Andreas Herzogs Buch überrascht schon beim Öffnen: Der ÖFB‑Rekordspieler hat sich für eine kleine Schriftgröße entschieden. Er preist sein Werk als „ein echtes Buch... Buchrezension: „Mit Herz und Schmäh“ von Andreas Herzog

Andreas Herzogs Buch überrascht schon beim Öffnen: Der ÖFB‑Rekordspieler hat sich für eine kleine Schriftgröße entschieden. Er preist sein Werk als „ein echtes Buch über einen, den es kein zweites Mal gibt“ an. Das stimmt. „Mit Herz und Schmäh“ besteht nicht nur aus kleiner Schrift und eng bedruckten Seiten, sondern auch aus einem nicht linearen Aufbau, Zitaten von Emile Zola bis Albert Einstein und 103 Anekdoten (für 103 Länderspiele). Zwischendurch lässt sich „Herzerl“ von seinen Co-Autoren begleiten und spart nicht an Weisheiten („Selbst der dümmste Trainer kann einen guten Spieler nicht verhindern.“). Die „Ghostwriter“ haben den damaligen Neo-Admira-Trainer zuhause im Wiener Umland, am Trainingsplatz und im Auto zu seiner großen Karriere befragt. Herausgekommen ist ein erfrischendes Buch, das – dank der vielen (scheinbar systemlosen) O-Töne – kein langweiliger, chronologischer oder mit Superlativen ausgefüllter Lebenslauf ist. Andis Gedanken zu Fußball als Spiel sind ebenso bereichernd, wie die Tatsache, den Ex-Bremen-Legionär von seiner persönlichen Seite kennenzulernen.

Der kleine Lord äh Herzog

Prägend für die Karriere des Mittelfeldspielers ist bereits die Tatsache, dass Klein-Andi seine früheste Kindheit rund um den Admira-Platz in Maria Enzersdorf verbringt, wo sein Vater Anton „Burli“ Herzog die Schuhe für die Südstädter schnürt. Anfangs noch ein schüchterner Hosenmatz, ist es die Frau Mama, die ihren Buben eines Tages einfach zu den Admira-Knaben dazustellt und ihn so seiner Lieblingsbeschäftigung – Spielen mit dem Hund des Zeugwarts – beraubt. Der spätere Rapid-Regisseur ist zwar anfangs stocksauer, ob dieser eigenmächtigen Aktion, die Begeisterung für den Fußball überdeckt allerdings bald diesen Zorn. Für Herzog ist dieser Beginn prophetisch: „Als junger Spieler [habe ich es] immer allen Menschen recht machen [wollen] und dadurch immer auch ein bisserl Kompromisse gemacht.“

Keine Zugeständnisse dagegen macht wenig später Vater „Burli“ bei der Entwicklung seines Juniors: Er hält ihn dazu an seinen starken linken Fuß weiter zu trainieren und wechselt mit ihm zusammen zu Rapid als der Admira-Nachwuchs in den niederösterreichischen Verband eingegliedert wird und die Entwicklung des Top-Talents zu stagnieren droht. Der Jungprofivertrag bei den Grün-Weißen ergibt sich aus einer Bauchentscheidung, da bereits zwei Bekannte von Andi in Hütteldorf kicken. Er ist zwar ein körperlicher Spätentwickler aber schon ein halber Freistoßgott mit feinem linken Pratzerl. Der junge Herzog kann nicht genug bekommen; spielt für die U 18, U 21 und schon erste Minuten bei den Profis. Da aber der Durchbruch unter Otto Barić trotzdem auf sich warten lässt, geht er zunächst zur Vienna, wo ihm Ernst Dokupil sagt: „Jetzt geh raus, spiel mit deinen Stärken und mach mich glücklich!“ Das klappt wunderbar: Erstes Tor ins Kreuzeck und in den kommenden zwei Spielen erzielt Herzog jeweils den Siegestreffer.

