Buchrezension: „Ich mag, wenn’s kracht“ – Jürgen Klopp. Die Biografie.
Kunst & Literatur 15.Dezember.2018 Marie Samstag 0
„Ich konnte es kaum glauben, um ehrlich zu sein.“, schüttelt Jürgen Klopp den Kopf. Es ist der 23. April 2013. Klopp ist so fertig, dass er an diesem Abend zuhause bleibt, obwohl er eigentlich mit seiner Frau ausgehen wollte. Mario Götze, das „Symbol der Dortmunder Wiedergeburt“, wechselt für 37 Millionen Euro zu Bayern. Der BVB muss gegen Real Madrid antreten, auch um Superstürmer Lewandowski ranken sich Transfergerüchte, der damals 45-jährige Trainer erlebt eine emotionale Achterbahnfahrt an deren bittersüßem Ende er sagen muss: „Alles gut, Jungs. Macht euch einen schönen Abend!“. Im Natural History Museum in London feiern die Dortmunder ihre Finalniederlage in der Champions League gegen den Lokalrivalen aus der Bundesliga. Damals ist Jürgen Klopp einer der bekanntesten Fußballtrainer der Welt. Der Bub aus dem Schwarzwald hat es innerhalb weniger Jahre ganz nach oben geschafft. Das hatte er schon als Spieler Kult-Rapidler Samuel Ipoua geflüstert: „Sammy, eines Tages bin ich der beste Trainer Deutschlands!“
Nix geschwätzt, isch Lob genug
Im „Haarstüble“ von Isolde Reich treffen sich die Bewohner von Glatten zum Haareschneiden, Socken kaufen (für einen guten Zweck!) und um News von „The Normal One“ zu erfahren. Im nördlichen Schwarzwald, wo Jürgen Klopp aufwuchs, arbeitet seine zweitälteste Schwester heute als Friseurin. Geboren wurde der spätere Erfolgstrainer als erster Sohn und jüngstes von drei Kindern im Frühsommer 1987 in Stuttgart (und das auch nur, weil ein Kaiserschnitt im nahen Krankenhaus Freudenstadt nicht möglich war). Schon Vater Norbert hegte den Wunsch mit Fußballspielen sein Geld zu verdienen. „Er war ein Typ voller Energie und Charme.“, erzählt ein Freund der Familie und könnte dabei genauso über Jürgen Klopp selbst reden. Vom Vater erbt Jürgen das mäßige Fußballtalent und den unbedingten Willen zum Sieg. Den Fleiß und die Besonnenheit hat er von Mutter Elisabeth, die als Tochter eines Brauereibesitzer mit viel Verantwortungsbewusstsein aufwuchs. Mit sechs Jahren startet Jürgens Fußballkarriere in der E-Jugend des SV Glatten. Nebenbei scheucht ihn sein Vater verschneite Hänge hinunter, lässt ihn Runden laufen oder drückt ihm den Tennisschläger zum Doppel in die Hand: „Klopp musste lernen „zwischen den Zeilen zu lesen“ um zu erkennen wann sein Vater zufrieden war.“
„Klopple“ wie er genannt wird, ist witzig, wissbegierig, ein ehrgeiziger Sportler, Mitglied in der schuleigenen Theatergruppe und ein Lausbub. Er ist (höflich ausgedrückt) kein Techniker, sondern ein Dazwischenhauer, der es unbedingt in den bezahlten Fußball schaffen will. Als Zwanzigjähriger spielt er als Stürmer drei Stunden von seinem Heimatort entfernt für Pforzheim. Bei Viktoria Sindlingen und Rot-Weiss Frankfurt macht er sich später als Raubein einen Namen. Im Dezember 1988 wird der spätere Meistertrainer Vater eines Sohnes. Ab diesem Zeitpunkt muss Jürgen den Spagat zwischen Familie, Fußball und Studium – der Vater hat durchgesetzt, dass er an der Frankfurter Uni nebenbei Sportwissenschaften studiert – schaffen. Erst mit 23 Jahren wird Jürgen Klopp Profi und ist glücklich wie ein Schneekönig: „Ich hätte bezahlt, um kicken zu dürfen!“ Seine sportliche Heimat findet er in Mainz, wo er zunächst als Mittelstürmer aufläuft. Er ist kein Musterprofi: Jürgen liebt die Action am Feld genauso wie Bratwurst und Zigaretten. Er schreit seine Mitspieler an, sodass die mehr Angst vor ihm als vor dem Gegner oder gegnerischen Fans haben. Trotzdem ist er eine Stütze der Mannschaft und ein guter Kamerad. Elf Jahre lang spielt er bei Mainz, meistens gegen den Abstieg und wird zu einer Ikone des Vereins aus der Karnevalsstadt.
