Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Anlässlich Folge Nummer 16 erinnern wir an einen österreichischen Verteidiger, dessen Karriere einst jäh unterbrochen wurde…
Die Autorin dieses Artikels kann sich noch daran erinnern, Alexander Sperrs außergewöhnliche Geschichte einst in einem Schulbuch nachgelesen zu haben. Es war das Religionsbuch. Thema war der Umgang mit Schicksalsschlägen. Seither hat sie der Fall nicht mehr losgelassen, weshalb es an der Zeit ist den Kreis mit diesem Porträt zu schließen. Tatsächlich erinnern sich nicht mehr allzu viele Fußballfans an Sperr und das, obwohl der gebürtige Oberösterreicher beinahe für Aston Villa aufgelaufen wäre. Mehr als zwei Jahre nach diesem Fast-Wechsel musste der Spieler unfreiwillig die Schuhe an den Nagel hängen, trotzdem gelang es ihm beruflich und privat zu reüssieren. Das ist seine Geschichte:
Grätzn in Linz und fast in Birmingham.
Bekannt wurde Sperr als giftiger Verteidiger für den SK VÖEST Linz, als 18-Jähriger debütierte er in der Bundesliga. Goleador Hans Krankl, der damals beim Wiener Sportklub auf das Ende seiner aktiven Karriere zuging, machte einst keinen Stich gegen den Jungspund und bezeichnete ihn im Post-Match-Interview als lästige „Gewandlaus“. Der Jahrhundert-Rapidler sagte Alexander Sperr damals eine große Zukunft voraus.
Selbstvertrauen war für den im April 1968 geborenen Verteidiger nie ein Problem: Er wuchs als jüngstes von fünf Kindern in einem freigeistigen Elternhaus in Pasching auf, der Vater war Unternehmer. Als Bub begann Sperr in Pasching mit dem Fußball und kam über Wels zur VÖEST. Mit 1,91 Meter Größe und einer Menge Einsatzbereitschaft empfahl er sich dort für die Linzer Kampfmannschaft. Sein damaliger Mitspieler Georg Zellhofer erinnert sich an die ersten Trainingsauftritte des Defensivkickers: „Es fehlte ihm vor uns älteren Spielern jeder Respekt. Er schnitt einen nach dem anderen zusammen.“
Sperr gehörte bald zum U 17-Nationalteam und war zwei Jahre später Stammspieler bei VÖEST. 1989 rief ihn der Trainer Milanovich ins Büro. Milanovich fragte: „Langer, kannst dir vorstellen, dass’d ins Ausland gehst?“ Sperr nickte. Daraufhin flog er Ende Jänner zu einem Probetraining nach Birmingham: Aston Villa was calling. „Drei Stunden lang wurde beinhart trainiert, eine davon ging es überhaupt nur rauf und runter, über das ganze Feld. Mann gegen Mann. Mein gegnerischer Stürmer wechselte ständig. Ich gab mich bis zur völligen Erschöpfung hin.“, weiß Sperr von den Einheiten bei dem Premier League-Klub zu berichten. Der spätere englische Teamchef Graham Taylor war begeistert und wollte den Österreicher sofort unter Vertrag nehmen. Und auch jene Fans, die von ihm gehört hatten, riefen ihm im Stadion: „Sign up, sign up!“ zu. Der Linzer Werksklub willigte in das Geschäft ein und gab den Verteidiger für kolportierte sieben Millionen Schilling ab. Sperr unterschrieb, doch letztendlich wurde aus ihm nur auf dem Papier ein England-Legionär. Denn die Spielergewerkschaft hatte durchgesetzt, dass nur Ausländer mit Nationalteameinsätzen auf der Insel kicken durften. Damals war Alexander Sperr zwar bereits mehrfach auf Abruf nominiert worden, das rot-weiß-rote Trikot hatte er aber für das A-Team noch nie getragen. Erst im März 1989 sollte es so weit sein. Nach wenigen Woche musste der gebürtige Paschinger daher den Traum vom England-Spieler begraben.
Die zweite österreichische Spielklasse, in die VÖEST Linz allerdings 1988 abgestiegen war, war auf Dauer zu klein für den Perspektivspieler. Borussia Dortmund streckte seine Fühler nach ihm aus. Nachdem ihn die Schwarz‑Gelben mehrere Tage beobachten wollten, pfiff Sperr jedoch – mit altem Selbstbewusstsein – auf das Vorspielen: „Nein, ich bin U-21-Teamkapitän von Österreich.“ ließ er die Führungsetage des Ruhrpott-Kultvereins wissen. Auch Joschi Walter blitzte ab, als er dem Defensivspieler sein künftiges Salär in der Halbzeitpause eines Matches auf einer Serviette am Kantinen-Stehtisch vorrechnete: „Das fand ich respektlos.“ Selbst Neo-Rapid-Trainer Hans Krankl konnte den Oberösterreicher nicht in die Bundeshauptstadt locken. Alexander Sperr unterschrieb schließlich bei der Admira und kickte mit Manfred Rodax und Wolfgang Knaller in Mödling. Sein Jahresgehalt betrug eine Million Schilling – ein schönes Trostpflaster für den geplatzten Transfer nach Birmingham.
„Ich dachte: ‚Okay, kicken geht nicht mehr, aber Schifahren und solche Sachen werden kein Problem sein.‘“
Nunmehr machte Sperr aber sein Körper zu schaffen: Gegen Sturm riss er sich im Sommer ‘89 ohne Fremdeinwirkung das Kreuzband. Das Knie wurde seine Schwachstelle, immer wieder hatte er Probleme. Im August 1991 absolvierte er (rekonvaleszent) erneut eine Trainingseinheit im Welser Sporttherapiezentrum. „Dabei bin ich mit einer 100-Kilo-Hantel im Genick so unglücklich über eine Langbank gestürzt, dass das Gewicht der Hantel den elften und zwölften Brustwirbel zertrümmerte. Ich bin am Boden gelegen, habe aus Panik geschrien und sofort bemerkt, dass ich meine Beine nicht mehr spüre. Drei Stunden hab’ ich wegen des dichten Verkehrs auf eine Rettung warten müssen, weil der einzige Hubschrauber bei einem Verkehrsunfall war, das waren endlose Stunden.“, weiß er noch über den Tag, der sein Leben für immer veränderte, zu berichten. Das Hadern mit dem Schicksalsschlag dauerte nicht lang an, bald war Sperr klar, dass er für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen würde. Die Familie hielt zu ihm und Freundin Sabine dachte nicht eine Sekunde daran, ihren „Alex“ zu verlassen: Sie heirateten nach dem Unfall und bekamen später eine Tochter.
Sperrs Fußballkarriere war zwar bei 11.165 Spielminuten stehengeblieben, doch seine Passion für das Kicken blieb. Jürgen Werner, mit dem er einst bei der VÖEST kickte, rief an und fragte, ob Sperr nicht Jugendtrainer bei ihrem Verein werden wolle. Der Ex-Profi sagte zu. Als sich Werner als Spielerberater selbstständig machte, schloss sich Sperr ihm an und gründete schließlich seine eigene Berater-Agentur Goodwin Sportmanagement.
Er, der seine Verträge immer ohne Manager ausgehandelt hatte, arbeitet heute als jener seriöse Agent, den er sich als Spieler immer gewünscht hatte: „Ich sehe mich als Berater, der bei der Karriereplanung hilft.“ Der Mann mit den dunkelblonden Locken betreut aktuell Spieler wie Holzhauser oder Schobesberger. Vor Jahren meinte Sperr in einem Interview, er würde im Alter von 55 Jahren dieses Geschäft hinter sich lassen. Nächstes Jahr wird es soweit sein, man darf gespannt sein, wohin es Sperr verschlägt. Sorgen muss man sich um den Ex-VÖESTler aber keine machen, denn er hat schon ganz andere Herausforderungen gemeistert.
Marie Samstag, abseits.at
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