Als die Demenzerkrankung von Didi Constantini 2019 bekannt wurde, war die österreichische Fußballwelt geschockt. Wohl kaum einer hätte damit gerechnet, dass der damals 64-jährige,... Buchrezension: „Abseits – aus der Sicht einer Tochter“ von Johanna Constantini

Als die Demenzerkrankung von Didi Constantini 2019 bekannt wurde, war die österreichische Fußballwelt geschockt. Wohl kaum einer hätte damit gerechnet, dass der damals 64-jährige, topfitte – als „Feuerwehrmann“ bekannt gewordene ‑ Trainer an dieser heimtückischen Krankheit leidet. Seine Tochter Johanna, die als Psychologin arbeitet, hat ein Jahr später ein Buch über ihren Vater geschrieben: Sie widmet es allen, „die verstehen möchten“. Im Buch soll es um die Krankheit und den Umgang der Familie gehen, allerdings werden die Seiten von „Abseits“ großteils von Didis Biografie, dem Familienleben der Constantinis und seiner Karriere gefüllt.

Innerhalb der Rahmenerzählung – die Autorin erfährt beim Joggen im Wald vom Autounfall ihres Vaters, der letztendlich zur Diagnose Demenz führte – wird das Leben des gebürtigen Tirolers erzählt: Sein Vater Walter, gebürtiger Bozener, arbeitet nach einer Diabetes bedingten Erblindung des rechten Auges als Platzwart. Auf dem von ihm betreuten Rasen beginnt Didi, der zweite von vier Söhnen, mit dem Kicken. 1975 wird der spätere Nationaltrainer Profi bei Wacker Innsbruck und kündigt seinen Job als Lithograf. Fehlende Schnelligkeit macht er durch eisernes Training und einen eisernen Willen wett. Mit Tirol wird Constantini zweimal Meister, wechselt zum LASK und spielt schließlich bei AO Kavalla in der griechischen Liga. Seine letzte Profistation ist 1987 der Wiener Sportklub. Nach einer Achillessehnenverletzung hängt er die Fußballschuhe an den Nagel und wird Trainer – „eine Sucht“, wie Constantini selbst sagt.

Ellenlang wird in „Abseits“ Didis Karriere dargelegt, um ein geschmackvolles Porträt von ihm zu zeichnen: Bescheiden, hart arbeitend, dabei aber innovativ, liebevoll, ein Familienmensch und trotzdem fußballverrückt. „Everybodys Darling“.

Diese Beschreibungen sollen nicht in Abrede gestellt werden, doch wenn es um Constantinis Trainerkarriere geht, klingt die Darstellung im Buch etwas zu viel nach Reinwaschung: Bei ehrlicher Betrachtung kommt man zu der Ansicht, dass der gebürtige Innsbrucker nämlich nur teilweise Erfolg als Fußballcoach verbuchen konnte. Vielleicht hingen die Trauben für den – als Happels Ziehsohn verschrienen – Ex-Innenverteidiger besonders hoch, dennoch bleiben von Constantini hauptsächlich seine eher unglücklichen Engagements beim ÖFB in Erinnerung. Johanna Constantini weiß allerdings selbst diesen Zeiten Positives abzugewinnen und versucht die Einberufung sämtlicher Junger als Meisterleistung ihres Vaters zu verzeichnen: „Schließlich führen die Klinge heute tatsächlich Spieler aus der Riege der damals erstmals einberufenen ‚Boygroup-Mitglieder.‘“ In Wahrheit wird diese Tatsache wohl eher dem Talent, der guten Ausbildung oder dem Willen zur Weiterentwicklung von Alaba, Dragovic und Co. geschuldet sein. Um Constantinis Misserfolge bei diversen Klubengagements zu begründen, findet sich im Buch auch eine einfache Erklärung: „Vielleicht, weil er zu spät geholt worden war, vielleicht, weil die Chemie schlichtweg nicht stimmte.“

Kein trauriges Buch, kein Demenzratgeber

Erst wenn die Hoffnung, dass es im Buch doch vermehrt um die Erkrankung des Ex-Trainers geht, fast aufgegeben ist, macht „Abseits“ noch einen Schlenker, der dem/der Leser/in im Schlusskapitel die Tränen in die Augen treibt. Der finale Akkord, als die Autorin die Geburt ihrer eigenen Tochter – verbunden mit der Hoffnung, sie möge ihrem Opa viel Freude bereiten – ankündigt, beendet ein Buch, dessen Intention besser als die Ausführung war: Didi Constantini, ein Opa, „der seiner Enkelin vielleicht nicht mehr die Welt erklären, sie aber mit ihr aufs Neue erkunden wird.“

Trotz dieses familiären Touches, der in der gewählten Erzählform unumgänglich ist, wirken viele Zeitsprünge, die Verknüpfung mit Kindheitserinnerungen oder Anekdoten aus Didis Beruf bzw. sozialem Engagement eher störend als inhaltsunterstreichend. Erst wenn Johanna richtig in medias res geht und beschreibt, wie die Familie Constantini nunmehr ihr Leben gestaltet, kommen endlich die erwarteten konkreten Statements zur aktuellen Lebenssituation des Ex-Coaches: Als Psychologin und Tochter empfiehlt sie, die Angehörigen sollen sich Freiräume schaffen, die Komplexität des Alltags verringern, alltägliche Handlungen verlangsamen, schöne Erinnerungen schaffen und nicht aufgeben. Letztendlich erinnert die Autorin mit „Abseits“ hervorragend an jenen Kalenderblatt-Spruch, der auch schon genügend Fußballerhaut ziert: Lebe den Moment!

An vielen Stellen wiederholt sie, wie wichtig es für sie und ihre Familie sei, das Jetzt zu genießen. Die fortschreitende Krankheit Didis lässt ihnen keine Wahl. „Abseits“ ist der Versuch der Familie die Geschichte und Persönlichkeit Didi Constantinis und auch die emotionale Bergbesteigung, die ein Demenzleiden mit sich bringt, festzuhalten: „Die gemeinsame Gegenwart so aktiv wie möglich zu gestalten, und damit die Verantwortung für den Lebensbereich zu übernehmen, der unserem Einfluss unterliegt, darauf hat Papa auch Zeit seiner Karriere viel Wert gelegt.“

„Abseits“ ist halb Biografie, halb Tatsachenbericht und der Versuch, die Krankheit einer öffentlichen Person zu thematisieren. Angehörigen von Demenzkranken kann zwar insofern Mut gemacht werden, dass dieses Leiden jeden Menschen treffen kann, die Erwartungen, die auch die Widmung des Buches geschürt haben, konnten aber nicht erfüllt werden. Dazu fehlte die Konkretisierung im Hinblick auf Umgang, Ausprägung und den neuen Alltag der Constantinis.
„Für alle, die verstehen möchten.“ – ja, was verstehen?

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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