Mehr als zwei Milliarden Euro nahm der brasilianische Staat in die Hand, um im fußballverrückten Land eine perfekte Weltmeisterschaft 2014 ausrichten zu können. Zwölf... Was blieb von Brasilien 2014? Korruption, Verfall und gähnende Leere

Mehr als zwei Milliarden Euro nahm der brasilianische Staat in die Hand, um im fußballverrückten Land eine perfekte Weltmeisterschaft 2014 ausrichten zu können. Zwölf Stadien wurden gebaut oder zumindest aufwändig saniert. Die zur WM-Vergabe regierende Arbeiterpartei träumte von einer WM die solidarisch das ganze Land einschließt. Jede Region sollte von König Fußball profitieren, keine Gegend ohne WM-Feeling bleiben. Dementsprechend mussten auch Stadien in Städten gebaut werden, die eigentlich keine Fußballdestinationen sind – mit den daraus resultierenden Problemen in der Nachnutzung. Wir blicken heute in unser Serie „Was wurde aus den Stadien“ auf eine ganze Reihe zu „weißen Elefanten“ mutierten WM-Arenen.

Rio de Janeiro (Estádio do Maracanã, renoviert, 7 Spiele, 74.738 Plätze)

Bei der Generalsanierung des Maracanã flossen 300 Millionen Euro, vieles davon versank in dubiosen Kanälen die später zu Politikern oder Institutionen nachverfolgt werden konnten. Der brasilianische Bauriese „Odebrecht“ erhielt den Zuschlag als Stadionverwalter. Doch das Unternehmen versank in einem Milliarden-Korruptionsskandal und versuchte das Stadion schnell wieder loszuwerden. Nach den Olympischen Spielen 2016 nutzte der Konzern die Gunst der Stunde und weigerte sich das Stadion vom Organisations-Komitee wieder zurückzunehmen. Das Stadion hing damit ab dieser Zeit für mehrere Monate in der Luft. Niemand war rechtlich verantwortlich, keiner übernahm die laufenden Betriebskosten. Der Rasen vertrocknete, Stromrechnungen wurden nicht bezahlt und im Innenraum wurden – mangels Sicherheitsdienst – Monitore, Kupferkabel, Stühle und vieles was sonst noch nicht niet- und nagelfest geplündert. Mehr als ein halbes Jahr später übernahm die französische Gruppe „Lagardere“ die Administration des ehrwürdigen Stadions und setzte es auch wieder in Betrieb. Mit einem Happy End: So konnte vor wenigen Wochen die „Seleção“ dort den neunten Copa-Erfolg feiern.

Für die vier Erstliga-Mannschaften Rios waren die Pachtkosten schier unbezahlbar, weshalb sie auf kleinere Stadien ausgewichen sind. Einzig bei Schlagerspielen wich man ins Maracanã aus. Mit einem neuen Vertrag mit dem europäischen Eigentümer – mit deutlich vereinsfreundlicheren Konditionen – übersiedelten Flamengo und Fluminese erst kürzlich wieder zurück ins Stadion.

aktuelle Nutzung: div. Spiele des Nationalteam – neu: Fluminese und Flamengo / beide 1. Liga

Brasília (Estádio Nacional, Neubau, 7 Spiele, 69.432 Plätze)

In der Hauptstadt Brasília – ja, die ist nicht Rio – wurde um über 600 Millionen Euro eines der teuersten WM-Stadien aller Zeiten in die Höhe gezogen. Da in Brasília aber die Mannschaft fehlt die es nutzen könnte, dient es fortan als Bus-Parkplatz. 2015 zogen drei Ministerien mit deren 400 Beamten ein. Jetzt versucht der Staat das Stadion nach dem Vorbild „Maracanã“ zu privatisieren um ihm in neuer Funktion abseits der Lederkugel neues Leben einzuhauchen. Immerhin ist das Stadion jetzt schon erster Anlaufpunkt bei den Großkonzerten in der brasilianischen zweieinhalb Millionenstadt.

aktuelle Nutzung: keine

São Paulo (Arena de São Paulo, Neubau, 6 Spiele, 63.321 Plätze)

Die Arena in Sao Paulo wurde nicht pünktlich zur WM fertig, Teile des Stadions waren vorerst mit temporären Sitzen bestuhlt. Nach der WM wurde weitergebaut, zehn Monate nach dem Turnier war das Stadion fertig. Das ganze Bauprojekt versank in einem selbst für dieses Turnier – wo kaum eine Baustelle nachträglich skandalfrei blieb – einzigartigen Korruptionssumpf. Wenigstens wird jetzt im Stadion Fußball gespielt, die Corinthians sind ein Publikumsmagnet und profitieren von der modernen Arena.

aktuelle Nutzung: FC Sao Paulo, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 35.142

Fortaleza (Estádio Castelão, renoviert, 6 Spiele, 60.348 Plätze)

Um knapp 200 Millionen Euro wurde das 1973 eröffnete Stadion modernisiert. Dazu wurde in eine verbesserte Verkehrsanbindung samt Tiefgarage investiert. Im „Castelão“ steigen auch regelmäßig Pop-Konzerte, Stammverein ist Erstligist Fortaleza EC. Auch wenn das Stadion etwas überdimensioniert ist, so sind die Fans und der Verein mit der Arena zufrieden.

aktuelle Nutzung: Fortaleza Esporte Clube, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 26.313

Belo Horizonte (Estádio Mineirão, renoviert, 6 Spiele, 58.259 Plätze)

Für kolportierte 250 Millionen wurde das 1965 eröffnete Stadion generalsaniert. Es diente in der Folge auch noch als Gastgeber für die Olympischen Spiele 2016 und die Copa América im heurigen Jahr. Sowohl bei den Konzerten als auch bei den Heimspielen von Cruzeiro füllen die Fans das Stadion. Für die zweieinhalb Millionenmetropole – die als Wirtschafts- und Kulturzentrum gilt – stellt die modernisierte Arena eine Bereicherung im Stadtbild dar.

aktuelle Nutzung: Cruzeiro Esporte Clube, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 20.455

Salvador (Arena Fonte Nova, Neubau, 5 Spiele, 51.708 Plätze)

Im Bundesstaat Bahia wurde das alte „Estadio Fonte Nova“ vor der WM abgerissen und die hufeisenförmige Arena hochgezogen. 2013 riss nach starken Regenfällen ein kleiner Teil der Dachhaut ein und Teile aus der Konstruktion stürzten herab. Ansonsten ermitteln die Staatsanwälte fleißig, Korruptionsspuren ziehen sich auch hier tief in die kommunale Politik samt deren befreundeter Unternehmen. Am Rasen geigt der EC Bahia in der höchsten brasilianischen Liga auf, der Publikumsandrang ist gut.

aktuelle Nutzung: Esporte Clube Bahia, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 24.197

Porto Alegre (Estádio Beira-Rio, renoviert, 5 Spiele, 43.394 Plätze)

Das Stadion ging nach der Renovierung gleich in private Hände über und ist auch heute sehr gut genutzt. Dazu ist es neben Curitiba das einzige – bislang – ohne Schmiergeld-Ermittlungen. Der Beira-Rio-Komplex beinhalten ein Veranstaltungszentrum, Bars, Geschäfte und diverse Sportstätten. Auch musikalisch wird aufgespielt, so wie zuletzt die Foo Fighters oder Green Day.

aktuelle Nutzung: SC Internacional Porto Alegre, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 25.989

Recife (Arena Pernambuco, Neubau, 4 Spiele, 42.583 Plätze)

In der Hafenstadt am Atlantik wurde für die WM eine Multifunktions-Arena um knapp 170 Millionen Euro in die Höhe gezogen. Die Arena in Recife wird für Hochzeiten, Geburtstage und Familienfeiern genutzt. Dazu spielen in erster Linie südamerikanische Popbarden auf, Fußball spielt nur eine Nebenrolle. Funfact: Zum Finalort wurde das Stadion auch schon geadelt, wenn auch nicht in der realen Welt. Sondern in der Zeichentrickserie der „Simpsons“, da leitete nämlich Homer an diesem Ort das Finale, einer durch und durch korrupten Fußball-WM – auch da bewiesen die Schreiber der gelben Kultserie damals schon einen treffenden Riecher.

aktuelle Nutzung: teilweise Náutico Capibaribe, 3. Liga

Cuiabá (Arena Pantanal, Neubau, 4 Spiele, 41.112 Plätze)

2014 stiegen hier im tropischen Herzen vier WM-Spiele – Anfang 2015 wurde der 250-Millionen-Euro-Neubau aufgrund baulicher Fehler und den daraus hergehenden notwendigen Reparaturarbeiten geschlossen. Obdachlose besiedelten das Stadioninneren. Der Komplex verfiel mangels laufender Instandhaltung langsam aber stetig. Genutzt wurde es nochmals für die Fußball-Landesmeisterschaften des lokalen Bundesstaates, da kamen pro Spiel im Schnitt keine 800 Zuschauer. 2017 wurde 96 VIP-Räume in Klassenzimmer umgewandelt. Traurig aber wahr: Im landwirtschaftlich geprägten Bundesstaat Mato Grosso steht damit die wohl teuerste Schule des Planeten.

aktuelle Nutzung: keine

Manaus (Arena da Amazônia, Neubau, 4 Spiele, 40.549 Plätze)

Für 300 Millionen Dollar und vier WM-Spiele wurde im Amazonasgebiet eine Arena hochgezogen. Lokalen Fußballmannschaften die eine 40.000 Arena füllen könnten gibt es dort nicht. Ebenso wenig ist es für Konzerte geeignet, da Manaus weit ab den großen Städten mitten im Regenwald liegt. Zwischenzeitlich gab es auch Überlegungen, die Arena in ein Gefängnis umzuwandeln. Einzelne Bereiche können auch für Geburtstage und Hochzeiten angemietet werden. Der Bundesstaat stottert noch bis mindestens 2033 die Kredite ab. Dazu verursachen die laufenden Betriebskosten und die nicht vorhandenen Einnahmen laufend Verluste in Millionenhöhe.

aktuelle Nutzung: teilweise Nacional Futebol Clube, 4. Liga

Natal (Arena das Dunas, Neubau, 4 Spiele, 39.971 Plätze)

Um – in diesen Dimensionen verhältnismäßig günstige – hundert Millionen neu gebaut, zählt das Stadion am Rio Grande zu den billigeren Bauvorhaben. Dennoch, auch hier ist ein sinnvolles Nachnutzungskonzept nicht gegeben. Nach der WM wurden einige Tribünen rückgebaut. Neben dem Viertligisten América FC  gibt es noch Musikveranstaltungen im Stadion.

aktuelle Nutzung: América Futebol Clube, 4. Liga

Curitiba (Arena da Baixada, renoviert, 4 Spiele, 39.631 Plätze)

Zum Abschluss noch etwas Positives: Wie in Porto Alegre ist die Baixada-Arena sofort in private Hände übergegangen. Auch ist diese Arena bislang noch offiziell frei von Schmiergeld-Untersuchungen und bietet auch regelmäßig Erstligafußball, der halbwegs passabel besucht ist. Dazu ist es das erstes Stadion Südamerikas mit einem verschließbaren Dach und bietet so auch Möglichkeiten für Indoorsportarten. Highlights in dieser Kategorie war der Ultimate Fight 198 (UFC) und die Volleyball World League 2017.

aktuelle Nutzung: Club Athletico Paranaense, 1. Liga, Zuschauerschnitt: 13.971

Fazit

Aus den bei der Bewerbung offiziell veranschlagten und der Bevölkerung weisgemachten fünfhundert Millionen Euro wurden schließlich über zwei Milliarden. Viele Infrastruktur-Projekt sind selbst bis heute nicht fertig gestellt, die laufenden Kosten können kaum gedeckt werden und die nationalen Vereine nutzen die Stadien oft nicht. Im Gegensatz zu „Deutschland 2006“, wo die WM-Orte fast ausschließlich an bestehende Fußballdestinationen vergeben wurde, versuchte man sich in Brasilien mit einer solidarischen Verteilung, quer durch alle Regionen. Damit stehen jetzt Bauten an Plätzen, wo sie eigentlich für den Kick nicht benötigt werden.

Dazu wird bei fast allen Bauten wegen Schmiergeld-Zahlungen ermittelt, die sich meist gegen die lokale oder überregionale Politik samt befreundeter Unternehmen richten. Deren Geschäfte werden von den staatlichen Korruptionsbehörden mehr oder weniger intensiv durchleuchtet. Profitiert hat vom Fußballfest nicht die fußballbegeisterte Bevölkerung, sondern Politiker und Baukonzerne. Aber profitiert hat von der WM 2014 vor allem die FIFA, die mit dem Turnier in Brasilien einen neuen Rekordgewinn einstreifte.

Der große Verlierer ist wie so oft bei großen Sportveranstaltungen in armen Ländern die Bevölkerung und der Steuerzahler. Viel Geld versickerte in dubiosen Kanälen, geblieben sind vielerorts „weiße Elefanten“ oder überdimensionierte Prestigebauten.

Die gewohnte, visuelle Reise durch die Stadien haben wir natürlich auch heute wieder für euch.

Im nächsten Teil schauen wir dann wieder nach Europa, zur EM 2016 in Frankreich!

Werner Sonnleitner

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