Während Pressesprecher und Vereinsverantwortliche ihre Worte stets bedacht wählen müssen, dürfen Fans ungeschönt über ihren Klub reden. Deshalb baten wir Fußballfans aus der ganzen... Fans und ihre Vereine (2) | Interview mit West-Ham-United-Anhänger Gabriel (23)

Fußball in EnglandWährend Pressesprecher und Vereinsverantwortliche ihre Worte stets bedacht wählen müssen, dürfen Fans ungeschönt über ihren Klub reden. Deshalb baten wir Fußballfans aus der ganzen Welt ein wenig über sich und ihren Verein zu erzählen. Im zweiten Teil erzählt uns West-Ham-United-Anhänger Gabriel unter anderem von seinem schlimmsten Abend als Fan und von einem Stürmer, der für ihn aus ganz eigenen Gründen zu seiner persönlichen Vereinslegende wurde.

Von welchem Verein bist du Fan und wie kam es dazu?

West Ham United! Mein Vater stammt aus dem Londoner Stadtteil Bermondsey und sein Vater war ein Millwall-Fan. Doch sein Schwager, der um einiges älter als mein Vater ist, stammt aus Plaistow und sorgte dafür, dass sein erstes Spiel eine West-Ham-Partie wurde. Auf diese Weise entging er den dunklen Kräften, die von Millwall ausgehen. Seit seiner ersten Live-Partie ist mein Vater also West-Ham-United-Fan und er gab diese Leidenschaft an mich weiter, was ich ihm manchmal ein wenig verüble.

Erinnerst du dich an dein erstes Spiel? Wie lief es ab?

Haha, ja! Das erste Spiel fand am 17. Oktober 1998 statt. West Ham gegen Aston Villa. Ich ging mit meinem Vater und dem Typen ins Stadion, der Jays Vater in der Fernsehserie „The Inbetweeners“ spielt. Es war bis zum heutigen Tag eines der schwächsten Spiele überhaupt. Die Partie ging 0:0 aus, das einzige Highlight war eine zweifache Parade des Goalies Shaka Hislop gegen Gareth Southgate. Nichts was einen 7-Jährigen wirklich vom Hocker reißen würde.

Wie läuft ein typischer Spieltag für dich ab?

Ich wohne im Zentrum Londons und fahre mit der U-Bahn zum Upton Park und gehe die Green Street hinunter direkt zum Stadion. Ich trinke vorher nie etwas mit Freunden, da ich mit meinem Vater die Spiele besuche. Als mich mein Vater zum Spiel der Hotspurs gegen West Ham mitnahm bestellte er mir ein paar Pints, aber schon nach dem zweiten Bier konnte ich mich nicht mehr so auf die taktischen Aspekte, wie sich ändernde Formationen, konzentrieren, was für mich das Erlebnis ruinierte. Ich fühlte mich, als würde ich die Partie wie vor dem Fernseher anschauen.

Wie viel bezahlst du für eine Karte, bzw. wie viel kostet ein Abo bei deinem Klub?

Es hängt davon ab. Ich bin zwar Mitglied, habe aber keine Saisonkarte. Ich versuche die Spiele gegen die großen Klubs zu vermeiden, da diese 20 Pfund mehr kosten und wir ohnehin immer verlieren.

Wie viel musst du im Stadion für ein Bier bezahlen?

Da ich wie oben erwähnt während einer Partie kein Bier trinke, kann ich darüber leider keine Auskunft geben.

Kannst du uns etwas über die momentane Situation bei deinem Klub erzählen?

Es ist eine seltsame Saison! Zu Beginn der Saison wäre ich überglücklich gewesen, hätte mir jemand gesagt, dass wir zu Weihnachten am vierten Platz stehen. Auch über unseren momentanen Tabellenstand, Platz 9, wäre ich erfreut gewesen. Wenn man aber zu Weihnachten Tabellenvierter ist und dann in elf Spielen nur einmal gewinnt, dann wird das äußerst mühsam gegen Ende der Saison. Wir befinden uns im Niemandsland der Tabelle und können nichts gewinnen und nichts verlieren – es ist fast immer so.

Welches Spiel, oder welche Szene zählt zu deinen schönsten Erinnerungen?

Das Playoff-Finale im Wembley im Jahr 2012. Vaz Te erlöste uns in der 88. Minute, diesen Moment werden die Fans, die dort waren, nie vergessen. Was für eine unbeschreibliche Erinnerung. Selbst die Sonne lachte mit ganzer Kraft auf uns herab.

Was würdest du am liebsten verdrängen?

