Europas großer Fußballhype 2015/16 (2): Das Beste ist der Feind des Guten
Fußball & Business 19.März.2016 Raphael Gregorits 1
Verschiedene Mediengerüchte beschäftigen sich in den letzten Wochen mit der Entwicklung einer europäischen Fußballliga. Das ruft für alle Fußballwettbewerbe existentielle Fragen auf den Plan.
Beginnen wir grundsätzlich: Ist die erwartete sportliche Qualität eines Fußballspiels der Grund für die Betrachtung eines solchen? Die regionale Verbundenheit und authentische persönliche Erfahrungen scheinen für den Fan (oder: Konsumenten) immer mehr in den Hintergrund zu treten. Denn im Wochenverlauf ist es heutzutage möglich, täglich Spitzenfußball live im Fernsehen zu sehen.
Die grundsätzlich konservative italienische Liga trägt einen Spieltag mittlerweile von Freitag bis Montag aus, um in der heftigen Konkurrenz zu den anderen großen Fußballländern international nachgefragte Live-TV-Minuten bieten zu können. Großklubs wie der AC Milan können nur auf einen Fall hoffen um wieder zu fußballerischer Qualität der höchsten Kategorie zurückzufinden: die Gründung einer übernationalen „Super“-Liga. In einem idealistischen Fall könnten auch die im vorangegangenen Teil dieser Serie genannten Metropolen aus kleinen und mittleren Ländern Platz in so einer Liga haben. Die ökonomische Stärke einer Region wäre Rechtfertigung und Mittel um sich mit jenen messen zu können, die im Moment in völlig anderen Sphären spielen.
Aber was hieße das für alle anderen? Ein Gedankenspiel: die 32 größten europäischen Städte – davon aus Russland höchstens zwei, hier gäbe es einige mit mehr als einer Million Einwohner – gründen eine Liga. Die fußballerische Qualität in dieser geschlossenen Gesellschaft würde sich schnell noch viel weiter vom Rest des Fußballs abkoppeln, als dies durch die aktuelle Ordnung, mit der Champions League ganz oben gegenüber sämtlichen anderen Fußballwettbewerben, ohnehin der Fall ist.
Dieses Szenario könnte ein europäisches Ideal verkörpern, würde aber andere europäische Ideale völlig vernachlässigen. Einerseits: Ganz Europa wäre ständig im geregelten Fußball-Wettbewerb integriert. Andererseits: wer (besser: wie viele?) würde(n) noch „den anderen“ Fußball schauen?
Die nationalen Ligen, die Amateurligen, die Freundschaftsspiele. Die Klub-Vertreter eines Landes würden über die Superliga bald mit den Nationalteams um die Vertreterrolle von Ländern und Regionen eifern.
Viel wahrscheinlicher als das skizzierte Szenario einer regional über ganz Europa verteilten Liga scheint jedoch eines, das nur die aktuelle ökonomische Stärke der Klubs berücksichtigt.
Schon im Jahr 2016 kennt die öffentliche Debatte oft nur zwei Zuschreibungen: „Weltklasse“ und „chancenlos gegen Weltklasse“. Für Investoren eine passende Argumentationslinie um den Fußball weiter nach ihren Vorstellungen zu strukturieren. Insbesondere die letzten fünf Jahre zeigen dabei eine bis dahin nicht gesehene Entwicklung: den Einstieg von Unternehmen, die mit Fußball tatsächlich Geld verdienen möchten. Manchester United, FC Liverpool und Arsenal, Roma und Inter, Valencia und andere stehen mehrheitlich im Besitz amerikanischer und asiatischer Investoren, die nicht auf der Suche nach sportlichem Erfolg sind. Denn die Einnahmenseite ist bei einigen Klubs längst von der Performance auf dem Feld abgekoppelt. Diese Entwicklung ist durchaus sinnvoll, so lange es um die bloße Existenz geht – ein Fußballverein sollte auch schlechte Phasen überstehen können. Wenn aber freies Kapital nicht mehr dem eigentlichen Zweck des Gewinnens gewidmet, sondern als Dividende abgeschöpft wird (als besonders extrem ist hier die Entwicklung des FC Arsenal zu nennen), geht es nicht mehr um den Sport an sich. Das emotionale Gebilde Fußball wird zu einer Unterhaltungsmaschinerie, die Hoffnungen und Emotionen ausnutzt, aber nicht alles dafür tut, diese zu erfüllen.
