Isolationszeit ist die Zeit Bücher zu lesen. Das sollte aber nur für gute Bücher gelten. Stefan Schuberts Lebensbeichte „Gewalt ist eine Lösung: Morgens Polizist,... Buchrezension: „Gewalt ist eine Lösung“ von Stefan Schubert

Isolationszeit ist die Zeit Bücher zu lesen. Das sollte aber nur für gute Bücher gelten. Stefan Schuberts Lebensbeichte „Gewalt ist eine Lösung: Morgens Polizist, abends Hooligan – mein geheimes Doppelleben“ gehört nicht zwingend zu Letztgenannten. Eines muss man aber neidlos konstatieren: Die 2010 erschienene Geschichte war für den Ex-Polizisten der Startschuss seiner Karriere als Bestsellerautor. Wenn man die reklameartigen Titel von Schuberts anderen Büchern betrachtet, könnte man meinen, der gebürtige Bielefelder widme sich mit Freude der reißerischen Aufarbeitung aktueller Themenkomplexe: „Die Destabiliserung Deutschlands“ oder „No-Go-Areas: Wie der Staat vor Ausländerkriminalität kapituliert“ und wenn man mit „Gewalt ist eine Lösung“ fertig ist, ist man überzeugt, dass er das tut.

„Eine Hand besteht aus 27 Knochen und 33 Muskeln.“

Stefan Schuberts erste Karriere endet im November 1996. Als Streifenpolizist der Polizeiinspektion Süd wird er nach acht Jahren mit seinem Doppelleben konfrontiert. Das Ende kommt zur rechten Zeit: Schon im Sommer zuvor hatte ihm ein Gewaltexzess während eines mallorquinischen Partyurlaubs mit „seinen“ Jungs – den üblichen Verdächtigen – schwere Gewissensbisse eingebracht. Das behauptet er wenigstens, denn Schubert transportiert seinen seelischen Zwiespalt in diesem Buch nicht. Es ist nicht ersichtlich, worin der durch den Titel suggerierte Interessenskonflikt bestehen soll.

Dazu wirkt der Autor zu unreflektiert. Die wenig plastischen Schilderungen seines Lebens als selbsternannter „Pooligan“ oder Hooliganist“ erzeugen keine Bilder im Kopf.

Schubert schafft es nicht, den Leser gedanklich auf jene Reise mitzunehmen, die damit beginnt, dass er mit seinem Vater erstmals auf die Bielefelder Alm marschiert: Stefan Schubert wird begeisterter Anhänger der Arminia. Der überraschende Krebstod seines Vaters hat – laut Eigenanalyse – Mitschuld daran, dass er zwar Fan bleibt, sich aber dem „erlebnisorientierten“ Kern der Szene zuwendet. Als 13-jähriger werden er und seine Freunde von türkischen Jugendgangs so lange gemobbt bis sie – vom Boxtraining gestählt – manifesten Widerspruch wagen. Und siehe da? Schubert entdeckt sein Lebensmotto: „Gewalt ist eine Lösung!“. Der Autor schildert ausführlich, dass der Straßenkampf das Zusammenleben befriedet hätte: „Mit der Zeit ebbten die Provokationen, Beschimpfungen und Bedrohungen im Viertel langsam ab.“ Ein archaisches Weltbild, das ihn bis heute zu beschäftigen scheint. Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Thomas, mit dem er seine ersten Kampf(sport)erfahrungen sammelt, bewirbt er sich nach der Schule beim Bundesgrenzschutz. Jener Thomas wird sich Jahre später kurz vor Stefans Enttarnung als Hool das Leben nehmen – ein trauriger Wink des Schicksals. Damals ahnen sie jedoch noch nicht, was die Zukunft für sie bereithält. Schuberts Weg führt ohne Umwege in den Block 4 des Stadions. Die Blue Army Bielefeld, der Ostwestfalenterror, wird seine zweite Familie. Es beginnt mit einer harmlosen Einladung am Bierstand für den noch pickeligen 18-jährigen: „Aber nächste Woche kriegen wir sie. Fahrt ihr mit?“ Schubert und sein Kumpel Frank sind Feuer und Flamme. Sie lecken – im wahrsten Sinne des Wortes – Blut als sie bei der ersten Schlägerei in Bochum einstecken müssen: „Diese Stimmung in dem Fan-Block, diese Lautstärke, die Kraft und die Macht, die von dieser Gruppe ausgingen, waren überwältigend.“

Als ich den Titel von Schuberts Buch gesehen habe, habe ich mich sofort an ein Interview mit einem Ost-Berliner-Hooligan, das ich einst gelesen hatte, erinnert: Der 15-jährige gab darin an, er wolle sich nach der Schule beim Bundesgrenzschutz bewerben, um seinen Hooliganismus auf Staatskosten auszuleben. Ist das schockierend? Eigentlich nicht. Stefan Schubert hatte denselben Gedanken: Im Oktober 1988 tritt er in einem Dörfchen nicht weit von der innerdeutschen Grenze entfernt seine Ausbildung zum Polizeihauptwachtmeister an. Das Wissen, wie man Situationen blitzschnell analysiert, wird ihm auch in seiner Freizeit von Nutzen sein. Auch seine rechtskonservativen Ansichten sowie die Sehnsucht nach Kameradschaft verfestigen sich in dieser Zeit. Sein politischer Horizont scheint damals gestrickt worden zu sein, so macht der Autor keinen Hehl daraus, dass er die Krawalle linksextremer Gruppierungen als verwerflicher als seine Hooligan-Straßenschlachten empfindet „Bei uns wurde die Lust auf Gewalt nicht hinter absurden politischen Ausreden versteckt.“ Schubert stellt offensichtlich keinen Konnex zwischen einer tickenden Zeitbombe, wie seinem Freund Timo, und diesem „Hobby“ her. Timo gesteht ihm einmal, er würde gerne jemanden im Zug einer Prügelei umbringen: „Ja, es ist ein großer Schritt […]. Und es würde alle Normen sprengen. Aber ich würde gerne erfahren, wie es sich anfühlt, jemanden mit den bloßen Händen totzuschlagen.“.

Seine Zeit beim Bundesgrenzschutz stellt die moralischen Weichen für sein Doppelleben: Als einmal eine Party aus dem Ruder läuft und sich die frischgebackenen Polizisten mit holländischen Soldaten prügeln, gibt es keinen Rüffel von oben sondern nur Ratschläge: „Handeln Sie sich keine Anzeige ein!“ und „Wenn Sie schon glauben, sich prügeln zu müssen, dann gewinnen Sie wenigstens!“. Schubert hat also keinen Grund von seiner Freizeitgestaltung Abstand zu nehmen. Wenn er nicht in der grünen Uniform steckt, trägt er Burberry und Chevignon – angesagte Hool-Wäsch‘.

In der Blue Army wird er auch als „Bulle“ anerkannt, weil er ja ein „korrekter Typ“ ist Er feiert wilde Partys, macht abenteuerliche Busfahrten zu Auswärtsspielen mit. Kokain, Wodkarausch und Böhse‑Onkelz‑Sound. Es folgt das obligatorische Armtattoo, die Silvestermassenschlägereien, blutverschmierte T-Shirts, blauviolette Oberkörper. Auch die Freundin ist machtlos: Sie hält ihm zwar regelmäßig Standpauken, versorgt aber doch – dank ihrer Fachkenntnisse als Zahnarzthelferin – Rissquetschwunden. Beruflich langweilt er sich und quittiert schließlich den Dienst, weil er keine Lust auf Kontrollen an der polnischen Grenze oder Sicherheitsschutz am Flughafen hat. Stefan Schubert wird tatsächlich Landespolizist in Nordrhein-Westfalen, an seinem Lebensstil ändert das nichts. In der Retrospektive begnügt er sich mit einer Schilderung des damaligen Status Quo „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde. Wie auf Knopfdruck konnte ich meine beiden Persönlichkeiten wechseln Mit der Uniform war ich Hüter über Recht und Ordnung – mit meinen New‑Balance‑Schuhen indes war ich ein Schläger.“ Am Wochenende stehen Boxtraining, Saufen, Fortgehen und Fußball auf dem Programm. Kein Zwiespalt, keine Zerrissenheit. Schubert sagt: „Und der Polizist in mir? Es war Wochenende.“ Seine Kenntnisse erprobt er auch in Straßenschlachten gegen Linksautonome und schildert – nicht ohne Stolz – wie er allein 20 bis 25 Krawallmacher verjagt.

