Buchrezension: Das wunde Leder
Kunst & Literatur 21.Juli.2018 Marie Samstag 0
Die Weltmeisterschaft in Russland ist geschlagen. Aktuell sind die Medien gerade dabei Tops und Flops derselben Revue passieren zu lassen. Augenscheinlich sind natürlich die Schmach des Ex-Weltmeisters, die Überraschungs-Kroaten, die friedlichen Einheimischen, die taktisch disziplinierten Franzosen mit Teenager Mbappé, Neymars peinliche Sommerrollen sowie die vermutliche letzte Endrunde der beiden größten Spieler der Welt. Jetzt ist auch wieder Zeit um über die Schattenseiten des Fußballs zu sprechen. Denn eines ist klar: Sobald die farbenfrohe Eröffnungsshow des Auftaktmatches in die Wohnzimmer von Helsinki bis Houston flimmert, ist alles vergessen: Bestechung, Ausbeutung, Doping, Weiße-Kragen-Kriminalität. Für solche Dinge ist immer nur zwischen den Großereignissen Platz.
Stefan Gmünder und Klaus Zeyringer zeigen in ihrem Buch, das den Untertitel „Wie Kommerz und Korruption den Fußball kaputt machen“ trägt, wie alles begann: WM ’70 in Mexiko: 600 Millionen Menschen verfolgen das Finale zwischen Brasilien und Italien. So viele wie noch nie. Um diese vor den Fernseher zu locken, hat der gemeinnützige Verein Fifa durchgesetzt, dass die Spiele in der Mittagshitze ausgetragen werden. Damals ging es für jene, die den Fußball nur als Mittel zum Zweck sehen, bergauf. Die Fifa begann Millionen mit dem Handel von TV-Rechten zu scheffeln. Die Autoren behaupten, der Fußball sei „neoliberalisiert“ worden. Auf schlanken 125 Seiten konstatieren sie dem von ihnen geliebten Sport verloren zu sein, sollte das Steuer nicht rasch herumgerissen werden. „Das wunde Leder“ ist aber kein Buch in Moll, sondern leicht und sachlich zu lesen. Gmünder und Zeyringer nehmen das große Ganze wahr: „Es ist dringend notwendig, die Zustände im Fußballfeudalismus öffentlich zur Diskussion zu stellen: […]. Denn all dies betrifft beileibe nicht nur den Sport, sondern ganz allgemein die Ausrichtung heutiger Gesellschaften.“
Viele Konsumenten kennen die Schlagworte von moderner Sklaverei bis hin zu Geldwäsche. Das vorhandene Sammelsurium an kritischer Literatur hat es aber bisher nicht geschafft der „Premiummarke Fußball etwas anzuhaben.“, müssen die Autoren feststellen. Sie rollen die Geschichte von Anfang an auf und beschreiben steckbriefartig das who is who, das die Misere verbrochen hat: Horst Dassler, Jean-Marie Weber, Sepp Blatter. Begonnen hat es mit Präsident Havelange, der erkannte, dass die FIFA als Monopolist auf einer Goldgrube sitzt. Intern entwickelte der Sohn eines Waffenhändlers ein System von „gegenseitigen Abhängigkeiten, Schmiergeldzahlungen, gekauften Stimmen […]“, das bis heute Nachwirkungen zeigt. Best of Böse quasi. Profiteure dieser Misswirtschaft sind für Gmünder und Zeyringer auch Spielervermittler. Ganz unverblümt nennen sie diese „Menschenhändler“. Nach ein paar Telefonaten fließen für Raiola und Konsorten die Millionen. Wie weit ist es mit einer Gesellschaft gekommen, die diese Arbeit goutiert? Kein allzu gutes Haar lässt das Autorenduo auch an einem Gros der Profis: Auf den Plätzen tummeln sich zu viele „tätowierte Hochbegabte mit Kindergesichtern“. Die meisten Fußballer seien „begradigt“.