Plötzlich trägt Andi das Trikot mit dem Bundesadler und ist – wider Willen – erneut Rapidspieler. Trainer Krankl bezeichnet ihn als „weißen Gullit“ und sagt ihm eine große Karriere voraus. Kurios, dass „Herzerl“ bei seinen einzigen österreichischen Meistertiteln (1987 und 1988) sowie dem Cupsieg (1988) noch kein unumstrittener Stammspieler der Hütteldorfer ist. Erst nach seiner Rückkehr aus Döbling reift er zum Spielgestalter des Rekordmeisters, Titel gewinnt er jedoch mit Rapid keine mehr.

Andreas, der Große

Doch „Mit Herz und Schmäh“ ist so auf den Kicker zentriert, dass die beiden Tellergewinne nur Erwähnung als Randnotiz finden. Viel mehr Aufmerksamkeit wird da Andis „zweitem Vater“ Otto Rehhagel gewidmet, der auch den Prolog verfasst hat und offensichtlich der einzige Mensch weltweit ist, der den (mittlerweile) Ex-Admira-Trainer „Andreas“ ruft. Schon zwei Jahre vor Herzogs Engagement bei Werder läutet in der elterlichen Wohnung in Wien-Meidling das Telefon: „Ich beobachte Sie ja schon lange Zeit und werde Sie weiter verfolgen. Und vielleicht kreuzen sich ja einmal eines Tages unsre Wege.“, sagt der spätere Europameister-Trainer. 1992 „kreuzen sich die Wege“ und der Wiener übersiedelt an die Weser und wird Werderaner.

Ausgerechnet zwei Spiele gegen die Bayern, bei denen er sich später nicht durchsetzen kann, werden zu „Herzerls“ Durchbruch beim Bundesligisten. Der 24-jährige ist am Höhepunkt seines Schaffens und wird 1993 mit Werder Deutscher Meister. Der Transfer zum „FC Hollywood“ – gemeinsam mit seinem Mentor – ist der logische Schritt, doch Andis Karriere bekommt in der bayerischen Hauptstadt einen Knacks. Er verliert das für ihn – als Lenker und Denker ‑ des Spiels so entscheidende Selbstbewusstsein: „Bei den Bayern habe ich überlegt. Soll ich lieber zum Papin spielen oder zum Klinsmann oder zum Scholl oder zu dem … ich wollte halt nicht anecken, das geht aber nicht. Du musst deine Fehler machen und dich dann auch durchsetzen.“ Mit der berühmtesten „Gnackwatsch’n“ der deutschen Bundesliga ist Herzogs Zeit bei den Roten mehr oder weniger zu Ende.

Heute blickt er selbstkritisch auf das Intermezzo an der Isar zurück und meint, er hätte früher eine Scheiß-mir-nix-Mentalität an den Tag legen sollen. Nach dem UEFA-Cup-Sieg zieht er für fünf weitere Jahre zurück nach Norddeutschland. Neben dem Pokalsieg 1999 heimst er nur noch auf Nationalmannschaftsebene Erfolge ein: Seine „Schwedenbomben“ ebnen den Weg zur WM-Teilnahme 1998. Ex-Trainer, Ersatzvater und Mentor Rehhagel gratuliert telefonisch: „Andreas, JETZT sind Sie ein Großer.“ Doch Herzog kann die Endrunde in Frankreich nicht richtig genießen: Die rechte Zehe ist kaputt, zudem hat er eine Knochenabsplitterung im linken Fuß.

Überhaupt wird dem/der Leser/in während der Lektüre des Buches klar, dass der Feintechniker ein harter Hund ist: Seine Verletzungsserie beginnt schon im siebenten Spiel für die Vienna, als ihm alle Bänder im rechten Knöchel reißen („Es macht einen Riesenschnalzer. Nationalteamkollege Peter Artner sitzt auf der Tribüne und erzählt mir später: ,Herzerl, dieses grausliche Geräusch hast du bis hinauf gehört.‘“). Als frischgebackener Pokalsieger droht ihm wegen eines monströsen Blutergusses im Oberschenkel angefangen vom Aufschneiden und einer Hauttransplantation bis hin zur Amputation alles, was sich schmerzhaft anhört. Letztendlich ziehen acht Kanülen den „Leberkas“ (O‑Ton Herzog) aus seinem Bein.