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„Gewalt ist eine Lösung“ ist eine Wiedergabe von Schlägereien, die schon nach wenigen Seiten langweilig werden. Nicht zuletzt aus dem Grund, da sie stilistisch platt geschildert werden. Einen Extra-Schuss Gewissensberuhigung gibt es gratis dazu. Denn Stefan Schubert scheint auch heute noch von der Richtigkeit (oder zumindest nicht von der Falschheit) seiner damaligen Taten überzeugt zu sein: „Was war denn geschehen? Hatten wir unschuldige Passanten verdroschen? Frauen? Kinder? Ältere Menschen? Nein! Einem Haufen abgefuckter Möchtegern-Rockern hatten wir es besorgt. Typen, die sich schlagen wollten. Einem Kampfsport gleich.“ Geschmacklos etwa, wenn er einen wüsten Krawall mit der Ästhetik von Sport vergleicht: „Ich sah nicht die rohe Gewalt in meinen Schlägen, sondern die Perfektion.“ Das Buch besteht fast ausschließlich aus diesen mit banalen Worten geschilderten Jagd‑und‑Prügel‑Episoden. In Erinnerung bleibt wohl nur eine kurzweilige Geschichte, in der der alkoholisierte Protagonist und ein ebenfalls betrunkener Freund einer amerikanischen Pensionistin bereitwillig beim Koffertragen helfen und diese (aus Langeweile) kurzerhand mitgehenlassen. Als ihnen schließlich dämmert, welchen Blödsinn sie wieder einmal gemacht haben, laviert sich Schubert geschickt aus der Affäre: Sie hätten die Gnädigste im Gedränge des Bahnhofes nicht mehr gefunden, dann sei seinem Freund so übel geworden, dass sie Hilfe holen mussten, beteuert er bei der Bahnhofspolizei. Schubert hat Glück – so wie immer: Als er einmal fotografiert wird, wird sein Gesicht in der Zeitung geschwärzt, Vorladungen und Anzeigen werden immer zurückgezogen. Einmal beschuldigt ihn ein Autonomer im Gerichtsaal, ist sich aber wenige Minute später doch nicht mehr sicher, wer ihn einst geschlagen hat. Der Polizist Schubert schafft es sogar sich vor neuen Fotos für den Dienstausweis zu drücken und verhindert so, dass sein Bild mit gesammelten Dokumentationen der Arminia-Fanszene verglichen wird. Des Pudelskern – der Gewalttäter Sport – wird einfach entdeckt. Es kursieren Gerüchte, doch die Kollegen halten zusammen. Ausgerechnet eine Schlägerei, die er bewusst auslässt, wird ihm schließlich zum Verhängnis. Während sich seine Blue Army-Kollegen mit Kölner Fans prügelt, lassen Frank und er die Bierflaschen kreisen und schlendern danach langsam in die Bielefelder Innenstadt. Ein Streifenwagen hält an und es geht plötzlich ganz schnell: „Anton, Gewalttäter Sport, gewalttätig.“ Frank hat bereits polizeiliche Vormerkungen, der szenekundige Beamte bestätigt über Funk Schuberts Verbindungen zur einschlägigen (!) Fanszene. Endlich – möchte man sagen – beginnen die Ermittlungen gegen ihn zu laufen: Am 5. November 1996 lässt sein Arbeitgeber über die Presse die Bombe platzen: „Polizeibeamter ist Fußball-Hooligan“. Schuberts Glückssträhne ist beendet: Ein neuer Kollege erkennt ihn. Schubert hat ihm vor vier Jahren das Jochbein gebrochen. Letztendlich kommt er (in Anbetracht seiner Verfehlungen) doch glimpflich davon: Er scheidet „freiwillig“ aus dem Polizeidienst aus, zahlt Geldbußen für die Einstellung der gegen ihn geführten Verfahren. Das Doppelleben ist beendet.

Der Autor findet abschließend noch Zeit sich über seine „vermeintliche“ Stigmatisierung zu beschweren: Seine ehemalige Dienstbehörde habe Fotos länger als gesetzlich vorgesehen behalten. Auch sein Resümee ist Psychohygiene: Er habe als junger Mann gelernt, dass Gewalt eben eine Lösung sei und sei beim Bundesgrenzschutz und der Polizei weiterhin dieser Linie treu geblieben. Schlusspunkt: Er sei zwar gereift, vermisse aber die Unbekümmertheit, das Draufängertum, die Lebensfreude. Mein Schlusspunkt: Stefan Schubert hat wenig verstanden.

 „Gewalt ist eine Lösung: Morgens Polizist, abends Hooligan – mein geheimes Doppelleben“ von Stefan Schubert, 345 Seiten, ist 2010 im Riva-Verlag, erschienen.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag