Die erste Euro im Osten – was blieb von der EM 2012?
Fußball & Business 28.Juli.2019 Werner Sonnleitner 0
Im Sommer 2012 schaute die Fußballwelt – zumindest der europäische Teil davon – nach Osteuropa. Die 14. Fußball-Europameisterschaft fand in Polen und der Ukraine statt. Für kolportierte zwei Milliarden Euro wurden acht Stadien gebaut oder zumindest von Grund auf saniert. Jetzt, ziemlich genau sieben Jahre nachdem Spanien in Kiew den Titel-Hattrick zelebrierte, schauen wir in Teil vier unserer Stadien-Serie auf das aktuelle Schicksal der ehemaligen EM-Arenen.
Warschau (Stadion Narodowy, Neubau, 5 Spiele, 58.500 Plätze)
2008 wurde der Neubau beschlossen, der aber deutlich teurer als veranschlagt und schlussendlich bei über 360 Millionen Euro resultierte. Highlight ist die transparenten Fiberglas-Dachkonstruktion, infrastrukturell wurde der Metro-Bahnhof modernisiert. Seit 2015 firmiert das Stadion als „PGE Narodowy“ und ist in die höchste UEFA-Kategorie eingestuft. Es dient dem polnischen Nationalteam als Heimstätte, Klubfußball findet man in der modernsten Arena des Landes keinen. Im Stadion steigen dann und wann American Football Spiele, eine Wissenschaftsmesse oder Speedway-Rennen. 2014 fand die Volleyball-WM statt, mit über 60.000 Zuschauern war das Spiel der Hausherren gegen Serbien das bestbesuchtes Volleyball-Match aller Zeiten. Konzerte gibt es ebenfalls, heuer waren beispielsweise Phil Collins, Pink oder Bon Jovi schon zu Gast. Und bald, am 9. September werden sich die Mannen um Franco Foda dort einfinden, wenn es für das Nationalteam in der EM-Quali gegen Polen geht.
aktuelle Nutzung: Nationalstadion
Posen (Stadion Poznan, renoviert, 3 Spiele, 43.090 Plätze)
Die in den Neunzehn-Siebzigern errichtete Arena wurde ab 2003 um 180 Millionen Euro generalsaniert. Bei der Euro war es damit Polens einziges nicht neugebautes Stadion. Für das Großereignis putzte man sich schick heraus und mutierte zu einem echten Schmuckkästchen. Aus der unbeliebten U-Form – bestens bekannt von der Linzer Gugl – wurde eine reine Fußballarena. Das futuristische Membrandach ist das Markenzeichen. Das polnische Nationalteam ist auch immer mal wieder zu Gast, in erster Linie bespielt es aber Lech Posen. Konzerte und andere Veranstaltungen gibt es ebenfalls im „Stadion Poznan“.
aktuelle Nutzung: Lech Posen, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 11.953
Breslau (Stadion Miejski, Neubau, 3 Spiele, 42.771 Plätze)
Futuristisch wirkt der Neubau direkt an der Autobahn. Für über 200 Millionen Euro wurde das Oval errichtet und im September 2011 eröffnet, ehe es behördlich gesperrt (Probleme mit der Bewässerungsanlage) und erst sechs Wochen vor Turnierbeginn wieder freigegeben wurde. Die steile Bauweise bietet eigentlich die Basis für prickelnde Hexenkessel-Atmosphäre. Dazu bräuchte es aber den entsprechenden Zuschauerandrang, zuletzt war dies nur selten der Fall. Am Areal des Stadions wurde auch noch ein Einkaufs- und Unterhaltungszentrum platziert.
aktuelle Nutzung: Slask Wroclaw, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 9.082
Danzig (PGE Arena Gdańsk, Neubau, 4 Spiele, 41.582 Plätze)
An der Ostseeküste wurde 2011 der Neubau eröffnet, der knapp 200 Millionen Euro kostete. Die Stadt ist für sein reiches Bernstein-Vorkommen berühmt, nicht zuletzt deswegen schimmert die aus 18.000 einzelnen Platten bestehende Fassade in Bernstein-Optik. Neben Fußball dient es auch als Entertainmentzentrum und bietet Hotels, Bürogebäude und Messeflächen am Stadionareal. Fußballerisch geht es schon dieser Tage weiter: Lechia Gdańsk, der Dritte der abgelaufenen Meisterschaft bestreitet dort die Qualifikation zur Europa League.
aktuelle Nutzung: Lechia Gdańsk, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 14.746
Kiew (Olympiastadion Kiew, Umbau, 5 Spiele, 70.050 Plätze)
Um knapp 600 Millionen Euro wurde das 1923 eröffnete Olympiastadion generalsaniert. Als Endspielort fiel das Stadion im ersten, etwas spartanischeren Entwurf bei den UEFA-Delegierten durch. Leicht nervös erfolgte so das kostspielige „Go“ für den kompletten Umbau, nach dem Motto „Koste es was es wolle – Hauptsache Finale“. Drei Viertel des Stadions wurden vollständig ersetzt und schlussendlich resultierte das alte Oval in einem topmodernen Stadion.
