Toni Polsters Wunsch, Peter Stöger möge in Köln eine Institution wie Otto Rehhagel in Bremen werden, ist unerfüllt geblieben. Als Ex-Krone-Sportchef Peter Linden 2017 eine Biografie über seinen Namensvetter Stöger herausbrachte, hätte die Prophezeiung allerdings noch eintreten können. Das Buch endete mit einer rauschenden Party der Kölner Kampfmannschaft in der „Halle Tor 2“. Modeste, Bittencourt und Zoller tauften ihren Cheftrainer mit Kölsch, nachdem man die Saison auf Rang fünf abgeschlossen hatte. Stöger verließ die Feierlichkeiten nach Mitternacht, nicht ohne sich bei seiner Lebensgefährtin Ulrike „Uli“ Kriegler zu bedanken: „Sie war immer optimistisch, dass wir es schaffen. Sie ist die wichtigste Person in meinem Leben.“ Das Kapitel Köln gehört für Peter und Uli jetzt allerdings der Vergangenheit an: Nach 14 Spieltagen und drei Punkten endete die vermeintliche Traumbeziehung zwischen dem Wiener und dem Effzeh im Dezember 2017. Seine überraschende Anstellung als BVB-Übergangscoach blieb für den Wiener anschließend auch nur eine Zwischenstation. Im Moment erholt sich der 52-jährige in seiner Heimatstadt.
Seine Trainerkarriere ist wohl noch lange nicht zu Ende. Stöger ist mittendrin und bekannt: Ein Österreicher, dem der Sprung aus der heimischen Liga ins Nachbarland gelang, ein Wiener mit Schmäh, der die Jecken verrückt machte, ein Meisterkicker, dem einst equestrische Schmähgesänge gewidmet wurden und – nicht zuletzt – ein echter Fachmann. Letzteres kommt in Lindens Biografie („Peter Stöger – Seine Mannschaften. Seine Erfolge.“) aber viel zu kurz. Das Buch ist ein chronologischer Lebenslauf, gespickt mit wenig Wissenswertem, das man nicht auch auf google abfragen kann. Charmelos und ohne Hintergrund, nur ein nüchterner Ablauf der Ereignisse. Die Persönlichkeit des am 11. April 1966 geborenen Favoritners wird ebenso wenig wie dessen Arbeitsmethoden entschlüsselt. Ein Aufbau mit geschickten Brechungen fehlt ebenso. Linden hält nur fest, dass Stöger – dank seiner Erfolge – jetzt schon ein de-facto-Nationalheld ist. Der Ex-Profifußballer hat seinen Weg als Trainer gefunden, ist ein loyaler, glaubwürdiger, sachlicher Experte mit sozialer Ader. Linden zitiert ihn: „Im Bereich Teamführung im Fußball gibt es noch immer viel Luft nach oben. Das wird immer wichtiger werden.“ Mehr hat der Sportjournalist aber nicht vermerkt.
Leben am Laaer Berg
Aufgewachsen im zehnten Wiener Gemeindebezirk, kickte Klein-Peter im Käfig der berüchtigten Per-Albin-Hansson-Siedlung bis er mit 9 Jahren zum FavAC kam. Als stolzer Favoritner drückte der Jungspund damals selbstverständlich seinen Veilchen die Daumen – ohne zu ahnen, dass er selbst einmal im violetten Dress seine größten Erfolge feiern würde. Der gelernte Einzelhandelskaufmann schaffte es bis in die Kampfmannschaft des Favoritner ACs und bestritt nur einen Tag nach seinem neunzehnten Geburtstag sein erstes Bundesligaspiel am Innsbrucker Tivoli. Über Steyr und die Vienna kam Stöger als 22-jähriger schließlich zu seinem Lieblingsverein. Die Verantwortlichen machten ihm klar, dass sie Ersatz für niemand geringeren als den 33-jährigen Herbert Prohaska suchten. Stöger wagte es. Prohaska, der ihn schon bald trainieren sollte, war mit seinem Nachfolger zufrieden: „Peter war schon immer einer, der nie im Mittelpunkt stehen wollte.“, erinnert sich „Schneckerl“. Der schlaksige Mittelfeldspieler mit Schnauzer und Flinserl spielte sich bald in die Stammelf und ins Nationalteam. Seine Teamkarriere dauerte elf Jahre und blieb durchwachsen.
