Schwarzbuch FIFA (4/4) – Zocken
Fußball & Business 30.März.2017 Marie Samstag 0
„Hut ab!“, sagt Maximilian Reimann, Schweizer Abgeordneter. Vor wem? Natürlich vor Sepp Blatter und seiner FIFA. Was die alles leisten! Nicht nötig hinzuzufügen, dass Reimann ein persönlicher Freund Sepps ist.
Durch lasche Anti-Korruptionsgesetze geschützt, trotz Milliardenumsatz steuerbefreit, führt die FIFA als gemeinnütziger Verein ein paradiesisches Leben in der Schweiz. Freiwillig zahlt sie einen kleinen Beitrag an den Fiskus – man ist ja sozial. Manchen ist diese Augenauswischerei zuwider. Cédric Wermuth, Sozialdemokrat aus dem Kanton Bern, beanstandet den Weltfußballverband am laufenden Band: Im Juni 2016 fordert Wermuth, dass die FIFA in Zukunft den gleichen Transparenzpflichten wie börsennotierte Unternehmen unterstellt werden müsse. Wermuth begrüßte die im Juli in der Schweiz in Kraft getretene Lex FIFA, die die Justiz ermächtigt in Zukunft nicht nur gegen korrupte Amtsträger, sondern auch gegen Privatpersonen vorzugehen. Die von den FIFA-Funktionären eingesetzten Mittelsmänner sind so nicht mehr geschützt.
Buchführung à la Blatter
Nach außen hin versucht Sepp Blatter schon seit 1998 Transparenz zu zeigen. Er lässt damals die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG die Finanzen der FIFA kontrollieren. Den Prüfern hat er jedoch – ohne Protokoll – klargemacht, dass Unterlagen in seiner Reichweite keinesfalls kontrolliert werden dürfen. Doch selbst bei den zugänglichen Büchern wird den Revisoren das Leben schwergemacht: Der Experte der KPMG gibt an, dass die Lohnbuchhaltung sowie die Akten des Personalwesens zehn Jahre lang unter Generalsekretär Blatter „in einer unglaublichen und nicht nachvollziehbaren Weise“ geführt worden waren.
Generell zahlen die FIFA-Herren gern mit Scheck um Geldbewegungen schlecht kontrollierbar auszugestalten. In der Zwischenrevision 2002 dokumentiert KPMG einen Fall, der erkennbar nach Geldwäsche riecht: Ricardo Teixeira kommt mit 400 000 Dollar in bar zur FIFA und bittet diese das Geld dem brasilianischen Verband, dessen Vorsitzender er ist, zu überweisen. Es handelt sich bei dem Geld um einen schon ausbezahlten (und korrekt ausgebuchten), aber beim CBF nicht eingegangen Betrag. Teixeira bittet daher um eine neuerliche Überweisung. Die FIFA erklärt sich einverstanden, verlangt aber, dass die Transaktion zunächst auf dem Kontokorrent des Verbandes als Einzahlung des Präsidenten verbucht und danach eine Überweisung vorgenommen wird. Teixeira sagt (natürlich) nein. Wie sieht das denn aus, wenn der Verbandschef Geld einzahlt, das schon längst angekommen sein müsste?! Die FIFA stellt einen Scheck auf den CBF aus. Teixeira lässt diesen nach wenigen Tagen stornieren und holt sein Geld wieder ab. Die Prüfer empfehlen im Nachsatz dieses Berichts eine Selbstverständlichkeit, die jeder Buchhalter einer Greislerei beherzigt: Zahlungen sind ausschließlich an die effektiv Berechtigten zu richten. In der FIFA ist das nicht üblich.
Blatters Landsmann Michel Zen-Ruffinen wirft dem Präsidenten schon 1999 Misswirtschaft vor. Die Staatsanwaltschaft lässt jedoch eine zivilrechtliche Klage fallen. Zen-Ruffinen rechnet anlässlich der Präsidentenwahl 2002 vor den Delegierten in einer Rede nochmals mit Blatter ab. Dieser kontert gewohnt prophetisch: „Eines Tages wird die Wahrheit ans Licht kommen!“ Er wird wiedergewählt und reagiert wie ein Sektenführer: „Ihr habt mich gewählt. Ihr seid alle gut. Gebt euch die Hände, es ist für den Fußball!“ Für den Journalisten Jens Weinreich ist Blatters Ausdrucksweise kein Zufall: Er gründet seine Macht in der FIFA auf ein System des Gebens und Nehmens. Als Präsident erwartet er die Solidarität seiner Vasallen und schließt im Gegenzug bei deren Geschäften die Augen. Dazukommt seine Ambivalenz zwischen menschlicher Herzlichkeit und machtgeiler Kälte. „Es sind keine tiefe Freundschaften, es sind Koalitionen, die ständig wechseln.“, analysiert ein FIFA-Kenner Blatters Beziehungen in der Organisation. Gegen Kontrolle von außen wehrt sich der Schweizer daher vehement. Er zieht drastische Vergleiche und sagt, dass eine Familie ihre Probleme doch auch miteinander löse und nicht zu Fremden gehe. Einfach unglaublich!
Sie haben das Spiel verkauft
Chuck Blazer sieht aus wie eine Mischung aus Karl Marx und John Goodman. Hinter dem weißen Rauschebart und dem Lockenkopf versteckt sich jedoch kein sanftmütiger Märchenonkel, wie man auf den ersten Blick meinen könnte: Blazer wurde vom korrupten Fußballfunktionär zum Maulwurf der Ermittlungsbehörden. Im Juli 2015 sperrte ihn die FIFA-Ethikkommission lebenslang.
Vier Jahre zuvor kämpft Blazer für die Legalisierung des Internet-Glücksspiel in den Vereinigten Staaten. Seine Firma Multisport Games Developement Inc. hat keinen leichten Stand, da trifft es sich gut, dass Chuck im Nebenberuf Vorsitzender der Confederation of North, Central America and Caribbean Association Football – kurz CONCACAF – ist. Immer wieder wandert CONCACAF-Geld zu Multisport. Das Mitglied der FIFA-Exekutive setzt seinen Kollegen den Floh ins Ohr, dass die FIFA mit Glücksspiel einen ordentlichen Rebbach machen können. Doch auf diese Idee ist die Weltfußballorganisation schon viel früher gekommen. Damals wird Präsident João Havelange von Richard Herson, einem kalifornischen Unternehmer kontaktiert: Herson gibt im Mai 2001 zu, rund zehn Jahre zuvor mit Havelange, Teixeira, dem brasilianischen Banker Coelho sowie seinem eigenen Chef Machline, einem Finanzinvestor, ein Glücksspielprojekt geplant zu haben. FIFA-Club – hätte die von der FIFA lizenzierte Fußballlotterie heißen sollen. Die Planungen werden immer konkreter. Involviert sind nicht nur die ISL sondern auch VISA oder Caesars World, ein seit 1999 nicht mehr bestehendes Casino-Unternehmen. Im August 1994 wird der Vertrag offiziell unterschrieben, doch das Projekt sollte nicht mehr realisiert werden. Bizarre Dinge spielen sich ab: Matias Machline stirbt Stunden nach der Vertragsunterzeichnung bei einem Hubschrauberunglück, bei seiner rechten Hand, Herson, wird kurz darauf eine unheilbare Krebserkrankung diagnostiziert. Herson überlebt, doch das Projekt scheitert. Die genauen Gründe, warum die FIFA von ihrer Glückspielidee wieder Abstand nimmt, liegen im Dunklen. Die Prognosen sagen damals bis zu 8,75 Milliarden an Vorsteuergewinn nach drei Jahren voraus.
Wer glaubt, dass die Zockerei der FIFA-Leute den Fußballsport selbst nicht negativ tangieren würde, der irrt: Brasiliens Verbandsboss Teixeira verkauft die Übertragungsrechte von Freundschaftsspielen der Seleção an eine saudische Unternehmensgruppe. Das klingt erstmal nach einem guten Deal, der viel Geld in die nationale Fußballkultur spült. Zu blöd nur, dass das Geld letztendlich bei Teixeira und seinen Geschäftsfreunden landet. Nach der 7:1-Klatsche gegen Deutschland bei der Heim-WM kann man den 2011 abgeschlossenen Vertrag auch noch in einem anderen Licht lesen: So gibt es eine Klausel in der sich der brasilianische Fußballverband dazu verpflichtet, Stars aufzubieten und falls diese fehlen, durch adäquate Spieler zu ersetzen. Die Aufstellung liegt also nicht mehr alleine beim Trainer, der keine neuen Spieler ausprobieren kann. Die Quittung dafür kam gegen den späteren Weltmeister – so sahen es zumindest einige Fußballfachmänner. Letztendlich bezahlen also alle das Geld, das sich Funktionäre wie Teixeira einstecken: Die Fans, die Sportler, der saubere Sport. Teixeira verlässt im März 2012 fluchtartig den CBF und Brasilien und setzt sich nach Florida ab. Ein Jahr später werden Gerüchte laut, er bemühe sich um einen Wohnsitz in Andorra, wo einige seiner mit Schmiergeld vollgestopften Briefkastenfirmen, registriert sind. Die brasilianischen Behörden hätten dort keinen Zugriff auf ihn.
Oh, wie schön ist Panama
Der jetzige FIFA-Präsident Gianni Infantino spricht vor seiner Wahl auch von einer Erneuerung der FIFA ohne wie sein Vorgänger mythologisch zu werden: „Wir werden das Image und den Respekt der FIFA wiederherstellen.“ Dabei hat auch Infantino keine reinweiße Weste. Spätestens seit dem Leak der Panama Papers ist klar, dass auch der schweizerisch-italienische Doppelstaatsbürger in dubiose Geschäfte verwickelt ist: Er hat als UEFA-Präsident einen zweifelhaften Vertrag für den Handel mit ecuadorianischen Fernsehrechten abgeschlossen. Die UEFA kauft diese Rechte einst vom Händler Jinkis und veräußert sie dann um den dreifachen Betrag an Telemazonas weiter. New Yorker-Ermittler sind überzeugt, dass das Geschäft mit Jinkis so funktioniert: Sie bestechen FIFA-Funktionäre um an günstige Fernsehrechte zu kommen, die sie dann indirekt teuer weiterverkaufen.
Infantino ist nicht der Einzige in der FIFA der aufgrund der Panama Papers Probleme bekam:
Das FIFA-Ethikkomitee ist wohl das einzige Organ im Verband, dem noch etwas Objektivität zugetraut wird. Es lebt vorrangig vom Leumund seiner Mitglieder, allen voran von jenem des deutschen Strafrichters Hans-Joachim Eckert. Doch in Eckerts Kabinett sitzt mit Juan Pedro Damiani ein uruguayischer Anwalt, der einige Briefkastenfirmen verwaltet, wie die Panama Papers aufgedeckt haben. Drei seiner Kunden stecken mitten im FIFA-Prozess: Da gibt es Eugenio Figueredo, einst FIFA-Vizepräsident. Er wurde 2015 mit anderen Funktionären in Zürich verhaftet. Die anderen beiden Kunden Figueredos sind Vater und Sohn Jinkis, die Besitzer des gleichnamigen Rechtehändlers. Damianis Kanzlei verwaltet zwei ihrer Firmen auf der Karibikinsel Niue und in Nevada/USA, die beschuldigt werden Schmiergelder an FIFA- und UEFA-Funktionäre gezahlt zu haben. Damiani macht also seit über 15 Jahren Geschäfte mit Kriminellen. Als Figueredo am 27. Mai 2015 verhaftet wird, läuft Damianis Email-Konto heiß. Er will sofort alle Beziehungen zu Figueredo kappen. Das funktioniert bis in den April 2016, dann dringt das Schlamassel in Panama an die Öffentlichkeit. Die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen eben langsam.
Ist die FIFA noch zu retten? Schon Blatter sprach ständig von Reformen. Experten schlagen stärkere Vetorechte, Einbindung der Sportler, Amtszeitbeschränkungen und offene Gehaltstrukturen vor. Journalist Jens Weinreich wählt drastischere Worte: „Es bräuchte ein Erdbeben, einen Tsunami. Das ganze System FIFA müsste auf ein neues Fundament gestellt werden. Es bräuchte Transparenz durch einen neuen Generalsekretär, einen neuen Präsidenten, 24 neue Exekutivmitglieder. Und es bräuchte vor allem Kontrolle von außen, von unabhängige Institutionen.“ Werden wir das noch erleben?
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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