Wie schon zuvor bei der Reise nach Bukarest, wurden auch diesmal Flüge und Karten für den Trip zu den beiden EM-Viertelfinalspielen in die Ukraine zeitgerecht gesichert. Selbst für den Transport von Kiew nach Donezk und retour hatten wir mit Alexander einen Mittelsmann vor Ort, der uns die Tickets besorgen konnte. Aber die Ukraine wäre nicht die Ukraine, wenn hier nicht schon im Vorfeld das erste Problem aufgetaucht wäre. Es war nämlich nicht möglich ein Ticket für die Rückfahrt aus Donezk aufzutreiben, mit dem das Spiel am nächsten Tag in Kiew erreichbar gewesen wäre. Diese nüchterne Ungewissheit nahmen wir mit auf den Weg in die Ukraine.
Am Freitag ging es zum Flughafen in Schwechat, wo wir via Düsseldorf nach Kiew geflogen sind. Düsseldorf liegt zwar völlig in der entgegengesetzten Richtung zu unserem Ziel, aber wenn es so im Vergleich zum Direktflug nur ein Drittel kostet, dann soll es einem recht sein. Die Wartezeit in Düsseldorf war somit besser bezahlt als jeder sonstige Stundensatz, den ich in meinem bisherigen Leben verdient habe. Die ukrainische Hauptstadt wurde problemlos erreicht und selbst die Haltestelle der Transferbusse ins Stadtzentrum ist im Vergleich zu meinem ersten Aufenthalt vor zwei Jahren nun endlich beschildert und es gibt auch einen fixen Fahrplan.
Am Bahnhof in Kiew trafen wir Alexander, der uns die Bustickets für Weiterreise nach Donezk übergab. Alexander begleitete uns noch bis zum Busbahnhof, wo wir unsere Besorgungen für die Nachtfahrt in den Osten machten. Dann konnte das eigentliche Abenteuer schon losgehen! Der Bus war gut ausgestattet und während der 12-Stunden-Fahrt konnte man sich mit Musik, Spielen und Filmen (insbesondere dem vierstündigen Tom und Jerry-Marathon) – so wie sonst nur auf Langstreckenflügen – seine Zeit vertreiben. Eine Stewardess gab es übrigens auch. Diese versorgte uns reichlich mit Kaffee und Tee. Um jedoch wirklich halbwegs gut schlafen zu können, waren die zwei mitgenommen 1,5-Liter Flaschen Bier wohl eine bessere Alternative als das mehrmalige Kaffeekränzchen. Da es in Kiew noch ziemlich viel Verkehr gab, hatten wir gleich einmal eine Stunde Verspätung. Den Aufenthalt in Poltawa um halb drei in der Früh erlebte ich nur schlaftrunken – aber ausreichend –, um die Trostlosigkeit des Busbahnhofes erahnen zu können. Beim Stopp in Pavlohrad war es schon wieder hell geworden. Dieser Ort, rund 200 Kilometer vor Donezk entfernt, schien mir sogar noch trostloser zu sein als Poltawa. Man hatte wirklich das Gefühl sich im Nirgendwo sich zu befinden. Eine Stunde nach Plan wurde Donezk um 08.00 Uhr in der Früh erreicht. Ziemlich hilflos standen wir nun mal am Bahnhofsvorplatz. Nach einer Morgentoilette am wirklich gepflegten Bahnhofs-WC und dem Erhalt einen Stadtplans durch die Volunteers (zu mehr waren die dann aber auch nicht mehr zu gebrauchen), begannen wir unsere Erkundungen durch die ostukrainische Industriestadt. Wir fuhren einmal zur Fanzone im Süden der Stadt und erholten uns in einem Park von der Nachtfahrt. Minütlich wurde es jetzt wärmer und als wir uns das alte Shakhtar-Stadion anschauten, war die Hitze bereits richtig unangenehm. Apropos unangenehm. Wir waren schon etwas besorgt, wegen unserer Rückfahrt. Zwar hatten wir noch per Mail