Da gab es einige Momente in der jüngeren Vereinsgeschichte, beispielsweise unser Abstieg im Jahr 2011 – aber mein bitterster Moment ist etwas außergewöhnlicher. In der Saison vor unserem Abstieg, als wir von Gianfranco Zola trainiert wurden, lagen wir in der Tabelle einen Platz vor dem Relegationsplatz und spielten zu Hause gegen die Wolves, die auch gegen den Abstieg spielten. Es war ein riesiges Match, die Erwartungen waren hoch und ich war extrem aufgeregt und sah mir das Spiel zu Hause mit der gesamten Familie an. Ich nahm meine West-Ham-Fahne von der Wand und trug sie den ganzen Tag als Umhang – ich war voller Adrenalin. Dann lagen wir auf einmal mit 0:3 hinten. Im eigenen Stadion. Gegen die WOLVES! Mein Gott, das war schrecklich. Das Spiel ging schließlich mit 1:3 verloren und ich war wütend wie nie zuvor. So schlimm mag die Situation für Außenstehende jetzt nicht aussehen, aber wenn man sich so auf ein Spiel freut, welches die Mannschaft vor dem Abstieg bewahren kann und dann gegen eine Mannschaft, die so schlecht wie die eigene ist, nach einer katastrophalen Leistung zu Hause verliert, ist das extrem frustrierend. Ich musste mit meiner Freundin an die frische Luft gehen und wir machten einen kleinen Spaziergang. Ich war damals ein dummer Teenager und nahm einen Stein, den ich als Zeichen der Frustration einfach weit weg in die Landschaft werfen wollte. Der Stein entglitt mir aber während des Wurfs, schlug eine andere Flugbahn ein und zerschlug das Glasfenster einer Busstation. Danach rannten wir so schnell wie wir konnten weg. Was für eine furchtbare Nacht!

Wer ist deine persönliche Klub-Legende und weshalb?

Ich wuchs mit dem Verein aus, als Paolo Di Canio dort spielte – aber diese Antwort wäre zu einfach. Auch wenn es keine populäre Wahl ist, muss ich gestehen, dass ich Carlton Cole verehre. Er ist buchstäbliche eine wandelnde Verkörperung unseres Vereins. Er gibt stets sein Bestes, ist extrem loyal und wenn wir uns ehrlich sind – er spielt manchmal einen Mist zusammen. Der Klub behandelt ihn wie das letzte Stück Dreck, verlängert seinen Vertrag nicht, stellt ihn dann wieder ein, stimmt medizinischen Checks bei anderen Klubs zu und blockiert dann die Transfers. Dennoch gibt er immer alles für uns. Er hat sogar auf Teile seines Gehalts verzichtet, als wir abstiegen. Er ist sicherlich nicht der talentierteste Spieler, aber er wird immer eine Klublegende der anderen Art für mich sein.

Wer ist der stärkste Spieler, den du jemals gegen deinen Klub spielen gesehen hast?

Es schmerzt mich sehr das sagen zu müssen, aber es war Michael Ballack, als wir im Jahr 2008 gegen Chelsea spielten. Wir waren zu Hause mit 3:0 hinten und das Stadion spielte verrückt, als Frank Lampard ausgeschlossen wurde. Was geschah? Michael Ballack übernahm Verantwortung und kontrollierte das gesamte Spiel. Es sah aus, als ob Chelsea einen Mann mehr im Mittelfeld hatte, obwohl ein zentraler Spieler ausgeschlossen wurde. Ballack stellte mit einem außergewöhnlichen Schuss außerdem sicher, dass die Partie 4:0 für Chelsea ausging. Es war demütigend zu sehen, wie ein einzelner Mann unsere gesamte Mannschaft fest im Griff hatte.

Was war das Verrückteste, das du jemals mit deinem Verein erlebt hast?

Als Carlton Cole in einem 6-Punkte-Spiel gegen Wigan knapp vor Halbzeit einen Treffer erzielte, der nicht gegeben wurde. Er überhob den gegnerischen Tormann, umrundete ihn und in dem Moment, in dem er den Ball über die Linie schob, hörten die Fans mit Entsetzen den Pausenpfiff des Schiedsrichters. Wir verloren das Spiel schließlich mit 1:0. Das war bis heute die kurioseste Schiedsrichterentscheidung, an die ich mich erinnern kann.

Was würdest du ändern, wenn du morgen zum Präsidenten deines Vereins gewählt wirst?

Das ist eine schwierige Frage. Ich bin recht glücklich darüber, wie der Verein in finanzieller Hinsicht geführt wird und würde auch Trainer Allardyce weitermachen lassen. Ich würde schauen, dass unsere Akademie wieder die Bedeutung erlangt, die sie in der Vergangenheit hatte, als wir Lampard, Carrick, Joe Cole, Defoe, Ferdinand, Glen Johnson und viele andere Spieler hervorbrachten. Das wäre großartig.

Was würdest du ändern, wenn du über Nacht der neue FIFA-Präsident wärst?

Ich würde wirklich fast alles ändern, alle Entscheidungen von Blatter rückgängig machen. Ich würde genau das Gegenteil von Blatter machen, denn das wäre sicher besser, als alles was die verabscheuungswürdigen Funktionäre nicht nur dem Fußball, sondern auch den Menschen antun. Menschen starben in Brasilien, Menschen sterben jetzt in Katar. Es klebt Blut an ihren Händen und sie sollten sich schämen.

Gibt es weitere Geschichten, die du mit uns teilen möchtest?

Im Jahr 2006 sah ich Mourinho´s Chelsea im Upton Park. Wir waren 3:1 hinten und der Schiedsrichter zeigte eine Abseitsstellung an, just in dem Moment, in dem unser Tormann Roy Caroll zu einem furiosen Befreiungsschlag ansetzte. Der Pfiff des Schiedsrichters irritierte unseren Goalie aber so, dass er den Ball flach und extrem scharf Richtung Trainerbank schoss, wo er Jose Mourinho aus 45 Metern voll in die Brust traf. Das war schon sehr lustig für uns, ich kann diesen egoistischen Mann nicht ausstehen.

Stefan Karger, www.abseits.at

Stefan Karger

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