Buchrezension: „90 Minuten ‑ Literarische Fußballgeschichten in Echtspielzeit“
Kunst & Literatur 13.April.2020 Marie Samstag
Rolf Rüssmann sagte „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“. Das könnte auch das Motto für „90 Minuten – Literarische Fußballgeschichten in Echtspielzeit“ sein, denn der Herausgeber hat dieses und ähnliche Zitate zwischen Balladen, Romanauszügen und Gedichten eingestreut. Das Hörbuch ist kein Champions League-Finale voller atemberaubender Strafraumszenen, Spannung, mit einem champagnergetränkten und rührseligen Ende, sondern eine gestandene Textsammlung, die einen hie und da zum Schmunzeln bringt. „90 Minuten“ bietet literarische Ausflüge in die Welt des Fußballs. Beiträge von namhaften Klassikern, wie von Rainer Maria Rilke oder Ödön von Horvath, sind ebenso dabei wie eine Liebeserklärung an Arminia Bielefeld von 11 Freunde-Gründer Philipp Köster. Auch die Vorlesestimmen taugen für mehr als nur für die Ersatzbank. Besonders hervor tut sich dabei der deutsche Schauspieler Mathieu Carrière mit seinem schneidigen, kratzigen Timbre. Blöd nur, dass die von ihm vorgetragene Geschichte über Fußball als Jugendhobby eher farblos ist. Da taugt der transkribierte Audiokommentar – „Schießen! Scheiße!“ und „Da qualmen die Socken!“ ‑ schon mehr. Auch das Sportmärchen von Ödön von Horvath illustriert die zu Lebzeiten des (vor allem als Dramatiker bekannten) Autors zunehmende Popularität des Volkssportes: Es ist die Geschichte eines fußballverrückenden Buben, der sich am Platz erkältet – erzählt in gewohnt dunkler Horvath-Manier mit Erlkönig-Einschlag: Hansl begegnet in seinem Fieberwahn einem Engel mit einem blaugelben Flügel ‑ „das waren die Farben des Fußballvereins von Oberhaching“ ‑ und einem Flügel in rosa und grün, den Vereinsfarben von Unterhaching. Der Engel mit Lederball nimmt den Buben mit auf eine Reise zur Milchstraße, wo es natürlich auch einen Fußballplatz gibt. In der Folge erlebt der (wohl verstorbene) Knabe ein ewiges Spiel.
„Der Ball kann überall hingehen und das macht er meistens auch.“
Zweimal kommt es im Hörbuch zu einer ballesterischen Vereinnahmung von Shakespeare. Warum auch nicht? „Der Fischer wars und nicht der Rummenige“. Das Paar streitet, wer den entscheidenden Treffer erzielt hat. Letztendlich ist es Littbarski. Später kommentieren die wohl berühmtesten Liebenden der Literaturwelt das WM-Tor: War Miro Klose oder Prinz Poldi der Torschütze?
Die Auswahl aus Torwart-Monologen, einem semi-wissenschaftlichen Text, der Schießkultur und Dauerlaufen zur Kulturleistung des Mannes erklärt, Gedichten und Romanausschnitten, wirkt etwas krampfhaft und der Lektor hat wahrscheinlich der Tatsache gedankt, dass ein Fußballspiel nur (!) 90 Minuten dauert. Es finden sich jedoch einige „Toptreffer“, quasi „Tore des Monats“ unter ihnen: In Karen Duves Roman „Dies ist kein Liebeslied“ wird die Schilderung eines Länderspiels bei der EM 1996 zur emotionalen Achterbahnfahrt. „Noch nie habe ich die Gefühle so vieler Menschen gleichzeitig gefühlt.“ behauptet die Ich-Erzählerin, die den Klassiker Deutschland vs. England in einem Londoner Pub miterlebt. Duves Sätze sind nach dem Bauhaus-Prinzip einfach, aber einfach gut: Gareth Southgate schießt nach links, aber „links ist ein Fehler!“. Der Autorin gelingt es, das spannungsgeladene und für England unglückliche Elfmeterschießen gekonnt einzufangen: „Oh so near!“Karen Duve, die 2018 in „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ ein Porträt von Annette von Droste-Hülshoff gestaltet hat, lässt ihre Protagonistin nach dem Sieg, den Andy Möllers verwandelter Elfer möglich gemacht hat, nach Hampstead gehen: Die Erzählerin geht ‑ „verglichen mit Southgate“ ‑ glücklich ins Bett.
Lesungen im Wohnzimmer – wie diese – machen Lust darauf einige Bücher zu kaufen: Auch eine Geschichte über vier Halbwüchsige, die die WM 1982 vor dem TV verfolgen, gehört dazu. Rechtzeitig zur Rache für Cordoba haben der Ich-Erzähler, Pommes, Spüli und Mücke fünf Mädchen eingeladen. Doch der Weinbrand im Cola führt nicht auf die zwischenmenschliche Zielgerade: „Kurze Pässe, lange Pässe, richtig was fürs Auge“. Während in Gijón Geldscheine in die Luft gereckt werden, weil die Österreicher und Deutschen ihren Nicht-Angriffs-Pakt ausleben, verpassen die Jungs ihre Hundertprozentige: „Endlich Abpfiff! […] Weswegen waren wir hier?“. Eine von den Mädls fragt nur provokant: „Wovon träumst du eigentlich nachts, Kurzer?!“
Den fachbezogenen Beitrag des Hörbuches steuert Philipp Köster, der Profi unter den Amateuren, bei, indem er prägnant seine Liebe zu Arminia Bielefeld schildert. Thomas Schleiff verarbeitet derweilen lyrisch die unterschiedlichen Erwartungshaltungen an Schütze und Tormann. Als Abschluss werden Joachim Ringelnatz Gedicht „Der Fußballwahn ist eine Krankheit, aber selten, Gott sei Dank.“ und Ror Wolfs transkribiertes Telefongespräch nach Nikosia 1968 wiedergegeben: Die Leitung kommt nicht zustande, der Moderater muss seinen Zuschauern leider sagen: „Das Resultat ist nicht mit Gewissheit zu erfahren.“. Die Abschlussbewertung dieses Hörbuches dagegen schon: Kurz- und langweilig, kunterbunt aber jedenfalls keine Zeitverschwendung. Ideales Hausarrest-Material für Fußballfans und solche die es werden wollen.
„90 Minuten: Literarische Fußballgeschichten in Echtspielzeit“ von Karen Duve, Robert Gernhardt, Frank Goosen, u.a., ist 2008 als Hörbuch bei Eichborn, erschienen.
Marie Samstag, abseits.at
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