und SMS Kontakt mit einer deutschen Gruppe aufgebaut, die uns eine Rückfahrmöglichkeit zusicherte, aber mit jeder Minute, die verstrich, schien es unsicherer, dass wir mitfahren würden, zumal die Bestätigung, dass sie in Donezk sind, ausblieb. Vorsicht ist bekanntlich die Mutter aller Porzellankisten und so machten wir uns durch die schattige und sehr gepflegte Innenstadt auf den Weg zurück zum Stadion. Dort hofften wir, eine Mitfahrgelegenheit sicherstellen zu können. Wir versuchten bei diversen Busgesellschaften und Fanbeauftragten unser Glück, jedoch erfuhren wir dort auch nur, dass es Zusatzbusse gibt, die allerdings längst ausgebucht waren. An dieser Stelle gilt es noch zu erwähnen, dass uns bereits im Vorfeld die spärlichen Rückfahrmöglichkeiten größtenteils bekannt waren, jedoch war uns spätestens bei dieser Auskunft klar, dass diese Möglichkeiten als Normalsterblicher gar nicht buchbar gewesen sein könnten. Die UEFA hatte anscheinend nur ein Interesse daran, dass Journalisten, VIPs, Sponsoren und alle sonstigen wichtigen UEFA-Granden wieder aus Donezk zurückkommen können. Der gemeine Fan war den Funktionären wieder einmal völlig egal. Beim Stadion trafen wir dann zwei Ukrainer, die sich am Morgen Tickets vom 20 Kilometer entfernten Yasynuvata nach Kiew gekauft hatten. Dort würde um 03.00 Uhr in der Früh ein Zug aus Russland kommend Halt machen und dieser wäre um 16.00 Uhr in Kiew. Mit Nachdruck meinten sie, dass es die einzige Möglichkeit wäre, um rechtzeitig fürs Viertelfinale in Kiew zu sein. Natürlich nahmen wir dies ernst und somit auch gleich die nächste Straßenbahn zum Bahnhof. Dort angelangt stießen wir ebenfalls auf viele verzweifelte Gesichter aus halb Europa (wie etwas aus Weißrussland, Deutschland und Spanien). Zugtickets von Yasynuvata nach Kiew gab es aber ebenfalls keine mehr, jedoch hatten wir hier Glück im Unglück und lernten am Bahnhof Robert aus Salzburg kennen. Ihm wurde kurzerhand das bereits bestätigte Mietauto gestrichen, sodass er ebenfalls vor demselben Problem bezüglich der Rückreise stand. Da wir nun zu dritt waren, wussten wir, dass nun sogar ein Taxi zurück nach Kiew um € 250,- in den leistbaren Bereich kam. Gerade jetzt – es war bereits nach 16.00 Uhr – kam allerdings unsere Erlösung! Die Deutschen meldeten sich und sicherten uns zwei Plätze sowie ihre Ankunft in Donezk um 19.00 Uhr zu. Danach gingen wir erleichtert und mit Robert im Schlepptau einmal gemütlich etwas essen. Am Weg dorthin besorgte er sich seine Karte für das heutige Spiel, die man locker um die Hälfte des Einkaufspreises erstehen konnte. Auffällig war aber, dass weder Spanier noch Franzosen das Stadtbild prägten. Es waren die Russen, die in Scharen in ihr Nachbarland einfielen und mit Fangesängen und Fanutensilien auf sich aufmerksam machten. Nach dem Essen trafen wir unsere Rettungsanker für die Rückfahrt. Magnus und Patrick samt ihrer Crew aus Saarbrücken brachten uns zu ihrem Auto und wir verstauten das Gepäck im geräumigen Kombi. Robert versuchte sich auch noch in den Wagen zu pressen, aber es ging sich knapp nicht aus. Jedoch musste auch er nicht verzagen, denn vor dem Spiel fand er in einem Fanbus noch eine Rückfahrmöglichkeit nach Kiew, sodass sich alle in Ruhe dem Match widmen konnten.
