Buchrezension | „Mit Leidenschaft zum Lebenstraum“ von Michi Hatz
Kunst & Literatur 22.Mai.2022 Marie Samstag
„Er muss den Britpop variieren.“, sagt Didi Kühbauer: „Als DJ muss er heute den ‚Rap-Kas‘ und Plastikmusik spielen.“ Der Burgenländer gibt seinem ehemaligen Teamkollegen Michi Hatz, der nicht nur eine Radiosendung moderiert und einen Musikblog betreibt, sondern auch Platten auflegt, Tipps. Einst vereinte sie der Fußball, heute laufen sich die beiden Ex-Kicker nur mehr außerhalb davon über den Weg, denn während Kühbauer vor kurzem überraschend LASK-Trainer wurde, hat Hatz, der für die Sportabteilung des Landes Niederösterreich arbeitet, dem Bundesligaprofifußball schon seit längerer Zeit den Rücken gekehrt. „Variieren“ ist aber ein gutes Stichwort, das auch zu dem 2021 erschienenen Buch von Hatz passen könnte.
Die Geschichte, die der Autor erzählen will – Rapid steht nach der Flop‑Aktie Anfang der 90er finanziell am Abgrund und landet nur wenige Monate später in einem Europacupfinale -, scheint viel märchenhaften Stoff herzugeben, doch vielmehr als eine Chronologie der Ereignisse kann man aus diesen Episoden nicht herausholen. Hatz gilt zwar als Ur-Grün-Weißer, steht aber nicht so im Mittelpunkt wie – bereits erwähnter – Kühbauer oder Namensvetter Konsel. Zeit wars jedenfalls, dass er sich mit seiner Sicht der Dinge etwas mehr ins Scheinwerferlicht rückte und die Geschichte der Saison 1995/96 mit biografischen Zügen vermischt aufschrieb.
„Neunzig Minuten für die Ewigkeit.“
Michi Hatz sieht aus wie der Traum jeder Schwiegermutter: Der 51-jährige hat halblanges, dunkles Haar, eine sanfte Stimme, spricht überlegt und hat immer ein zartes Lächeln auf den Lippen. So viel Charme und Intelligenz traut man einem (Ex-)Fußballer – natürlich zu Unrecht – nur selten zu. Und doch, es ist eine Crux: Viele Kicker – das scheint auch für pensionierte Vertreter dieser Zunft zu gelten – liefern dank optimaler Medienschulung zumeist vorgefertigte Antworten ab.
In diesem Sinn wirkt „Mit Leidenschaft zum Lebenstraum“ wie ein Designmöbelkatalog: Eh alles ästhetisch, cool und „da schau her“. Doch nach ein paar Seiten wird’s leider – trotz stylischem Layout und solider Schreibarbeit – fad. Stromlinienförmig geht es von Meilenstein zu Meilenstein, von Spiel zu Spiel; die Bemühungen die Begebenheiten in immer helleren Farben zu schildern, verblassen jedoch von Seite zu Seite. Daran vermag auch die Tatsache, dass der Ex-Italien-Legionär ein Sympathler vor dem Herrn zu sein scheint, nichts zu ändern.
„Von der Mauerbachwiese in die große Fußballwelt“, beschreibt Hatz sein Leben, das ihm von Anfang an keine Wahl ließ: Geboren im November 1970 in Wien, wächst er in Ottakring und später in Hadersdorf-Weidlingau, einem Teil des 14. Wiener Gemeindebezirks, auf. Der Zweitälteste von vier Söhnen wird schon vom Herrn Papa auf die berühmte Pfarrwiese mitgenommen: Familie Hatz trägt grün-weißes Blut in sich.
Als Sechsjähriger schnürt Michi bei Rapids Mini-Knaben seine ersten Fußballschuhe und erinnert sich folgendermaßen an seine Anfänge: „Schon damals muss ich eine starke Disziplin, Konsequenz und Ausdauer gehabt haben.“ Bereits als Knirps habe ihn der sogenannte „Rapid-Geist“ gepackt und nie wieder losgelassen. Auch sein weiterer Lebensweg verläuft à la Hütteldorf: Er verehrt Krankl, steht mit Freunden im Hanappi-Stadion und besucht das Sportgymnasium in der nahegelegenen Astgasse. Ironie des Schicksals, dass dieser Erz-Grüne später ausgerechnet einem gewissen Toni P. den Rekord-Nationalteamtreffer auflegen wird: „Michl, du bist imma in mei’m Herz’n!“
Über eine Leihe in Gablitz und der U 21 kommt Hatz im Winter 1990 schließlich in die Rapid-Kampfmannschaft. Unter dem verehrten Goleador (als Trainer) feiert der Verteidiger sein Debüt. Die blamable Cupfinal-Niederlage gegen Stockerau begründet seine Zeit bei den Profis – ein Schrecken zum Anfang.
Saison der Superlative
Im Buch folgt auf diesen „Anpfiff“ nun eine gut 150-seitige Abfolge der „Super-Saison 1995/96“. Leider sind beschriebene Fußballspiele aber so prickelnd wie abgefilmte Theaterstücke. Hatz hat mit seinen Erinnerungen sicherlich ein Buch für eingefleischte Grün-Weiße fabriziert; Fußballliebhaber ohne religiöses Bekenntnis werden mit dem Stück Zeitgeschichte emotional aber weit weniger anfangen können und es – wenn sie von Schema F genug haben – vermutlich rasch beiseitelegen. Wenn jedes Spiel zur ultimativen Schlacht um alles stilisiert wird, nutzt sich dieser Spannungsbogen rasch ab.
Klar ist, rein faktisch war die damalige Zeit natürlich ein absoluter Wahnsinn. Michis jüngerer Bruder bringt es bei der Hochzeit des neunfachen A-Teamspielers mit einem Witz auf den Punkt: „,Du, Papa, wann war Rapid eigentlich das letzte Mal Meister?‘ Der entgegnet: ;Geh, Maxi, frag besser gleich den Großvater.‘“
Während das Ausgleichsverfahren noch läuft und die – mittlerweile legendäre – Gaby Fröschl alleine die Geschäftsstelle schupft, baut Dokupil mit Stöger, Ivanov, Jancker, Barisic, Stumpf, Kühbauer und Co. eine schlagkräftige Truppe auf, die 1995 (endlich) den Cupsieg holt. Neben dem sportlichen Aufstieg wie Phönix aus der Asche, wird in Hütteldorf gleichzeitig auch der Grundstein zur Werdung eines Fanvereins gelegt: Die Kampfmannschaft singt die von Masseur Frey getextete Rapid-Hymne ein, erstmals wird eine Weihnachtsfeier inklusive Spieler-Karaoke – Hatz gibt Falco – auf die Beine gestellt.
Die Rapidler eilen von Erfolg zu Erfolg, besiegen Sporting, Dynamo Moskau und Feyenoord. Alles in allem ist es eher Qual als Qualität, mehr Herz als Hirn, sowie Kampf und Krampf mit denen sich der Wiener Außenseiter ins Finale am 8. Mai 1996 vorarbeitet, trotzdem trägt die Bindung zu den Fans, der Teamgeist der Truppe und ihr unbändiger Siegeswille zum vielbeschworenen Rapid-Mythos bei. Im Endspiel muss man sich jedoch Paris St. Germain geschlagen geben – ein Sportmärchen ohne Happy End. „Viel ist mittlerweile vom verlassenen Glück die Rede.“, analysiert der Protagonist, will aber dank hervorragender Statistik auch die Stärken seiner Mannschaft nicht unerwähnt lassen: Das ändert jedoch nichts daran, dass der SK Rapid an diesem Abend jedoch nur Sieger der Herzen bleibt.
Die Dramatik der Europacuprunden wird auch in der nationalen Spielzeit weitergeführt, so erlöst Christian Stumpf erst im direkten Duell mit Sturm in der letzten Meisterschaftsrunde – dem Finale nach dem Finale – mit einem Hechtkopfball die Wiener: Meister und Europacupfinalist. „Ich bin so glücklich und dankbar das miterleben zu dürfen und etwas beigetragen zu haben.“, beschreibt der Buchautor, der an diesem Abend Ivo Vastic den Zahn gezogen hatte, bis ihn eine Knöchelverletzung stoppte, seine Gefühle. Der Höhepunkt ist zugleich das (vorläufige) Ende: Hatz wird von AC Reggiana verpflichtet.
Als sechster Österreicher in der Serie A debütiert er gegen Juve, doch sein Aufenthalt am Stiefel wird nur ein kurzer Stopp: Nach dem Abstieg in die Serie B, einem überhasteten Transfer zu US Lecce, kehrt Hatz 1998 zu seiner kleinen Tochter nach Wien zurück und läuft wieder für seinen Stammverein auf. Dort trifft er nur mehr auf fünf „Europacup-Fighter“. Damit endet die Nacherzählung der Chronologie des Finaljahres. Wie es mit Hatz‘ Karriere weiterging, erfährt man auch nicht in den kurzen Vorstellungen der „Class of 96“, die das Buch beschließen. Denn dort lässt sich der Defensivspieler lieber mit Ernst Dokupils Worten beschreiben. „Dok“ sagt: „Ich will nichts Negatives über ihn sagen, aber zu viel loben möchte ich ihn auch nicht.“ Ja, das muss man leider auch über „Mit Leidenschaft zum Lebenstraum“ sagen.
„Mit Leidenschaft zum Lebenstraum – Erinnerungen an das magische Jahr 1996“ von Michi Hatz ist 2021 bei echomedia erschienen und kostet 29,95 EUR.
Marie Samstag, abseits.at
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