Im vorigen Sommer jubelten Sergio Ramos und seine Kollegen an dieser Stelle über den Champions League Titel. Nationalen Klubfußball bietet das größte Stadion der Endrunde 2012 ebenfalls. Dynamo Kiew, seines Zeichens Rekord-und aktueller Vizemeister nimmt von dort aus in der Quali den Anlauf zur Königsklasse. Und dann könnten schon – drei Jahre nach Aleksandar Dragović – wieder Österreicher im Olympiastadion aufspielen: Der LASK könnte nämlich auf die Ukrainer treffen.
aktuelle Nutzung: Dynamo Kiew, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 12.987
Donezk (Donbass Arena, Neubau, 5 Spiele, 51.504 Plätze)
Die nun ehemalige Heimstätte des Champions League Stammgasts und amtierenden Meister Shakhtar Donetsk wurde um 180 Millionen Euro bis 2009 gebaut. Beim Konflikt um die Ostukraine wurde das Stadion zerstört. Zertrümmert in Stücke – an einem Samstagvormittag im August 2014 bei zwei Bomben-Einschlägen. Verletzt oder getötet wurde beim Angriff glücklicherweise niemand. Das Stadion soll irgendwann wiederaufgebaut werden. Der Serienmeister wich in der Folge für zwei Jahre in die Westukraine nach Lemberg aus und spielt seit 2017 im 300 Kilometer entfernten Charkiw.
aktuelle Nutzung: geschlossen
Charkiw (Metalist-Stadion, renoviert, 3 Spiele, 38.633 Plätze)
Der Oblasnyj Sportywnyj Komplex (OSK) wurde für die Europameisterschaft um fünfzig Millionen generalsaniert. Dabei wurde die schon länger in Bau befindliche Südtribüne fertigstellt und das Dach modernisiert. Neunzig Jahre lang spielte Metalist Charkiw seine Heimspiele dort. Von den Wirren des Krieges in der Ukraine blieb der Klub nicht verschont, wurde insolvent und stellte 2016 den Spielbetrieb ein. Der Nachfolgeklub spielte nicht mehr im EM-Stadion, dafür übersiedelte Shakhtar Donetsk dorthin.
aktuelle Nutzung: Shakhtar Donetsk, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 6.170
Lemberg (Arena Lwiw, Neubau, 3 Spiele, 34.915 Plätze)
Um 220 Millionen wurde das extravagante Stadion für die drei Vorrundenpartien errichtet, die veranschlagten siebzig verdreifachten sich. Auffällig ist das extravagante Design, das keine geometrischen Formen aufweist und so für Groundhopper oder Stadienliebhaber extrem spanend ist. Wie erwähnt, trug hier Shakhtar Donetsk– 1.200 Kilometer fern der Heimat gelegen – für zweieinhalb Jahre seine Heimspiele aus. Fußballtechnisch steht das Stadion jetzt leer, für die beiden Lemberg Klubs Karpaty und FK Lviv ist das kleinere Stadion „Ukraina“ attraktiver. In der Gegenwart finden zumindest Kongresse und Veranstaltungen dort statt.
aktuelle Nutzung: keine
Ein ungleiches Fazit
Die ungleichen Folgen in den beiden Ausrichterländern lassen einen seriösen Vergleich nicht zu. Der polnische Fußball hat von der Innovationsoffensive profitiert, die Zuschauerzahlen sind in den vier EM-Stadien okay. Von den Infrastruktur-Verbesserungen profitiert auch der Bürger.
Anders die Lage in der Ukraine. Durch den Konflikt mit Russland verloren direkt (Shakhtar Donetsk) oder indirekt (Metalist Charkiw) zwei Spitzenklubs ihre eigentliche Heimstätte. Fußball spielt in den letzten Jahren im 42 Millionen Land nur eine Nebenrolle.
Hier gibt’s nocheinmal einen Streifzug durch die acht Stadien ehe unsere Reise im nächsten Teil Richtung Copacabana und Zuckerhut führen wird.
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Werner Sonnleitner
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