Geschickt wird in „Das wunde Leder“ zusammengefasst, was schon bei Gabriel Kuhn, Thomas Kistner und Co. nachgelesen werden kann. Noch unkritische Fans erleben so einen Crash-Kurs im Fifa-Bashing, für Informierte ist es ein leichtes Defragmentieren ihres Wissensstandes. Für Hobbyköche: Das Buch erinnert an Jamie Olivers Erbsen-Carbonara: Definitiv nicht der Klassiker, aber eine aufgepeppte Lightversion und somit nette Abwechslung.
Das Maracana gehört den Katzen
Gmünder und Zeyringer charakterisieren sowohl Fifa als auch IOC als „exterritoriale Fürstentümer“ ohne Kontrolle von außen, ohne Gewaltenteilung, aber mit ausgewählter Hofberichtserstattung. Olympia, „Weltkulturerbe der Menschheit“, ist in der Hand eines elitären Zirkels. Es ist wie im Mittelalter: Es gibt Fürsten und Vasallen, die ihre Machtpositionen über Generationen vererben. „Der Neofeudalismus spielt Doppelpass mit dem Neoliberalismus“, finden die Experten. Die gemeinnützige Fußballorganisation streicht bei Turnieren die Kohle ein, während die Gastgeberländer meist auf ihren Kosten sitzen bleiben. Für die Dauer der Veranstaltung verlieren die Staaten ihre souveränen Herrschaftsrechte: Stadien und Bannmeilen werden zum exklusiven Bereich für autorisierte Sponsoren. Hiesige Vielfalt? Fifa says no. Gefüllte Kugeln aus Bohnenmehl, eine brasilianische Spezialität, wurden bei der WM 2014 erst nach heftigen Protesten zum freien Verkauf vor den Spielstäten zugelassen. Arbeiterrechte werden beim Stadienbau außer Kraft gesetzt. Die Folge reichen von Lohndumping bis zur Sklaverei.
Afrika könne stolz auf sich sein, sagt Blatter nachdem bekannt wird, dass die Fifa (!) im Sommer 2014 2,4 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat. Gekostet hat Südafrika die Ausrichtung der Weltmeisterschaft jedoch 5 Milliarden Dollar. Kollateralschäden zahlt das ganze Land, nicht die Weltfußballorganisation. Das Cape Town Stadium mit Blick auf den Tafelberg kostet Millionen Unterhalt und steht leer. Im legendären Maracanã blieb kein Stein auf dem anderen. Nach 81 verbrannten Kilo Feuerwerk am 13. Juli 2014 zerfällt es langsam. Auch für Überwachungs- und Sicherheitsmaßnahmen blecht der Steuerzahler. Dass die juristische Aufarbeitung immer wieder untergraben wird, liegt auf der Hand und auch den Journalisten schieben Gmünder und Zeyringer den schwarzen Peter zu: Sie würden sich mit der Rolle des Kommentators oft zufriedengeben. Verschärfte wirtschaftliche Bedingungen, die intensive Recherche unmöglich machen, kämen hinzu.
Für die Autoren lebt der Fußball heute in einer Parallelwelt. Die FIFA gibt sich wie ein multinationaler Konzern und sucht Steuervermeidung wo es nur geht. Bilanzfrisur ist – besonders in Bayern – ein Kavaliersdelikt. Uli Hoeneß wird nach Verbüßung seiner Haftstrafe mit 97,7 Prozent zurück ins Präsidentenamt des FCB gewählt. „So etwas geschieht nur im Fußball und wahrscheinlich nur beim FC Bayern.“, schreibt Axel Hacke in der Zeit. Mia san großzügig!
„Das wunde Leder“ endet mit einem Manifest an dem Ilija Trojanow mitgeschrieben hat: „Boykottieren wir die WM 2018 in Russland!“, heißt es da. Das geht nun nicht mehr. Das frisch beendete Turnier war für Gianni Infantino die „beste WM aller Zeiten“. Vielleicht deshalb, weil der FIFA-Chef nur einmal im Regen stand und das bei der Siegerehrung im Moskauer Luschniki Stadion. An diesem Abend bekam nur einer schnell einen Schirm überreicht: Wladimir Putin. Der ist ja bekanntlich das Symbol der Demokratie. Der Schirm natürlich.
Marie Samstag, abseits.at
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