Nach zwei Meistertiteln und Cupsiegen mit den Violetten ereilte den 26-jährigen der Ruf der Frankfurter Eintracht. Doch Stöger spürte, dass man nicht wirklich auf ihn baute und entschied sich in Wien zu bleiben. Er wurde erneut Meister mit den Veilchen. Nach einem 4:0 im Cupfinale 93/94 über den FC Linz verabschiedeten sich Peter Stöger und Trainer Hickersberger gemeinsam. Stöger entschied sich für einen Wechsel zu Innsbruck, auch weil Hans Krankl als Trainer aus Mödling dazustieß. Doch der Traum von Finanzguru Klaus Mair mit Tiroler Urgesteinen wie Kirchler, Baur oder Wazinger und gestandenen Spielern wie Cerny oder Souleyman Sané (Vater von Leroy) Meister zu werden sollte unerfüllt bleiben. Die Finanzblase platzte, die Harmonie im Team war nicht vorhanden. Am Ende der Saison standen die Tiroler auf Rang 5 der Tabelle. Stöger wurde von seinem ehemaligen Trainer bei der Vienna Ernst Dokupil 1995 zum grün-weißen Erzrivalen gelotst. Es sollte allerdings dauern bis der Ur-Favoritner sich bei Rapid eingelebt hatte: Einige Fans brachten ihm unverhohlen Hass entgegen, bei der Auftaktniederlage gegen Ried musste ihm „Dok“ unter vier Augen flüstern: „So hilfst du uns nicht!“. Doch der Mittelfeldspieler biss sich durch. Mit Rapid wurde Stöger nochmals Meister und verlor unglücklich das Europacupfinale. Als er jedoch vor laufenden Kameras die Beherrschung verlor, wurde er von seinem Klub beurlaubt. Das Kapitel Rapid endete unrühmlich. Stöger lehnte eine Offerte seines späteren Arbeitsgebers, dem 1. FC Köln, ab und schlug auch Angebote von 1860 München und Sturm aus. Sein Weg führte ihn zunächst zum Lask, wo ihm ein Stammplatz sicher war. Von dort ging es zur Austria, die bereits unter Frank Stronachs Einfluss stand, zur Admira und schließlich hängte Stöger bei Untersiebenbrunn seine Fußballschuhe an den Nagel. Damals stand für ihn fest: Er wird Trainer. Sein Interesse an diesem Job war schon in der Zeit bei Rapid geweckt worden. Erlebt hatte er von Krankl bis Baric über Heri Weber, Happel, Hickersberger bis Baumeister viele große Fußballer, die nun an der Seitenlinie standen. Stögers Resümee ist erstaunlich. Auf die Frage, was er denn von den großen Fußballern mitnahm antwortete er: „Vor allem Dinge, die man nach meiner Meinung anders und besser machen sollte.“
Schnelldurchlauf
Im Fast-Forward-Modus spult Linden Stögers Karriere als Aktiver durch und auch seine ersten Schritte als Trainer werden dem Leser ohne richtig in medias res zu gehen vorgelegt: Die erfolgreiche Saison 2005/06 wird nur in neun Zeilen beschrieben und endet mit dem verhängnisvollen Satz: „Aber auch ein Double schützt nicht vor den Launen eines Milliardärs…“ Als Stronach den frechen Frenkie Schinkels im Fernsehen sah und zur Austria lockte, schlug Peter Westenthaler – damals Magna-Angestellter – seinen Kinderfreund Stöger als Sportchef der Veilchen vor. Die beiden Peters kannten sich noch vom FavAC-Nachwuchs. Stöger, der gerade als Manager der Austria Amateure arbeitete, und Schinkels wurden zu „Stönkels“ und verhinderten als erste Heldentat Rapids Doublesieg 2005. Dem Duo gelang es ein Jahr später selbst Meistertitel und Cuppokal zu holen. Den Feierlichkeiten folgte aber das böse Erwachen: Stronach machten seinem Trainerteam Vorwürfe nicht genügend junge Spieler eingesetzt zu haben. Der Austrokanadier ließ auf eigene Faust zwölf Kicker der Meistermannschaft verkaufen, von diesem Aderlass sollten sich die Violetten nicht erholen. Gegen Benfica Lissabon wurde die CL-Quali verpasst, in der Meisterschaft brannte der Hut. Die Fans skandierten: „Stönkels raus!“. Frenkie Schinkels stand vorm Burnout, Stöger wollte alleine weitermachen, doch der frisch installierte Thommy Parits lehnte ab. Parits überbrachte den Meistermachern die Kündigung während „Onkel Frank“ lieber Tennisspielen ging.
Peter Stöger heuerte bei der Vienna in der dritten Liga. Nebenbei schrieb er Kolumnen und analysierte für den ORF. Beim ältesten Fußballverein Österreichs lernte der Ur-Favoritner Demut und Bescheidenheit kennen: Der Meistertitel war von gestern, jetzt musste er sich fragen, ob seine Burschen nach dem Training genügend Warmwasser zur Verfügung hatten. Dennoch stieg er mit den Blau-Gelben auf. Seine Zeit endete im Herbst 2010 nach einem Zerwürfnis mit Präsident Dvoracek. Über den GAK kam der Wiener schließlich 2011 zu Wiener Neustadt, wo seine fruchtbare Zusammenarbeit mit Manfred Schmid begann. Stöger bestimmte Siebenhandl zum Stammtormann und mache den Ex-Austrianer Troyanski zum Abwehrchef. Die Wiener Neustädter spielten defensiv und erreichten ihr Saisonziel. Als man in Wien-Favoriten nach einem neuen Trainer Ausschau hielt, fiel bald Peter Stögers Name. Wunschkandidat Foda sagte den Veilchen ab und die zweite Wahl sollte sich als Glücksgriff entpuppen. Schon zu Beginn ihrer Zeit wünschten sich Schmid und Stöger Admiras Hosiner als schnellen Stürmer. Tatsächlich wurde man (mit Hosiner) 2013 mit Punkterekord österreichischer Meister. Die darauffolgende Niederlage im Cupfinale ärgert Stöger bis heute. Es ist ihm ein Rätsel, warum die Austrianer im Finale nicht genügend Feuer aufbrachten.
Aufstöger
Als er vom Interesse aus Köln hörte, wurde Stöger neugierig. Finanzboss Kraetschmer lehnte die ersten beiden Angebote der Rheinländer jedoch ab. Der sonst so gelassene Wiener wurde ärgerlich: „Wir reden nur von Moral, wenn gute Leute sich trotz bestehenden Vertrags verbessern wollen. Wir reden nicht über Moral, wenn Trainer trotz Vertrags gefeuert werden.“ Damit sein neuer Arbeitgeber die Ablöse stemmen konnte, verzichtete der Wiener schließlich auf Geld. Köln und Stöger – das sollte passen. Der Wiener ist nicht medienscheu, biedert sich aber auch nicht an. Er kündigt Schreiberlinge sofort die Freundschaft, wenn die ihn falsch zitieren, ist ansonsten umgeänglich. „Dat Wiener Schnitzel“ und seine langjährige Freundin gehören schnell zum Inventar des Kultvereins: Uli feiert als Kabarettistin Erfolge, Trainer Stöger entwickelt Spieler wie Jonas Hector zum Stammspieler, gibt Landsmann Wimmer die Chance in der Bundesliga zu spielen. Der Aufstieg gelingt schon 2014. Mit einem Lauftrainingslager im Burgenland rüstet man sich für eine harte Saison in der ersten Liga. Als der Effzeh zur Winterpause nur zwei Punkte vor dem Abstiegsplatz liegt, müssen sich Stöger und Schmid etwas einfallen lassen. In Florida nimmt man die Sorgekinder der Mannschaft ins Gebet. Der Trainer selbst löscht seinen Facebook-Account. Als der Wiener Ex-Austria-Knipser Hosiner zu ihm holen möchte, mutiert er zum Lebensretter: Beim Medizincheck wird auf „Hosis“ Niere ein 2kg schwerer Tumor entdeckt. Der Schock sitzt bei allen Beteiligten tief. Stöger gelingt es Köln zu stabilisieren: Im Frühjahr verlieren die Rheinländer kein Heimspiel, punkten bis auf Bayern und Freiburg gegen jede Mannschaft. Stöger festigt sein Team auch 2015/26 weiter und holt mit Rang Neun die beste Platzierung seit neun Jahren. Zu Beginn seiner vierten Amtszeit kommuniziert der Erfolgstrainer schließlich, dass der Zenit langsam erreicht sei, dennoch lässt er zuhause offensiver und hohes Pressing spielen. Wieder einmal geht sein Konzept auf: Nach der Euro 2016 ist der 1. FC Köln zum ersten Mal seit zwanzig Jahren Tabellenführer. Peter und Uli feiern auf der Kölschen Wiese, Österreichs Kanzler Kern gratuliert per Twitter. Als man gegen Ancelottis Bayern 1:1 spielt, träumt die Stadt schon vom Meistertitel. Viele fantasieren von einem Wunder à la Leicester City mit Anthony Modeste als Jamie Vardy. Das Pech kommt aber in Form von Verletzungen. Am Ende erreicht man den fünften Platz und spielt international. Das Buch ist fertig, die Geschichte (heute) auch. Bleibt zu hoffen, dass eine Fortsetzung besser würde. Eine Fortsetzung des Buches selbstverständlich.
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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