„Ich erinnere mich an einen Besuch der „Höhle“ von Millwall, wo die einzige Toilette überlief und meine Füße durch Urin platschten, der die Betonstufen herabgeströmt kam, mit einem Sog, der so stark war, dass ich die Zehen anziehen musste, um nicht die Schuhe zu verlieren und mit den Wollsocken in dieser stinkenden Flüssigkeit zu stehen, die noch warm und an der kalten Luft dampfend dahinplätscherte. Solche Zustände sind abscheulich, aber wichtig: Man versteht, dass jede zivilisatorische Verbesserung das Erlebnis beeinträchtigen würde.“
Ein Buch, das Bill Bufords „Geil auf Gewalt“ zitiert, macht vieles richtig. Tatsächlich ist „Fäuste, Fahnen, Fankulturen“ ein blöder Titel für ein gutes Buch. Herausgeber Richard Gebhardt bat – neben ihm – sechs weitere Autoren um Textspenden zum Thema Hooliganismus, herausgekommen ist eine lesenswerte Sammlung, die sich die Frage stellt, wie es mit den deutschen Fußballschlägern weitergeht. 2014 rückte die 4.500 Mann starke Demonstration „Hooligans gegen Salafisten“ (HogeSa) in Köln kampfbereite Fans erneut in das öffentliche Licht. Den Autoren des Buches geht es vor allem darum, psychologisch die Hintergründe zu durchleuchten: Warum gibt es Menschen, die andere jagen und verprügeln wollen?
Englische Krankheit
Seit der Hooliganismus von England auf Kontinentaleuropa überschwappte, hat sich vieles verändert: Boxereien auf der Tribüne sind teilweise Mixed Martial Arts-Kämpfen gewichen. Stolz rühmt man sich mit selbstgedrehten Filmen vergangener „Schlachten“. Man verlagert die Gewalt aus den hochüberwachten Stadien auf Wiesen und Felder. Philipp Beitzel ist der Meinung, dass der Drang der Selbstdarstellung der Hools zunimmt. So kämpfen sie mit den Ultras – obwohl die ihre Fanaufgabe anders verorten – um die Vorherrschaft und bringen vermehrt rechtes Gedankengut in die Kurve. Beitzel: „Das „unpolitische“ Deckmäntelchen, das Hools sich mit Verweis auf ihren Vereins- und Fußballbezug und den dort verorteten Werten überstreifen, kann deshalb auch als ihre „Lebenslüge“ bezeichnet werden. Als Beispiel für die Vernetzung zwischen Neonazis und rechten Hooligans steht auch „Unsterblich Wien“, die anlässlich des Freitods eines Mitgliedes eine 15-minütige-kollektive Trauerphase während eines EL-Spieles inklusive Trauermarsch bei dem „unter anderem auch der Hitler-Gruß gezeigt wurde“ verordnete. Der zitierte Journalist Bonvalot: „Es wird immer wieder auf den Grundsatz „Keine Politik“ verwiesen, anstatt sich klar gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie zu positionieren.“. Feindbilder wie Flüchtlinge, die böse EU werden aufgebaut und mit gemeinsamen Werten wie „hegemonialer Männlichkeit, die Idee des „Rechts des Stärkeren““. Robert Claus, der zu Gewalt, extreme Rechte und Männlichkeit forscht, versucht zu erklären, warum es diese Gewaltexzesse überhaupt gibt. Er zitiert hierfür unter anderem den Soziologen Michael Meuser, der die Meinung vertritt, dass Männlichkeit immer unter Beweis gestellt werden muss. Im hierarchischen System muss man(n) seine Position immer wieder aufs Neue erkämpfen, wer aufsteigen will, legt ein Stück Individualität ab, wird desensibilisiert. Dies legt den Grundstein für politische Extreme.
Einblick, Ausblick
Pavel Brunßen und Peter Römer sprechen über die Allianz der Neuen Rechten mit den Fußballschlägern, Mark Haarfeldt rekapituliert die Geschichte der DDR-Hools und Daniel Ryser zerlegt ein gewalttätiges Wochenende 2016, als englische und russische Fans in Marseille aufeinander losgingen, in seine Einzelteile. Fernab von Voyeurismus oder Kitsch zieht sich die „Verrechtsung“ der Szene wie ein roter Faden durch die Ansammlung.
Die Geschichte des Hooliganismus muss dabei differenziert betrachtet werden: Ursprünglich gründeten sich die Hooliganverbände um die eigene Fanszene zu schützen. Das gemeinsame Feindbild Polizei spielte jedoch bald eine größere Rolle als gedacht. Der Teufelskreis hat System: „Gewalt erzeugt Bedrohung erzeugt Gegengewalt erzeugt Bedrohung erzeugt …“. Robert Claus ist nicht um ein klares Statement verlegen: „Wollen Projekte und Programme im Sport Erfolg haben, […]: Gleichstellung fördern, verschiedenen Männlichkeiten und abweichenden Geschlechterrollen Raum geben, über Geschlecht reden, anstatt die Diskussion trotz offensichtlichster Zusammenhänge zu verweigern. Hier ist die Pädagogik gefragt, doch nicht nur sie.“ Für Claus müssen auch die Werbung, die Vereine und Verbände, kurz „alle, die diesen Sport alltäglich mit Leben und Werten füllen“, umdenken. Filmemacher Fred Kowasch liefert Einblicke in die Szene. Er ist der Meinung, dass die Hooligans (rechts)radikaler und anschlussfähiger geworden sind. Kowasch findet, dass sich die Fronten verhärten: Hier der Staat, da die, „die das [Anmerkung: Innere Sicherheit] einfordern“ und sich so gegen diesen stellen. Seine Zukunftsperspektive ist – wie die der anderen Autoren – vorsichtig bis negativ.
Gebhardts Buch analysiert brillant die Verwachsung des gesellschaftlichen Ereignisses mit der politischen Situation. Es ist auch für Laien leicht lesbar, da es viele Hintergrundinformationen mitliefert. Auf knapp 160 Seiten liefert es interessante Einblicke in eine Szene, die sich eigentlich nach außen hinabschottet. Wer ohne schulmeisterlichen Zeigefinger mehr über die Geschichte und Entwicklung des deutschen Hooliganismus wissen will, ist hier bestens aufgehoben.
Marie Samstag, abseits.at
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