Das widerspricht dem Grundgedanken des „Klubs“ und des „Vereines“, Einrichtungen, die von einer Gruppe gegründet und getragen als oberstes Ziel den gemeinsamen sportlichen Erfolg haben.
Interessant wird dieses Ziel durch die unterschiedlichen Mittel, die eine solche Einrichtung entwickelt, um zu gewinnen – sei es der Spielstil oder die Erschließung verschiedener finanzieller Mittel. Der Zuspruch liegt oft nicht im Erfolg, sondern im Gedanken der Gemeinsamkeit begründet.
„Eine Stadt“, „eine Region“, früher „eine Schicht“, wirkt zusammen und unterm Strich kommt vielleicht ein erfolgreicher Sportverein raus. Ein Zusammenhang zwischen ökonomischer Stärke des Ortes und dem Erfolg des Vereines muss nicht gegeben sein, ist aber in Zyklen doch zumeist entscheidend. Maradonas Napoli hat in den 1980ern Jahren die reicheren Klubs und Städte Norditaliens zeitweise dominiert, der nach Titeln erfolgreichste Klubs Italiens ist aber dennoch Juventus Turin, der Stadt FIATs – obwohl Neapel weit größer ist, historisch und machtpolitisch weit bedeutender und obendrein als noch fußballverrückter gilt.
Birgit Schönau beschreibt in ihrem Buch „Calcio – die Italiener und ihr Fußball“ am Beispiel Turins sehr plastisch den Zusammenhang zwischen Mäzenatentum und Freude der lokalen Massen.
Es ist ein historischer Zwiespalt, den es auch in England gibt: Klubs, die im Besitz eines Eigentümers stehen, aber dennoch authentische regionale Bedeutung haben. Sogar dann, wenn sie, wie im Falle von Juventus, eben nicht nur der selbstorganisierten Freude und dem sportlichen Erfolg einer Gruppe, sondern auch schlicht als Unterhaltungsprogramm für zehntausende Mitarbeiter von FIAT und anderen Firmen der Familie Agnelli dienen. Diese „Vereinseigentümer“ – ein Widerspruch in sich – wurden aber dennoch vom Ort des Fußballklubs selbst hervorgebracht. Bis knapp nach der Jahrtausendwende war dies auch in England das vorherrschende Modell. Der vorher genannte FC Arsenal stand über Jahrzehnte im Besitz mehrerer Upper Class Familien, die eine nach der anderen ihre Anteile an Investoren aus – neben anderen Ländern – Russland und den USA verkauften.
Wir sprechen also schon seit langer Zeit in vielen Fällen nicht von Vereinen, sondern in ihren Eigentumsverhältnissen sehr stark limitierten Klubs, aber eben zumindest mit regionaler Verbundenheit.
Die neuen Entwicklungen zeigen das gegenteilige Bild. Es sind nicht mehr Städte oder Regionen, die selbst einen Verein hervorbringen, es sind global agierende Unternehmungen, die das brach liegende ökonomische Potential eines Ortes sehen und Fußballmannschaften neu erfinden oder weniger bedeutende nutzen um Geld zu verdienen (oder sich steuerschonend Anerkennung zu kaufen, wie im Falle von Manchester City). Am Ende dieser Entwicklung steht wahrscheinlich, dass nur noch die hochdotierten Mannschaften gegeneinander spielen. Weil sie es so möchten. Und dieser Gedanke ist ganz und gar nicht europäisch. Von einem gemeinsamen Markt kann hier keine Rede mehr sein, denn die Eintrittshürden sind so hoch, dass kaum jemand an diesem Wettbewerb teilnehmen kann.
Zum Schluss auch hier wieder: es liegt in Verantwortung des Fans, des Konsumenten, des Käufers, wie der Fußballsport in der Zukunft funktionieren wird. Wenn nur noch das Hochglanz-Produkt von den Massen nachgefragt wird, werden sich darunter neue, sehr viel kleinere Welten auftun.
Diese könnten durchaus interessant sein, einen großen gemeinsamen Mittelbau, der Europa komplett miteinbezieht, wird es aber wohl nicht mehr geben. Und wie europäisch wäre das?
Raphael Gregorits, abseits.at
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