Es ist Wolfgang Frank, der ihn in die Welt der Taktik einführt. Dessen Söhne können sich heute noch gut daran erinnern, wie Klopp ständig Fragen stellte und Frank ihn ermutigte alles aufzuschreiben. Als der Spieler Klopp Trainer Constantinis (nicht vorhandenen) Spielplan kritisiert, nimmt dieser ihm kurzerhand zur Strafe die Kapitänsschleife weg. Doch Klopp ist nicht aufzuhalten. Als Mainz im Februar 2001 wieder einmal in die Abstiegsränge gerät und schon fünf Trainer „verbraucht“ hat, beschließt die Mainzer Führungsebene: Jürgen soll es richten. Er hängt flugs die Schuhe an den Nagel und hält in einem Hotel in Bad Kreuznach seine erste Mannschaftsbesprechung als Trainer: Eine Entdeckung! „Ich kannte ja schon zehn oder elf Trainer, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Du wolltest raus und sofort spielen.“, erzählt Christian Heidel, damals Manager. Klopp knüpft an das unter Frank erarbeitete System an und sorgt dafür, dass seine Spieler gemeinsam kämpfen und rennen: „Wir wollten das Spiel so aufziehen, dass es unabhängig war vom Gegner.“ Seine Fähigkeiten als Spieler – „Er konnte ein Spiel lesen.“ – helfen ihm enorm. Er hält mit seinen Spielern die Klasse und die Erfolgsstory des späteren „Normal One“ beginnt. Im dritten Anlauf gelingt der Aufstieg in die Bundesliga mit einer Mannschaft, die aus Durchschnittskickern besteht. Klopp fährt mit seinen Spielern zwecks Gruppenbildung in eine Schwarzwaldhütte, wo sie sich selbst versorgen müssen, und impft ihnen ein, das Spiel zu dominieren. Er gilt als streng mit genügend menschlichem Feingefühl.
„UEFA-Cup-Feeling? Ist das so etwas wie Sodbrennen?“
Autor dieser Klopp-Biografie ist Raphael Honigstein. Der gebürtige Münchner lebt seit 25 Jahren in London und schreibt auf der Insel über deutschen Fußball und in Deutschland über die englische Liga. Irgendwie war es klar, dass er sich früher oder später dem Thema Klopp widmen musste. Honigstein erzählt die Lebensgeschichte des zweifachen Meistertrainers mit Liebe zum Detail und nicht chronologisch aufgebaut. Dieses Wirrwarr erweist sich als halb so effektvoll wie wahrscheinlich gedacht, ebenso gelingt es ihm nicht Klopps Philosophie zu vermitteln, die sich eigentlich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen soll. Man wird das Gefühl nicht los, das Honigstein den Charakter des Deutschen schwer freilegen kann.
Alles läuft nach Rezept ab: Klopp reißt alle mit, ob in Mainz, Dortmund oder jetzt bei Liverpool. Als er zum BVB kommt, macht er dem 28-jährigen Sebastian Kehl klar: Er will Tempofußball, Pressing und eine eisenharte Defensive am Feld sehen. Damit küsst er einen schlafenden Riesen wach. „Er stand oft an der Seite und rastete aus. Wir sollten draufgehen.“, erzählt Neven Subotić. Für Honigstein ist logisch worauf die Erfolge der Dortmunder zurückzuführen sind: „Malocher-Arbeitsethik, Bescheidenheit, Cleverness“. Şahin, sein Nachfolger Gündoğan, Kapitän Kehl, Dortmunder-Urgestein Kevin Großkreutz und die Jungstars Götze und Reus schwärmen alle von Klopp und den magischen Jahren im Signal Iduna Park. 2015 geht die Geschichte nach zwei Meistertitel, einem Pokalsieg und einem verlorenen CL-Finale zu Ende. Der Schwabe analysiert wie immer treffend: „Deshalb muss ein Kopf weg – und das ist in diesem Fall meiner.“ Der Spruch ist sein letzter markiger Sager auf Deutsch.
In New York trifft sich Klopp mit Funktionären des FC Liverpool zu klammheimlichen Gesprächen. „Meine Güte, der Kloppo!“, staunt der Hotelportier, der natürlich aus Mainz stammen muss und den inkognito-reisenden Arbeitslosen gleich erkennt. Die Vereinsfunktionäre des englischen Traditionsklubs sind begeistert von seiner Persönlichkeit, seinen analytischen Fähigkeiten und seiner effizienten Kommunikation. Als der Chef der Fenway Sports Group, der Eigentümerin des FC Liverpool, ihm eine SMS schickt, wie sehr er sich auf die Zusammenarbeit freue, antwortet Klopp nur mit „Woooooooooooooow!!!“.
Seither beehrt Klopp den FC Liverpool und schrammte bereits dreimal knapp an einem Titelgewinn vorbei. Schon bei seiner Vorstellungspressekonferenz sagt er, er sei „kein Idiot“, „kein Träumer“, sondern ein „normaler Typ.“ Deshalb (und wegen seiner emotionalen Art) lieben ihn die Fans. Jamie Carragher behauptet gar, dass sich viele Liverpool-Anhänger heute am liebsten Klopps Name auf ihr Trikot drucken lassen würden. Der Deutsche, der im Sommer 51 Jahre alt geworden ist, ist wahrscheinlich noch nicht in der Mitte seines Weges als Trainer angelangt. Es wäre besser gewesen, Raphael Honigstein hätte mit seiner Biografie über die „Naturgewalt“ noch etwas gewartet.
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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