Kurztrip nach New York. Geht immer. Sei es für die Kultur, das Nachtleben oder eben Sportveranstaltungen. Da darf es für den gelernten Europäer selbst... Kurztrip nach New York, geht immer – Groundhopping in den USA

USA-Flagge_abseits.atKurztrip nach New York. Geht immer. Sei es für die Kultur, das Nachtleben oder eben Sportveranstaltungen. Da darf es für den gelernten Europäer selbst in den USA ein Fußballspiel sein – umso mehr, wenn man so ein letztes Mal Andrea Pirlo und David Villa live auf die Beine schauen kann, die obendrein von Patrick Vieira trainiert werden. Außerdem eine willkommene Gelegenheit, das berühmte Yankee Stadion von innen zu sehen.

Dort befindet sich seit der ersten Saison vor zwei Jahren auch die Heimstätte des New York City FC. Für Fans wie auch für Organisatoren ein Alptraum. Man merkt, dass hier eigentlich Baseball gespielt werden sollte: Die Tribünen sind recht weit weg, außerdem sitzt man an vielen Stellen leicht schräg. Das Feld selbst wirkt irgendwie zu klein und man weiß nicht so recht, wo es anfängt und wo es beginnt. Der Umbau von Baseball auf Fußball – beziehungsweise zurück – selbst nimmt jedes Mal gute drei Tage in Anspruch: Was 16x im Jahr „a huge pain in the ass“ bedeutet (siehe dieses Zeitraffer-Video davon). Die folglich dringend notwendige Errichtung eines eigenen Stadions befindet sich allerdings nach wie vor in der Planungsphase.

Die Amis und der Fußball

Die USA haben bekanntlich eine eigenwillige Beziehung zum Fußball, sind sie doch eines der wenigen Länder, in denen der König nicht Fußball heißt (obwohl, in gewisser Hinsicht eigentlich schon, weil „Football“; aber Fußball heißt dort ja „Soccer“ – naja, ihr wisst schon, was ich meine).

Ich selbst muss am Weg zum Spiel an die hier ausgetragene WM 1994 denken – die erste, die ich einigermaßen aktiv verfolgt habe. Die imposanten (Football-)Stadien im Panini-Album (allen voran das Rose Bowl, in dem Roberto Baggio und manch anderer Italiener im Finale seinen Elfer verschoss). Den Effenberg‘schen Stinkefinger (für einen braven Volksschüler der ultimative Tabubruch). Die bunten Torwartdressen von Jorge Campos. Die legendäre Matt‘n von Carlos Valderrama. Und und und, das könnte jetzt ewig so weitergehen.

Die USA nannte man als Kind damals noch „Amerika“, als gäbe es den restlichen Kontinent nicht. Und Amerika, das war damals die in eine Nation gegossene Coolness. Die nach heutigen Maßstäben kleinen, noch nicht „irgendwas mit -plex“-Kinos waren von amerikanischen Filmen dominiert. Daheim im Röhrenfernseher liefen nachmittags bis frühabends amerikanische Serien: „Knight Rider“, „Alle unter einem Dach“, „Wer ist hier der Boss“, „Eine schrecklich nette Familie“, „Der Prinz von Bel-Air“, „Hör mal wer da hämmert“, „Baywatch“ und viele andere.

Die Musik war zu weiten Teilen aus Amerika, unter den österreichischen Nummer 1 Hits des Jahres 1994 befinden sich „I’d do anything for Love“ von Meat Loaf, „Streets of Philadelphia“ von Bruce Springsteen, „Without You“ von Mariah Carey“ und „I swear“ von All-4-One. Jeder kannte Michael Jordan, 1992 hatte das legendäre Dream Team bei der Olympiade in Barcelona für Furore gesorgt. T-Shirts und Pullover waren mit irgendwelchen sinnlosen Sprüchen und Wörtern bedruckt, die irgendwie amerikanisch klingen sollten. Spar versuchte mit „American Cola“ eine eigene Marke neben den Originalen zu etablieren. Es gab jedenfalls in Wien noch „Ami-Shops“ (nicht zu verwechseln mit „Army Shops“!), in denen man sich mit Zeitschriften, Büchern oder Gewand (Basketballdressen!) aus den USA eindecken konnte. Die allercoolsten Kinder flogen aber mit den Eltern direkt hin und präsentierten ihre Einkäufe voller Stolz vor den Augen des neiderfüllten Rests (zu dem ich gehörte).

Aller Coolness zum Trotz konnte das Kinderhirn allerdings nicht verstehen, wieso Fußball für die Amis nur eine Randsportart darstellte. Was an Football, Baseball, Basketball und Eishockey cooler sein könnte. Wenn das eigene Universum davon dominiert ist, muss das für alle anderen ja eigentlich auch gelten. Aber gut, damals dachte ich noch, dass die Amis auch daheim ihre Dollar in Schilling umrechnen müssen.

Gute Stimmung

Irgendwie muss sich das Bild von der Randsportart in mir festgenagt haben, sonst wäre ich nicht so überrascht gewesen, in der U-Bahnstation auf grölende Fans zu treffen, die noch dazu von auswärts angereist waren. Oder über die vielen Zuschauer – 23425, wie die spätere Google-Suche ergeben sollte, noch mehr als gedacht. Auch in Sachen Stimmung kein Riesenunterschied zu Europa, lautstarker Support kam neben dem Fansektor ebenso von den anderen Rängen. Ich selbst war etwa unwissentlich in der „Chicken Bucket“-Section gelandet. Der Name ist Programm: Es wird lauthals „Chicken Bucket“ skandiert, sobald jemand seinen mit Hendln gefüllten Kübel in die Luft hält. Der Kontrast zum Besuch bei einem Basketballspiel am Tag zuvor (Brooklyn Nets gegen die Cleveland Cavaliers), wo die Stimmung über weite Strecken aus den Lautsprechern kam, hätte größer nicht sein können.

Allgemein hielt sich das Entertainment in Grenzen und beschränkt sich auf die enthusiastische Einzelvorstellung der Spieler. Dazu das obligate Vorsingen der Nationalhymne (wie würde sich das wohl in der österreichischen Bundesliga anfühlen?). Kein Vergleich zum Basketball, wo fast jede noch so kleine Pause gefüllt wurde: Vom Einpeitschen per Videowall über „Kiss Cam“ und „Dance Cam“, Tanzeinlagen, (gratis) T-Shirts-Fangen bis hin zu „Simon says“ mit ein paar Zusehern, um nur einige Einlagen zu nennen.

Bier, Donald Trump und die Flüchtlingskrise

Das Spiel selbst ist anfangs erfrischend dynamisch, New York City geht in der 10. Minute durch ein Tor von McNamara nach einem Lattenschuss von David Villa in Führung. Etwas zu früh, um meinen Sitznachbarn zu umarmen, aber für ein high five mit seinen fleischigen Pratzen sollte es reichen. Er heißt Toni, ein pensionierter Polizist, der vor 48 Jahren als Kind von Kroatien in die USA gekommen ist. Beim Abspielen der Nationalhymne hatte er stolz seine Kappe auf die linke Brust gelegt. Wir haben schon von der ersten Minute an geplaudert, er hatte in Erinnerungen an das 1970er-Team der New York Cosmos geschwelgt und davon berichtet, wie Fußball in den USA immer beliebter wird, weil viele Kinder – so auch seine eigenen – damit aufwachsen. Dabei muss ich daran denken, dass auch die Amerikaner Vorbehalte gegen die Globalisierung haben – was sich laut dem Buch „How Football explains the World“ von Franklin Foer nicht zuletzt durch die weitverbreitete Sorge ausdrückt, dass Fußball beliebter werden könnte als Baseball. Welch Sinnbild, dass der New York City FC ausgerechnet das geschichtsträchtige Yankee Stadion okkupiert.

Als ich ihm den Ort unserer Unterkunft mitteile, reagiert er entsetzt – „that used to be a war zone.“ Zur daran anschließenden Frage nach seiner Zeit als Polizist im New York der 1980er und 1990er gibt er lediglich ein kurzes und umso vielsagenderes „trust me, I’ve seen things“ zu Protokoll. Außerdem nimmt er kurz seine Kappe ab, um uns eine auf einen Streifschuss zurückgehende Narbe auf seiner Schädeldecke zu zeigen.

In der 38. Minute der Ausgleich nach einem von Mendoza unglücklich abgefälschten Freistoß. New York City hat das Spiel aber weiterhin in der Hand, zumal New England ab der 51. aufgrund einer roten Karte ein Spieler fehlt. Pirlo bewegt sich wenig überraschend kaum und wenn, dann nicht gerade dynamisch; der Mensch steht sogar langsam. Aber immerhin spielt er, im Gegensatz zu Frank Lampard, „who is always injured“, wie mir Toni zuraunt.

Nachdem ich ihm mit meinen rudimentären Kroatisch-Kenntnissen und durch die Erwähnung einiger kroatischer Stars aus der Vergangenheit und Gegenwart (Davor Šuker, Zvonimir Boban oder Nikica Jelavić, selbstverständlich inklusive dem Hinweis, dass er bei Rapid seinen Durchbruch hatte) das ein oder andere zufriedene Brummen aus den Tiefen seiner gespannten Bauchhöhle entlockt habe, liegt genug Verbundenheit in der Luft, um ihn auf Donald Trump anzusprechen. Es liegt mir schon seit der Nationalhymne auf der Zunge, Toni passt nur allzu gut ins Narrativ vom verärgerten weißen Mann. „My man“, sagt er mit nach oben gerecktem Daumen. Was wir in Europa über Trump hören und lesen weist er als übertrieben und falsch dargestellt zurück. Trump sei ein erfolgreicher Geschäftsmann und damit genau das, was die USA im Moment brauchen (ich überlege kurz, ihm die Last Week Tonight-Folge zu Donald Trump ans Herz zu legen, lasse es aber dann doch bleiben). Außerdem stehe er für Sicherheit, ein Punkt, in dem Toni die Europäer übrigens überhaupt nicht versteht. „How can they let so many people in unchecked? Germany doesn’t even know where more than 600 000 asylum seekers are! That’s a security nightmare unthinkable in the US.” Auch wenn selbstverständlich nicht alle Muslime böse sind – Trump habe das auch nicht so gemeint – könnte ein kleiner Prozentsatz an „bad guys“ viel Schaden anrichten.

Unterdessen plätschert das Spiel so dahin, ein Rückpass zum Tormann führt zu Buhrufen. Die Sonne scheint, ein klischeehaft-schöner Fußballnachmittag. Mittlerweile schreie ich bei „Chicken Bucket!“ lauthals mit. Das Politikthema ist abgehandelt, Toni spricht mit meinen beiden französischen Freunden noch etwas über den dortigen Fußball; sie berichten erstaunt, dass Thierry Henry zu seinem ersten Spiel für die New York Red Bulls mit der U-Bahn zu Spielen fahren konnte. Ja, noch geht das. Wer weiß, wie lange noch.

Time to say goodbye

Um den Massen zu entgehen, brechen wir 10 Minuten vor Schluss auf, zumal noch ein Basketballspiel (Brooklyn Nets gegen die Indiana Pacers) am Programm steht. Erinnerungsfoto mit Toni. Draußen im Tribünenbereich noch ein letzter Blick auf die Riesenleinwand und ein typisch-US-amerikanisch freundliches „thanks for coming, hope, you had a great time“ vom Security am Ausgang. Das WLAN-Signal reicht noch einige wenige Meter außerhalb des Stadions, immer noch 1:1. Dabei sollte es dann auch bleiben.

Es gibt viele Gründe, sich im Ausland Fußballspiele anzusehen. Neben der Fankultur, dem Spiel selbst oder der Stadienarchitektur, -akustik und -atmosphäre gehe ich auch gerne anderswo ins Stadion, um mich mit Leuten zu unterhalten, mit denen ich sonst kaum ins Gespräch kommen würde. Zu hören, was sie zu erzählen haben und wie sie die Welt sehen. Einmal mehr hat der Fußball seine dahingehende verbindende Wirkung entfaltet. Eine Brücke ins Denken ganz normaler Menschen gebaut und Einblicke ermöglicht, die man im Urlaub sonst eher schwer bekommt. Mit Andrea Pirlos Haarpracht, die auch beim Traben so schön wallt wie sonst bei kaum jemandem, als Sahnehäubchen.

Ralph Janik, abseits.at

Ralph Janik

Assistent an der Universität Wien (Fakultät für Rechtswissenschaften, Abteilung für Völkerrecht und internationale Beziehungen). Rapidler. Ewig strebend bemüht, dem Fußball in seiner Lehrtätigkeit ein wenig Platz einzuräumen.

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