Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder... Men to (re)watch (4) –  Christopher Drazan (KW 4)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. In Teil 4 wollen wir uns mit Ex‑Rapid-Spieler Christopher Drazan beschäftigen…

Peter Elstner, der im Juni 2021 plötzlich verstorben ist, war eine Legende unter den Sportreportern. Nachdem er das Mikrofon an den Nagel gehängt hatte, coachte der Pensionist die jungen Spieler des SK Rapid Wien, um sie für ihre ersten Medientermine zu schulen. Elstner stellte in seinem letzten Buch die Frage, ob es nur Zufall sei, dass jene seiner Schützlinge, die beim Interview-Training besonders eifrig bei der Sache waren, oft stabilere Karrieren hinlegten als Kicker, denen der damalige Unterricht eher lästig war. In letztere Kategorie fällt Christopher Drazan.

Zorans Schützling

Elstner schildert in seinem Buch die Situation, als er mit dem Mittelfeldspieler ein fiktives TV-Interview nachspielen wollte. Drazan fragte vor Beginn frech: „Was krieg ich, wenn ich gut bin?“, Elstner erwiderte: „Was willst denn?“. Drazan: „Früher heimgehen“. Elstners Miene verfinsterte sich und er schickte den Jungspund mit den Worten: „Weißt was, du kannst gleich gehen!“ nachhause. Das passte zu Drazans Ruf: Nachdem er anfangs als Supertalent gegolten hatte und mit dem nach Frankfurt abgewanderten Ümit Korkmaz verglichen wurde, machte er schon nach seiner ersten vollen Saison bei den Rapid-Profis nicht nur mit taktischen Defiziten, sondern auch mit einem gewissen Maß an Undiszipliniertheit, Brutalität und auch Antriebslosigkeit von sich Reden. Nach seinem ersten Auslandsengagement wechselte er die Klubs beinahe im Jahrestakt, mit jedem Vereinswechsel war sein neuer Arbeitgeber weniger glamourös als der vorherige.

Aktuell kann die Lage des 31-jährigen mit dem Statement des Sportdirektors zu seiner letzten Vertragsauflösung beschrieben werden: „Drazan ist sehr verletzungsanfällig und bekam die Knieprobleme nie in den Griff. Er ist ein toller Kerl, aber leider ist seine Zeit bei uns vorbei.“, meinte der sportliche Leiter des ASV Siegendorf. Siegendorf in der burgenländischen Landesliga. Ein bitterer Abstieg für einen Kicker, der im Jänner 2013 noch zum 1. FC Kaiserslautern gewechselt war und hunderttausende Euro in die grün-weiße Kasse gespült hatte. Für Drazan ist der Profifußball heute Geschichte: „Es geht von meinem Knie her nicht mehr.“, meinte er im März 2021. Seine Karriere sei definitiv anders gelaufen als er sie sich vorgestellt hatte.

Als diese Karriere noch in den Sternen stand, wurde Christopher als Sohn von Friedrich „Fritz“ Drazan am 2. Oktober 1990 in Wien geboren. Fritz Drazan gilt als Austria Wien-Legende und wurde mit den Veilchen viermal Meister und einmal Pokalsieger. Gute Startvoraussetzungen also für den Junior! Christopher begann bei jenem Verein zu kicken, bei dem auch sein Vater zum Zeitpunkt seiner Geburt gespielt hatte: beim ASV Vösendorf. Danach ging es in die Admira-Akademie; für die Kampfmannschaft der Südstädter kam Drazan bereits als 15-jähriger zum Einsatz. Plötzlich galt Christopher als „heißes Eisen“ und Rapid verpflichtete den Jungspund für nur 4.500 € Ausbildungsentschädigung. Der Teenager sollte bei den Amateuren behutsam aufgebaut werden. Als 17-jähriger debütierte Drazan schließlich für die Grün-Weißen gegen den Kapfenberger SV in der Profi-Mannschaft. Erste Spiele stimmten die Rapid-Anhänger freudig und so wurde der Sohn eines Ex-Austrianers der Lieblingsschüler vom damaligen Co-Trainer Zoran Barisic: Drazan hatte Spielverständnis, war schnell und ein guter Linksfuß. Seine Flanken kamen präzise und die Kurve jubelte, wenn er mit jugendlichem Eifer den linken Flügel beackerte.

Kurz nach seinem Bundesligadebüt lieferte er eine tolle Leistung im CL-Qualifikationsmatch gegen Anorthosis Famagusta ab: Er bereitete beim Heimsieg die Tore zum 2:1 sowie zum 3:1 vor. Der einzige Trost an diesem Abend war das – trotz schmerzlichem Ausscheiden – eine „A star is born“-Stimmung im damaligen Hanappi-Stadion herrschte, wenn man auf den jungen Drazan zu sprechen kam. Exemplarisch dafür kniete Stefan Maierhofer beim Abklatschen vor dem rotwangigen Teenager, dem das Trikot um den Körper schlotterte, nieder.

