„Reiche Leute kaufen teure Sachen und zeigen, was sie sich leisten können.“, hat Neven Subotić einmal geglaubt. Damals war er noch nicht einmal 20 Jahre alt und gerade BVB-Spieler geworden. Der Innenverteidiger stand an der Schwelle einer großen Karriere, die für ihn finanziellen Wohlstand bedeutete. In seinem Buch „Alles geben“ bezeichnet er sein Leben zu dieser Zeit als „Rapvideo“: Plötzlich wurde er mit Geld überschüttet, kaufte sich eine Riesenvilla samt protzigen Autos und urlaubte luxuriös in Dubai. Doch glücklich wurde Neven dadurch nicht. Sein Leben war oberflächlich: „Die Frau, mit der du zusammen bist, ist bald bei dem nächsten Fußballer. Der vermeintlich neue Freund hat komischerweise nur Fußballer als Freunde, obwohl es ihm, wie er sagt völlig egal sei, dass man Fußballer ist.“ Langsam grub er sein verschüttetes Gewissen aus, versuchte sich neu zu orientieren: Irgendwann verschwand die Playstation, Autos und Haus wurden verkauft. Das Flüchtlingskind, das Profifußballer wurde, gründete 2012 eine Stiftung und versteht sich heute als Aktivist. Vorwiegend ist Neven aber „ein Mensch, der einen langen Weg hinter sich hat.“
„Ich möchte einen S5 und einen Q7“
In „Alles geben“ nimmt der Ex-BVB-Star den/die Leser:in mit auf seine Reise und lässt an seiner inneren Wandlung teilhaben. Richtige Erinnerungen an seinen bosnischen Geburtsort hat Subotić nicht: Noch vor seinem 2. Geburtstag reisen seine Eltern mit ihm und seiner älteren Schwester aufgrund der ethnischen Spannungen aus und stranden in Schömberg im Schwarzwald. Für Neven ist es eine einfache, aber schöne Kindheit, denn von den Ängsten seiner Eltern – dem Ringen um Aufenthaltsgenehmigungen, dem Krieg in der Heimat – bekommt er wenig mit. 1999 muss die Familie weiter in die USA ziehen, da ihr Duldungsstatus in Deutschland abläuft. In Salt Lake City fangen sie wieder bei null an: Die Eltern arbeiten in Billigjobs und lernen Englisch. Neven will Fußballer werden, der Ehrgeiz seines Vaters konzentriert sich zunächst aber auf seine Schwester, die Tennisprofi werden soll. Während eines Sommerurlaubs in Europa absolviert der Zwölfjährige zwar ein Probetraining bei Ajax, entdeckt wird er aber später von einem US-Jugendnationalmannschaftscoach in einem Park in Florida.
Als Nachwuchsnationalspieler geht Subotić 2005 an die Uni in Tampa, doch bevor die richtig beginnt vermittelt ihm ein Berater ein Probetraining in Mainz, wo er in die U 23 aufgenommen wird. Es folgt eine Kette glücklicher Zufälle: Neven rückt als vierter Verteidiger zu den Profis nach, spielt – nach quasi besiegeltem Abstieg – eine super Partie gegen Bayern und wird in seinem zweiten Jahr zum Stammspieler.
Er hat sich seinen Berufswunsch erfüllt und ist Fußballer geworden. Doch neben der sportlichen Komponente gibt es da auch einen sozialen Anspruch: Schon früh versucht er der Erwartungshaltung seiner neuen Umwelt zu entsprechen: „Ich begann feiern zu gehen, viel zu trinken, zu rauchen und mit anderen Mannschaftskollegen und deren Freunden Videospiele zu zocken.“ Sein Gehalt steigt und damit auch der Lebensstil, aber nicht, weil er es möchte – Neven gönnt sich kaum ein Ed-Hardy-T-Shirt –, sondern weil es von außen an ihn herangetragen wird: „Männer im Profifußball haben größere Wohnungen und fahren größere Autos. Hauptsache, Vergrößerung, Zuwachs, Gewinn.“ Nachdem ein Kollege einen S5 und Q7 hat, kauft er sich auch solche Autos: „Monkey sees, monkey does“. Damals ist es noch ein weiter Weg bis zum Schlussfazit von „Alles geben“: „Das Wichtigste, was wir uns als Menschen geben können, ist ein Gefühl von Wir.“ auf.
Keine Lebensgeschichte. Eine Geschichte über das Leben
Subotić Buch ist keine Biografie im herkömmlichen Sinn: Seine Fußballkarriere nach der Borussia wird kaum gestreift, seine Spiele für die serbische Fußballnationalmannschaft nicht erwähnt. „Alles geben“ ist ein Abgesang auf das kapitalistische Fußballgeschäft: Subotić outet sich als Fairness‑Fanatiker, mag kein Zeitschinden oder Simulieren. Er kritisiert die Berater und Vereine für die Spieler nur Ware sind und meint, es fehle an systematischer gesundheitlicher Aufklärung für die Kicker. Die Profis werden genötigt sich wie Kinder zu benehmen: Nichts sagen, nur Leistung bringen. Wenn sie nicht gebraucht werden, müssen sie weg.
Schon früh fühlte sich Subotić nicht wohl, wenn er als Profi bei Wohltätigkeitsaktionen mitmachte: „Story: Der mit Geld kauft sich nicht nur eine Villa und mehrere Autos, er macht auch noch ein bisschen Charity. Message: toller Typ. Check.“ Er merkt, dass die Spiegelung seiner Auftritte asymmetrisch ist und langsam beginnt sein Gewissen aufzuholen: Die teuren Besitztümer kosten ihn nur Zeit, die vielen Partynächte mit Filmriss machen ihn nicht froh. Er ist akzeptiert, weil er Fußballer ist, gleichzeitig fühlt er sich aber einsam. Neven kann niemandem vertrauen, außer Bobo – einem Kindheitsfreund aus dem Schwarzwald mit ebenfalls jugoslawischen Wurzeln. In seiner Zeit als BVB-Verteidiger beginnt er sich mehr mit den Fans zu beschäftigen: Als Dortmund Meister wird, feiert er mit ihnen mit nacktem Oberkörper auf dem Dach seines Sportwagens. Unbezahlbare Minuten. Er schleicht vermummt auf die Südtribüne, entdeckt, was den Menschen im Ruhrpott der Fußball bedeutet. Für Neven ist das wahrer Reichtum und der erste Schritt aus seinem Dasein als Figur, die einer bestimmten Erwartungshaltung entsprechen muss.
Irgendwann beginnt er seine Zeit zu nutzen und versucht sich weiterzubilden: Als notorisch Neugieriger ortet er sich selbst, wo er sich haben will: Die Eltern jetzt mit Schnickschnack zu überhäufen, weil er Millionär ist? Nein. Im ehemaligen Jugoslawien Aufbauhilfe leisten, nur weil dort seine Wurzeln liegen? Auch nicht: „War es wichtig, dass ich ein bosnischer Serbe war? Musste sich ein bosnischer Serbe für bosnische Serben einsetzen?“ Neven entscheidet sich mit seiner Stiftung Brunnen in Afrika zu bauen, denn der Zugang zu Wasser steht für Vieles: Gesundheit, Hygiene, mehr Zeit und Chancen auf Bildung (v.a. für Frauen und Mädchen). Wasser bedeutet Leben. Bis heute sieht sich der Ex-Profi als harter Arbeiter, der immer noch auf der Suche ist: „Gebe ich genug? ist eine Frage, die ich nie aufhören werde, mir zu stellen.“ Der Autor schließt mit den Worten: „Alles geben bedeutet für mich, nicht im Alten zu verharren und etwas zu machen, nur weil es immer schon und von anderen so gemacht wurde, sondern – wenn man andere Ideen hat – den Mut zu haben, etwas anderes zu wagen.“
„Alles geben – Warum der Weg zu einer gerechteren Welt bei uns selbst anfängt“ von Neven Subotić ist 2022 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 22,– EUR.
Marie Samstag, abseits.at
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