Digitalisierung: Die neuen Möglichkeiten des „Laptop-Trainers“
Fußball & Business 28.Juni.2017 Werner Sonnleitner 0
Im dritten und letzten Teil der Digitalisierung-Serie möchten wir uns heute dem wichtigsten Puzzlestück widmen: Dem Trainer. Gemeinsam mit seinem Betreuer-Team muss er die inflationär entstehende Zahlen- und Statistikflut rund um seine Mannschaft selektieren, diese dann richtig interpretieren und daraus die für die Mannschaft bzw. den Spieler optimalen Schlussfolgerungen ziehen. Hier trennt sich ganz klar die Spreu vom Weizen. Bewusst überspitzt formuliert: Der überehrgeizige Laptop-Trainer der vom realitätsfremden PowerPoint-Manager „installiert“ wurde, genießt vor allem im Mainstream einen zweifelhaften, oft noch belächelten Ruf. Wir möchten aber heute aufzeigen, dass sich im Prinzip schon fast jeder Übungsleiter die Technik zu Nutze macht. Und Fakt ist, dass in der Vergangenheit kaum ein Trainer so viele Hilfsmittel zur Verfügung hatte, um den Zufall bewusst zu minimieren und seine Mannschaft möglichst perfekt auf den Gegner vorzubereiten.
Die Vorbereitung am Büro und am Trainingsplatz
Nachdem mittlerweile bei den meisten Profi-Spielen schon fast jeder Aspekt des Spiels sowie des Umfeldes erfasst und mit Hilfe neuer Technologien ausgewertet wird, kann sich der heutige Trainer an einer riesigen Kennzahlen-Datenbank bedienen. Zwischen den Bewerbspielen hat der Chefcoach immer neue Möglichkeiten, den Spieler optimal auf seine Aufgaben hinzutrimmen. Parameter zum Fitnesszustand werden zur idealen Dosierung der Trainingsintensität genutzt.
Mannschaftstaktische Fehler offenbaren Bewegungsmuster-Analysen und können in den Trainingseinheiten gezielt bearbeitet werden. Die vermeintlichen Schwächen werden oft erst durch Zahlen wirklich offensichtlich und führen dann eher zum Umdenken als nur das rein subjektive Gefühl. Natürlich werden aber auch positive Fähigkeiten oder individuellen Stärken transparent, die man gezielt fördern und weiterentwickeln kann. Richtig im Mannschaftsverbund kombiniert, können mit diesen Kenntnissen die Spielidee oder die Taktik gezielter abgeleitet werden.
Mit immer neuen Auswertungen rund um seine Spieler, Mannschaftsteile aber auch gegnerischen Teams, kann der Betreuerstab im Training an unzähligen Stellschrauben drehen. Dies erfordert natürlich einerseits viel Einsatz im Büro. Andererseits aber auch Übung und Routine, vor allem auch ein gewisses Talent oder Gespür die wesentlichen Eigenschaften gezielt aus dem riesigen Datenpool herauszufischen. Digitale Technologien können unterstützend helfen Entscheidungen vorzubereiten bzw. Empfehlungen abgeben. Doch der Trainer profitiert von dieser rein objektiven, maschinellen Expertise nur dann, wenn er sie angemessen abwiegt und daraus die richtigen Schlüsse zieht. Er muss Herr über die Daten werden und nicht umgekehrt. Das Ganze in Einklang mit seinen persönlichen Soft-Skills, dem menschlichen Instinkt, taktischen Überlegungen oder dem Entwickeln neuer Ideen, die ein Computer so nicht darstellen kann.
Digital am Matchday
In der Spielerbesprechung haben animierte Taktikgrafiken die gute alte Magnettafel – häufig schon bis in untere Klassen – ergänzt (wohlgemerkt: natürlich noch nicht abgelöst!). Ist die Match-Vorbereitung erst einmal abgeschlossen, wird es schon ungleich schwieriger während des Spiels auf die Mannschaft einzuwirken. Doch auch das In-Game-Coaching gewinnt an neuen Möglichkeiten. Während die Spieler am Feld noch schwitzen, werden schon Videos für die Pausenanalyse geschnitten, die dann in der Kabine besprochen werden. Ebenso erhalten Wechselspieler oft ihre Instruktionen vom „Co“ am Tablet serviert, wo Bewegungsmuster ablaufen oder mögliche Schwachstellen zum Anbohren identifiziert und dem Joker visualisiert werden. Ansonsten können aus dem Rahmen laufende Werte während des Spiels ein Alarmsignal sein, die der aufgeschlossene Coach mit Umstellungen kitten kann.
Ein wesentlicher Punkt ist natürlich die Analyse der Leistung bzw. des eigenen Spiels, die mit dieser digitalen Unterstützung transparenter beurteilt werden kann. Die Zahlen im Hintergrund führen weg vom Bauchgefühl und Intuition, hin zur faktenbasierten Bewertung. Doch genau da lauert auch die große Gefahr hinter der Kennzahlenflut. Die schier unbegrenzte Menge an Daten kann schnell überfordern. Oder noch schlimmer, zu falschen Schlüssen führen. Und verläuft sich der (vielleicht schon angezählte) Statistik-Nerd in der Coaching Zone mal zu sehr in den Zahlen, verliert er schnell den Draht zu seinen Spielern. Soziale Kompetenz und Empathie dürfen natürlich stures Kennzahlen- und Statistikdenken nicht überlagern.
Die deutsche Nationalmannschaft als digitaler Vorreiter
Oliver Bierhoff gab vor einiger Zeit bei einer Podiumsdiskussion ganz konkrete Einblicke über die Digitalisierung innerhalb der deutschen Nationalmannschaft. Als konkretes Beispiel: 2004 hatte ein Spieler in der Offensivaktion den Ball im Schnitt noch ganze drei Sekunden am Fuß. 2010 lag der Wert nur mehr bei einer knappen Sekunde. Wie man diesen Fortschritt erreichte: Im Training wurden immer wieder die „Zwischenzeiten“ erhoben und ausgearbeitet, um danach mit den Spielern entsprechend daran zu feilen. Dies ist jetzt nur eine Kennzahl, ein Puzzleteil mit dem der DFB die Leistungen seines Personals kontinuierlich überwacht und zu optimieren versucht. Sensoren visualisieren dazu noch ganze Bewegungsmuster, zeigen mannschaftstaktische Schlüsse auf, die das menschliche Auge bzw. Gehirn so vielleicht gar nicht wahrgenommen hätte.
Ganz wichtig ist dem DFB dabei immer die Einbindung der Spieler in deren Trainingsmethoden, da die besten Ideen nichts nutzen, treffen sie auf unmotivierte bzw. der Thematik nicht aufgeschlossene Ohren.
Auch der Hobbybereich staubt ab
Der Spitzensport forscht quasi und zumindest in Deutschland stellt der DFB zahlreiche, laufend aktualisierte Trainingspläne seinen Unterhaus-Coaches im Internet zur Verfügung. So gesehen profitiert auch das Unterhaus wie der Nachwuchs von möglichen neuen Trainingsinhalten, kann auch abseits der Profis auf ein breit ausgearbeitetes und erprobtes Trainingsspektrum zurückgreifen. Durch diesen Wissenstransfer entwickelt sich der Fußball innerhalb der Bundesrepublik und quer durch die Altersklassen taktisch ungemein weiter, wie vor allem der Jungendtrend bei unseren „Lieblingsnachbarn“ belegt.
Doch auch hierzulande stellen sich schon viele Trainer am Unterhaussportplatz mit den Video-Archiven aus dem Liveticker auf den nächsten Gegner ein. Die Entstehung der Tore, das Verteidigen von Standardsituationen oder generell bestimmte Spielereigenschaften lassen sich mit etwas Fleiß aus den frei zugänglichen Informationen im Netz schon ganz gut aufbereiten.
War das Kamerakind vom eigenen Verein, kann man auf eine angeschnittene 90-Minuten Version des Spiels der eigenen Mannschaft zurückgreifen und dieses dann sezieren. Manche Trainer führen vielfach auch individuelle Datenbanken und sammeln im Spiel mittels Fragebogen bestimmte Facts zu den gegnerischen Mannschaften. Die dann bei einem nächsten Aufeinandertreffen ganz nützlich sein bzw. den vielleicht spielentscheidenden Unterschied ausmachen können. Dazu sind immer mehr Apps und Webplattformen am Vormarsch, die auch den Amateur-Coaches Unterstützung anbietet.
Doch gerade in diesem Bereich gilt: Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit der Daten ist dies definitiv alles andere als eine Arbeitserleichterung. Wer sich mit technischen Errungenschaften im Unterhaus intensiv auseinandersetzt, wird unzählige Stunden mehr in diese Aufgabe investieren müssen. Dafür kann gerade hier eine taktisch gut eingestellte Mannschaft ungleich stärker davon profitieren.
Zusammengefasst heißt das…
Kaum ein Trainer kann sich heute noch erlauben, die technischen Errungenschaften zu negieren. Je höher die Liga, je näher am professionellen Fußball, je dichter an der Spitze desto mehr zementiert sich diese Tatsache. Während vor allem junge, moderne, technikaffine „Taktik-Trainer“ mit diesem Image bewusst offensiv werben, überlässt der eingesessene, erfahrene Trainer oft geschulten Experten im Hintergrund die Datenverwertung.
Unbestritten ist: Die digitale Transformation wird sich auch in Zukunft weiter ausbreiten. Doch auch die größten Datenmengen können fehlenden Haus- oder Fußballsachverstand, Gespür und Talent für den Trainerjob ebenso wenig ersetzen, wie eine für das jeweilige Team angemessene Menschenführung. Also die gute Nachricht: Auch in naher Zukunft wird noch keine künstlich intelligente Maschine in der Coachingzone die Herren Klopp, Mourinho oder Ancelotti arbeitslos machen. Doch wie der Trend der letzten Jahre beweist, werden sie immer mehr zur rechten Hand für den Betreuerstab, sind eine nützliche Ergänzung und bieten richtig eingesetzt viele Möglichkeiten. So gesehen kann ein ambitionierter Trainer mit digitalen Hilfsmitteln eine gute Basis legen, um die Zufallswahrscheinlichkeit zu minimieren und das vorhandene Potential zu maximieren. Damit profitiert die eigene Mannschaft – zumindest langfristig – davon definitiv!
Werner Sonnleitner, abseits.at
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