Nur wenige Wochen später unterzeichnete Drazan an seinem 18. Geburtstag einen Fünf-Jahres-Vertrag bei den Hütteldorfern. Für ihn ging es Schlag auf Schlag: Stammspieler, Einberufung ins U-21-Nationalteam, ein Jahr später A‑Nationalteam-Debüt. Doch diese Erfolge sollten letztendlich Strohfeuer sein: Einer, der ersten, der die Entwicklung des Flügelflitzers kritisch beäugte, war Peter Pacult. Der gebürtige Floridsdorfer beanstandete öffentlich Drazans fehlendes taktisches Verständnis sowie seine Schwächen in der Defensive. Hemdsärmelig stellte der damalige Rapid-Trainer außerdem fest: „Wie soll ein Spieler das verkraften, dass er in der Nationalmannschaft ist, wenn er zweimal mit dem Hintern wackelt?“

Ja, genau das war das Problem. Man hörte munkeln, dass es bei Drazan Einstellungsprobleme gab, wie er letztes Jahr selbst anklingen ließ: „Wenn man spielt, denkt man, es bleibt immer so und macht vielleicht ein paar Sachen weniger. Man lässt manchmal nach. Ich habe es zwar immer ernst genommen, aber vielleicht habe ich ein, zwei Schritte weniger gemacht. Im Nachhinein würde ich das anders machen.“ Dazu kam seine ruppige Art auf dem Platz: Blutgrätschen und Revanchefouls brachten dem gebürtigen Wiener in seiner gesamten Karriere sechs Platzverweise ein. Seine Verletzungshistorie wurde schon in seiner Debütsaison, der Spielzeit nach dem letzten Rapid-Meistertitel, eingeläutet, als sich der erst 17-jährige am Meniskus verletzte.

Steilflug nach unten

Unterm Strich sollten sein Tor gegen den HSV beim 3:0-Heimsieg in der Europa League 2009 und der Volleytreffer nach einer Eckballvariante im Cup-Achtelfinale gegen Ried 2011 die Highlights seiner Rapid-Karriere werden.

Nachdem die Anfangseuphorie verflogen war, zeigte sich nämlich die Monotonie von Drazans Können: Es sollten viele Spiele folgen, in denen er farblos blieb, seine Flanken im Nichts endeten und er nur durch überharte Grätschen auffiel. Seine Schnelligkeit, die selbst in der Meistersaison keine besondere Stärke der Rapidler – mit Ausnahme von Hoffer und Korkmaz – war, konnte nicht sein bald durchschaubares Laufspiel wettmachen. Peter Pacult verbannte ihn im Herbst 2010 wieder zu den Amateuren. Erst als Pacults Tage im Wiener Westen gezählt waren, spielte Christopher wieder in der Rapid-Kampfmannschaft. Interimstrainer Barisic wollte Konstanz ins Spiel seines ehemaligen Kronprinzen bringen, doch Drazan etablierte sich nicht als Stammkraft: Er ergriff zu wenig die Initiative, man hatte sich von ihm mehr erwartet. Er selbst sucht die Schuld bei seiner körperlichen Verfassung: „Meine Verletzungen sind leider immer zu blöden Zeitpunkten passiert.“

Trotzdem schaffte er den Sprung ins Ausland: Noch vor Ende seines Vertrages im Juni 2013 holte ihn der damalige Kaiserslautern-Coach Franco Foda auf den Betzenberg. Fans der Hütteldorfer atmeten auf, denn Drazan war die Metamorphose zum gestandenen Kicker nicht gelungen. Sie waren glücklich ihn los zu sein.

Was zum Durchbruch in der zweiten deutschen Bundesliga werden sollte, mutierte zum U-Turn in Drazans Karriere: Er machte für die roten Teufel nur 11 Spiele, wurde nach Erfurt und anschließend zum LASK in die zweite Liga verliehen. Im Saisontakt ging es danach für ihn nach St. Pölten, Lustenau, Vaduz und Dornbirn. Doch die meiste Zeit verbrachte Drazan nicht im Training, sondern in der Reha: So ließ ihn ein Knochenödem im Jahr 2015 ganze 548 Tage pausieren, ab November 2018 war er wegen Knieproblemen eineinhalb Jahre außer Gefecht.

Als Vater Fritz im Juli 2019 völlig unerwartet starb, musste der damals 28-jährige einen schweren Schicksalsschlag verkraften. Doppelt traurig, wenn man bedenkt, dass er anlässlich seines Engagements beim LASK meinte, sein Ziel sei es in diesem Alter auf der Insel zu kicken. In Wahrheit befand sich Christopher beruflich im Abwärtstrend. Er selbst scheint heute seinen Frieden damit gemacht zu haben: „Es wäre sicher mehr möglich gewesen, als dann passiert ist. Aber ich beschwere mich nicht, es hat gepasst.“

Vermutlich kam bei Jimmy Hoffers Jugendfreund ein gefährlicher Cocktail zusammen, der es dem Spieler nicht ermöglichte, aus seinen Anlagen das Beste zu machen: Drazan litt nicht nur an der klassischen österreichischen Kickerkrankheit, die ihm zu wenig Ernsthaftigkeit dafür aber eine gehörige Portion Beratungsresistenz bescherte. Schon in seiner Rapid-Zeit warf man ihm – anlässlich lustloser Auftritte – vor, er habe die innere Kündigung bereits vollzogen. Der Mittelfeldspieler schaffte es nicht variabler zu werden, seine Stärken zu adaptieren und so den nächsten Schritt zu einem Klassespieler zu machen. Doch ausschlaggebend für den weiteren Verlauf seiner Karriere war wohl auch, dass Drazan insgesamt achtzehn, zum Großteil langwierige, Verletzungen erlitten hatte und aufgrund der daraus resultierenden Rekonvaleszenz in vielen seiner Kurz-Engagements keinen Spielrhythmus entwickeln konnte. Die jeweiligen Vereine reichten den Glücklosen einfach weiter, bis er 2021 beim SC Katzelsdorf landete.

Aktuell darf Drazan als Co-Jugendtrainer bei seinem alten Verein im 14. Wiener Gemeindebezirk in eine Karriere schnuppern, die hoffentlich besser als seine alte laufen wird.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag