Busse fahren ist es für ein paar Tausend Menschen dann doch zu wenig. Aber irgendwann haben auch wir ein Taxi bekommen und konnten uns mit einer Menge neuer Eindrücke und so manch lustiger Anekdote zurück nach San Telmo begeben.
Florian Bauer, abseits.at
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