Die Donbass Arena ist schon von außen ein imposantes Stadion. Auch der Innenraum spielt alle Stücke und ist topmodern. Durch die steilen Ränge ist man selbst im dritten Rang sehr nahe am Spielgeschehen dabei. Nur die Frage, ob dies zur mehr Stimmung im Stadion beitrug, muss leider unbeantwortet bleiben. Die Fanblöcke beider Länder blieben stark unterbesetzt und Franzosen verirrten sich nahezu gar nicht in die Ostukraine. Da liegt schon der Verdacht nahe, dass die Anreiseorganisation selbst für Reiseveranstalter zu kompliziert gewesen ist. Offiziell waren dann 45.000 Besucher im Stadion, wobei aber selbst für das freie Auge sehr viele Plätze freiblieben. Stimmung kam daher so gut wie keine auf. Da man weder Franzosen noch Spanier hörte, nahmen sich die heimischen Zuschauer ein Herz und machten zumindest Werbung für ihr eigenes Land, indem sie „Ukrajina, Ukrajina!“ sangen. Als diese Rufe dann verhallten, machten die Russen auf sich aufmerksam und sangen „Rossija“. Dies klang dann auch etwas lauter als von den Ukrainern, wodurch eindeutig klar war, dass die Russen tatsächlich in Überzahl waren.
Gespielt wurde auch noch. Nach einer schönen Aktion traf Xabi Alonso in der 19. Minute per Kopf zum 1:0. Ein idealer Start für die Spanier. Diese allerdings taten in weiterer Folge nur mehr das Nötigste, um den Vorsprung über die Zeit zu bringen. Mehr mussten sie auch nicht tun, denn von den Franzosen kam gar nichts. Einzig Ribéry stemmte sich gegen die Niederlage und stand dann bei der spanischen Defensive selbst als ein Weltklassemann auf verlorenem Posten. Irgendwie waren wir aber gar nicht so enttäuscht, dass das Spiel nur so dahinplätscherte. Es war bald jedem klar, dass den Franzosen die Grenzen aufgezeigt wurden und Spanien locker weiterkommen wird.
Nach dem heißen und anstrengenden Tag erfreuten wir uns schon eher an einer kühlen Brise und einem bequemen Sitzplatz als an diesem Viertelfinalspiel. Dass wir die Eindrücke dieses Tages noch einmal Revue passieren lassen konnten, waren auch sehr schöne Momente. Man merkt durch diese Spielbeschreibung allerdings schon, dass die Partie nicht mit besonders vielen Höhepunkten gespickt war. Einen gab es aber dann doch noch. Kurz vor dem Abpfiff gab es noch einen Elfmeter für Spanien. Xabi Alonso ließ sich diese Einladung nicht entgehen und traf bei seinem 100. Länderspiel zum zweiten Mal. Am Ausgang des Spiels änderte dieser Treffer natürlich nichts mehr, denn bald danach war das Spiel in der Donbass Arena beendet und für Frankreich hieß es nun völlig verdient: „Á la maison!“
In weiterer Folge sollten wir mit unserem deutschen Mitfahrtransport unsere Reise nach Kiew fortsetzen, die dann doch etwas abenteuerlich geworden ist. Über die Fahrt, das zweite Viertelfinalspiel und die kulturellen Schönheiten – samt Erlebnissen zu „Land und Leuten“ – mehr im zweiten Teil des Berichtes.
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Heffridge
Philipp Karesch alias Heffridge wurde 1979 in Wien geboren und hatte von Kindesbeinen an die Lust am Reisen und Fußball zu spielen. Durch diese Kombination bedingt, zieht es ihn nach wie vor auf die Fußballplätze dieser Welt. Die dort gesammelten Eindrücke sind ein fixer Bestandteil der abseits.at-Kolumne Groundhopper's Diary.
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