Was übrig bleibt…

2002 muss Herzog zurück in Hütteldorf die Erkenntnis gewinnen, dass er als Leader die Mannschaft nicht mitreißen kann, sondern beginnt sich ihrem Niveau anzupassen. Trainer Matthäus ist mit seinen 40 Lenzen technisch besser als die gesamte Rapid-Mannschaft und auch die Hardcore-Fans des Rekordmeisters vermiesen dem einstigen Nachwuchsspieler die Rückkehr: Nach der (laut Herzog) so nie getätigten Aussage, er hätte lieber zur Austria gehen sollen, wird er als Judas beschimpft. Der einstige Deutschlandlegionär verhandelt nach einem Jahr bei den Grün-Weißen mit den Rangers, Sturm Graz und dem FC Kärnten, ehe er schließlich nach Los Angeles geht. Bei LA Galaxy bieten ihm Klinsmann und Co. einen Vier-Jahres-Vertrag. Die Umgebung ist professionell, die Ligaqualität mäßig, die körperliche Fitness entscheidend: Goldene Zeiten im sonnigen Kalifornien; bis ihn seine krebskranke Schwester bittet heimzukommen. Andi löst den Vertrag nach nicht einmal einem Jahr auf und fliegt nach dem verlorenen Finale der Western Conference nachhause: The Duke is coming home.

Auf den letzten knapp vierzig Seiten wird Andi Herzogs bisheriges Trainerleben rekapituliert, ohne in die Tiefe zu gehen: So sind Leichtigkeit und Freude, ohne Druck und mit ganzer Kreativität spielen „absolute Basics“ seiner Arbeit als Coach. Genauso wie Kommunikation oder „learning by doing“. Aha. Seine fünf Jahre als Co-Trainer der US-amerikanischen Nationalmannschaft oder das zweijährige Engagement als israelischer Nationaltrainer werden nicht mehr so detailliert beleuchtet wie die Spielerkarriere „Herzerls“. Ebenso finden sich der Abstieg und anschließende Rausschmiss bei seinem Stammverein Admira (naturgemäß) noch nicht in der Biografie, dafür endet „Mit Herz und Schmäh“ mit 103 Anekdoten, netten Worten von Goleador Krankl, Schmähbruder Polster, Stimmenimitator Alex Kristan und einigen Hochglanzfotos.

In den 103 Geschichten erfährt man, dass Klein-Andi in seiner Premierenpartie in ein 1:8-Debakel gegen Himberg schlitterte, weil er als Volksschüler lieber Flugzeuge am Himmel als den Spielfortgang beobachtete, dass seine Hammer-Verletzung als Vienna-Spieler sogar den Opa, einen ehemaligen Starringer (Spitzname: Bärentöter), bittere Tränen kostete, dass der 19-jährige vom Türsteher von der Rapid-Meisterfeier ausgeschlossen wurde, wie die Fast-Engagements bei Inter, Lille, Shanghai Shenhua und Dortmund scheiterten, wie ihn Beate Rehhagel (Ottos bessere Hälfte) ins Gebet nahm, jener Abend an dem Mama Herzog Gulasch für Uli Hoeneß kochte, wie Andi nach dem Kahn-Rempler mit Trikot im Warmwasserpool auf Tauchgang ging oder das nackte Herumtanzen als Co-Trainer vor dem späteren US-Präsidenten Joe Biden. Storys, die von einem schönen Sportlerleben, einem schönen Menschenleben zeugen.

„Mit Herz und Schmäh“ von Andreas Herzog ist 2021 bei egoth erschienen und kostet 24,90 EUR.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag