Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (39) –  Ein Urteil verändert den Fußball (KW 50)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografien im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Zum Anlass nehmen wir hierbei Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat: Heute reisen wir zurück zum 15. Dezember 1995 und zur Erlassung einer brisanten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes…

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Jean-Marc Bosman ist einer der wenigen Fußballer, die es geschafft haben, nicht für ihre spielerischen Qualitäten berühmt zu werden. Er selbst konnte damals kaum ahnen, dass sein Fall den Fußball für immer verändern würde: In den 90er-Jahre klagte der Mittelfeldspieler seinen damaligen Arbeitgeber, den RFC Lüttich, und den belgischen Fußballverband auf Zahlung eines Vorschusses. Der heute 57-jährige erinnert sich: „Mein Anwalt und ich dachten damals, das sei innerhalb weniger Wochen erledigt.“ Bosman wollte damals eigentlich nur zum USL Dunkerque wechseln, doch sein Verein weigerte sich beim Fußballverband einen Freigabeschein zu beantragen, da sie Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der Nordfranzosen hatten. Damit begann Bosmans Rechtsweg, der letztendlich in einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof endete. Das Lütticher Berufungsgericht legte diesem die Frage vor, ob es die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit verbiete, dass ein Fußballverein bei der Verpflichtung eines seiner Spieler, dessen Vertrag endet, durch einen anderen Verein die Zahlung eines Geldbetrags verlangen und entgegennehmen könne.

Die mittlerweile 26 Jahre alte Entscheidung des Gerichtshofes mit Sitz in Luxemburg war schließlich ein bahnbrechendes Ereignis. Jean-Marc Bosman wird heute wütend, wenn er daran zurückdenkt: „Getötet? Ich habe den Fußball nicht getötet. Ich habe ihn reich gemacht!“ Tatsächlich bescherte die ehemalige Nummer 10 vielen Fußballern, ihren Beratern und den Vereinen Millionenbeträge. Der Europäische Gerichtshof hatte in seinem Urteil zwar festgestellt, dass Bosman einem Boykott aller europäischen Vereine, die ihn hätten verpflichten können, ausgesetzt worden sei, konnte aber nicht verhindern, dass dessen Karriere nach dem Urteil vorbei war. Der Gerichtshof erwog, dass es die nach europarechtlichen Normen garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten verbietet, dass Spieler von anderen Vereinen bei Ablauf des Vertrages nur dann beschäftigt werden können, wenn dem bisherigen Verein eine Transfer-, Ausbildungs- oder Förderungsentschädigung gezahlt werde. Außerdem wurden Ausländerrestriktionen für ungültig erklärt. Mit diesem Urteil war das bisherige Transfersystem im europäischen Profi-Fußball Geschichte.

Im Gerichtssaal lächelte Jean-Marc Bosman mit bunter Krawatte und dunklen Koteletten noch: „David hat gegen Goliath gewonnen.“, sagte er. In Wahrheit gehörte er für sämtliche Profiklubs nach Urteilspruch zu den Unberührbaren, er machte noch sieben Spiele in der vierten belgischen Liga, ehe er seine Fußballschuhe im Alter von dreißig Jahren an den Nagel hängte. Bosman ließ sich scheiden, kämpfte mit Alkoholsucht und Depressionen und ist heute ein gebrochener Mann, der von Sozialhilfe lebt. Er selbst resümiert seinen juristischen Kampf folgendermaßen: „Als hätte ich jemandem die richtigen Lottozahlen verraten, aber dann werde ich nicht am Gewinn beteiligt.“

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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