Buchrezension | Ein Fußballverein aus Wien – Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938-1945
Kunst & Literatur 14.Januar.2019 Marie Samstag 0
Wenn man so will, war das Verhalten des FK Austria geradezu exemplarisch für österreichisches Geschichtsverständnis nach dem 2. Weltkrieg: Seit ihrer Gründung galten die Veilchen als exotisch-nobel, von 1938 bis 1945 hielt man sich dann opportunistisch-zynisch über Wasser, ehe man das Bild vom „Judenklub“ auch mithilfe des vermeintlichen Opfermythos Sindelar kultivierte. Einzig ein (kleiner) Teil der Fanszene – jene mit mehr als nur brauner Hautfarbe – machte dem Wiener Traditionsklub einen Strich durch die Rechnung.
2014 beschloss der Verein endlich seine Geschichte aufzuarbeiten. Der Stadtrivale hatte es drei Jahre vorher mit „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ vorgemacht, im November 2018 zog die Austria mit „Ein Fußballverein aus Wien“ nach. Immerhin zählen aktuell mit dem langjährigen Präsidenten Wolfgang Katzian und Ex-Bürgermeister Häupl prominente Sozialdemokraten, denen Antifaschismus ein besonderes Anliegen ist, zu Fans und Funktionären des FAK. Gleich vier renommierte Historiker bzw. Sportjournalisten haben am rund 300‑seitigen Buch samt Tabellenanhang mitgearbeitet. Man spürt wie die Herren Hachleitner, Marschik, Müllner und Skocek bemüht waren alles richtig zu machen. Sieben Vorwortschreiber – von „Schneckerl“ Prohaska bis zum ehemaligen Wiener Stadtschulratspräsidenten Kurt Scholz – geben einhellig die Marschroute vor: Ein Buch von Gestern, um Heute ein schlimme(re)s Da-Capo zu verhindern. Nie wieder!
„Hier stehen wir jetzt am Beginn einer Reise in die Vergangenheit…“
In einem eloquenten Vorwort rezipiert das Autoren-Quartett die Geschichte der Austria und erklärt, dass sich die Schlanke-Fuß-Spielweise aus den englischen Wurzeln und dem ungarischen Einfluss um die Jahrhundertwende zusammensetzte. Es ist kein Zufall, dass Sindelar, Ocwirk und Prohaska ihre Schuhe für die Veilchen schnürten. Eleganz und Stil waren auch in schweren Zeiten der Anspruch der Violetten. Die Autoren vergleichen die damalige Wirtschaftskrise, die Probleme wie Massenelend, Antisemitismus und Nationalismus hervorbrachte, bedingt mit der aktuellen ökonomischen Situation, die sich auch im österreichischen Fußball widerspiegelt: „Salzburg lässt den ehemaligen europäischen Spitzenklubs Austria und Rapid […] bestenfalls noch den Kampf um die Kronprinzenrolle übrig.“
Trotz des offiziellen Gründungsjahres 1911 beginnt die Geschichte der Austria so richtig anno 1926. In diesem Jahr lagerte der Wiener Amateur-Sportverein seine Profi-Fußballsektion nach dem Vorbild des MTK Budapest in einen neuen Klub namens Austria aus. Altlasten behindern zunächst das Vorwärtskommen des Vereins, der schon damals mit legendären Kickern (und ab 1931 mit seinem Kultpräsidenten Emanuel „Michl“ Schwarz besetzt ist. Langsam aber stetig etabliert man sich doch und fühlt sich durch und durch als etwas Besonderes, als Ur-Wiener Fußballverein: Die Austria ist eine Marke, die für divenhaften Scheiberl-Kick, Doktore im Vorstand, festliche Bankette und verwöhnte Spieler steht. Sogar die Geschäfte werden lange im Hinterzimmer des Dom-Cafés in zentraler Stadtlage geführt. Ihre Spielweise kann man gesellschaftspolitisch folgendermaßen resümieren: „Hier sollten bürgerliche Individuen ein ihren Vorstellungen entsprechendes Spiel vorführen.“ Als „Judenklub“ gilt die Austria recht bald, aber nicht weil sie – im Gegensatz zur Hakoah – laut Satzung als jüdischer Sportverein konzipiert ist, sondern weil sie eine prozentual betrachtet hohe Anzahl semitischer Funktionäre hat. Zum Zeitpunkt des Anschlusses an Nazi-Deutschland besteht der Vorstand sogar ausschließlich aus Juden: Siegfried Sass, Heinrich Bauer, Martin Witt und Felix Gerstmann sind als Unternehmer in unterschiedlichen Branchen tätig, Michael Lukacs ist Juwelier, Jakob Zeichner Prokurist, Oskar Reisz Bankbeamter. Jüdische Spieler gibt es in der Mannschaft dagegen nicht.
Der Anschluss führt dazu, dass die Cuprunde am 13. März 1938 verschoben wird. Die Wiener Fußballer sind von einem Tag auf den anderen Großdeutsche und grüßen mit dem rechten Arm vor dem Anpfiff. Parade-Nazi der Austria ist SA-Mitglied Johann „Hans“ Mock, der als einziger Spieler der Kampfmannschaft illegaler Nationalsozialist war. Das Klubvermögen wird eingefroren, die Vereinsleitung komplett ausgeschlossen. Ex-Austrianer Haldenwang wird provisorisch zum kommissarischen Leiter ernannt. Die kurzfristige Umbenennung in SC Ostmark geht auf seine Kappe, ist allerdings – wie das Intermezzo des Ex-Kickers und Schiris – wegen Unfähigkeit seinerseits nur rund drei Monate von Dauer. Tatsächlich war „Austria“ als lateinische Bezeichnung für Österreich während der NS-Zeit nicht verboten.
Walter und Margarethe
Mit neu aufgestockter Liga und offiziell eingestelltem Profibetrieb starten die Austrianer ins tausendjährige Reich. Die violetten Schicksale so vielfältig, wie die der restlichen Bevölkerung. Wer Glück hat und „erbgesund“ ist, schlägt sich irgendwie durch. Ganz sauber bleiben die Wenigsten: Karl Sesta, Verteidiger von Weltformat, Wiener Original, Sindelars „Zwilling“ leitet bald eine Hammerbrotfiliale auf der Alserbachstraße. Sein Antrag das Café Lovrana im dritten Bezrik arisieren zu dürfen, wird abgelehnt. Cafetier wird dafür sein bester Freund Matthias Sindelar, der den „Annahof“ des Juden Leopold Simon Drill übernimmt. Drill stirbt fünf Jahre später im KZ Theresienstadt.
Selbst den Buchautoren gelingt es (naturgemäß) nicht unter Sindelars Hirnschale zu sehen. Sein Wissensstand und seine Beweggründe lassen sich post mortem nicht mehr überprüfen. Fakt ist jedoch: „Das NS-System hat Sindelar ein Angebot gemacht […] und er hat mitgespielt, auch als „Posterboy“ der Reamateurisierung.“ Wie bekannt ist, ist dem weltbesten Mittelstürmer seiner Zeit kein langes Leben vergönnt: Matthias Sindelar stirbt am 23. Jänner 1939 unter rätselhaften Umständen an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Der 1916 geborene Johann Safarik soll sein Nachfolger werden, doch der Stürmer reift nicht zur Fußballlegende.
Fußballsoziologisch hat die Eingliederung Österreichs ins großdeutsche Reich Folgen für die Ausübung des Sportes an sich: Zunächst widersetzen sich die Wiener gegen „die als „preußisch“ erlebte neue nationalsozialistische Ordnung“, die Reichsdeutschen dagegen bewundern das technisch-feine Spiel ihrer Kontrahenten. Später sind diese Unterschiede nicht mehr so wichtig. Fußball in den Kriegsjahren bedeutet hauptsächlich Ablenkung vom Elend.
Am 2. April 1945 führt Rapid die Oberklasse/Bereichsklasse Wien mit 16 Punkten aus 11 Spielen an, die Austria ist mit 12 Spielen und 7 Punkten auf dem siebenten Platz. Man kann sagen, dass die NS‑Herrschaft eine sportlich verlorene Zeit für die Veilchen ohne große Erfolge war. Während Rapid 1941 deutscher Meister wurde, holte der FAK keinen Titel. Man stellte zwar mit z.B. Mock, Sesta, Stroh oder auch dem jungen Franz Riegler einige Nationalspieler, doch die Austrianer schafften den Spagat zwischen Landser-Uniform und Trikot genauso schlecht wie andere Spieler. Neben jenen, die diese Jahre in der Heimat verbrachten, gibt es aber auch solche, die ihr Land verlassen mussten. Die bekannteste Geschichte mit Austria-Bezug ist jene von Walter und Margarethe Nausch: Die Schwimmerin Margarethe Hendler heiratet 1932 den gelernten Bankbeamten und Fußballer Walter Nausch. Sie ist Jüdin, er stammt aus dem katholischen Kleinbürgertum. Nausch ist ein exzellenter Kicker und Fußballfachmann. Seine Karriere beginnt bei den Josefstädter Sportfreunde, mit der Austria wird er zweimal Mitropacupsieger und ist gemeinsam mit Sindelar das Herz der Mannschaft. Gerüchte besagen, dass ihm die NS-Verantwortlichen nach dem Anschluss den „Gautrainerposten“ anbieten, sollte er sich von seiner Frau trennen. Als gesichertes Wissen gilt aber nur, dass Walter und Margrethe zusammen in die Schweiz emigrieren.
Ein normaler Fußballverein
Die Veilchen erblühen erst wieder im befreiten Österreich, als eine „verjüngte Austria-Mannschaft“ in der ersten Nachkriegsmeisterschaft prompt Herbstmeister wird. Rasch kehrt man zum gewohnten Standard zurück: Ernst Ocwirk zieht die Fäden, zum Auswärtsmatch nach Belgien fährt man im Sonderschlafwagen. Stillschweigend kommt mit Dr. Schwarz der erfolgreiche Ex-Präsident an seinen früheren Wirkungskreis zurück. Schwarz will selbst mit Sohn Franz (und später Enkel Thomas) nicht über jene Zeit sprechen, als er im besetzten Frankreich mehrmals nur sehr knapp der Ermordung entkam. Er wird 1955/56 von Dr. Bruno Eckerl entmachtet und die Austria „nach dem Vorbild englischer Profiklubs“ umgestaltet. Eckerl gilt während der NS-Zeit als „gut ins System integrierter Profiteur“: Der Rechtsanwalt ist lange Jahre Vereinsführer der Veilchen und wird 1942 auf Antrag in die NSDAP aufgenommen. Eckerl, der fast die gesamte Kriegszeit hindurch die Austria führte, legt zwei Jahre später sein Amt zurück.
Was bleibt? Der Ballesterer zitiert Matthias Marschik, der anlässlich der Buchvorstellung zusammenfasst: „Die Austria sollte ein ganz normaler Wiener Sportverein werden. Die Umbauphase war im Herbst 1938 abgeschlossen.“ Das stimmt auf der sportlichen Seite jedenfalls, in menschlicher Hinsicht war die Wiener Austria ein gewöhnlicher Verein. Ein Verein mit Menschen, die unterschiedlich gehandelt haben, weil sie unterschiedlich handeln mussten. Manche, wie Karl Geyer , der mit seiner jüdischen Frau zunächst nach Bergen (Norwegen) übersiedelt, 1940 zurückkehrt und mit viel Handgeld und guten Kontakten verhindert, dass seiner Frau etwas passiert, lebte sieben Jahre in Angst, andere wie Ernst Stojaspal, der sich in einem Simmeringer Kaffeehaus den Arm brechen lässt um dem Frontdienst zu entgehen und dafür zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt wird, versuchten auf diese Art ihre Haut zu retten. Manager Robert Lang wird in Jugoslawien ermordet. Doch egal, welches Schicksal Spieler, Funktionäre, Fans erlitten, eines haben sie alle gemeinsam, sie waren Austrianer, Österreicher, Menschen. Gut, Böse, etwas dazwischen.
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