Robin Gosens ist durchgefallen: Beim BVB-Probetraining, bei der Aufnahmsprüfung der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Er hat es trotzdem geschafft: Heute ist der 1994 Geborene Profi... Buchrezension | „Träumen lohnt sich“ von Robin Gosens

Robin Gosens ist durchgefallen: Beim BVB-Probetraining, bei der Aufnahmsprüfung der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Er hat es trotzdem geschafft: Heute ist der 1994 Geborene Profi bei Inter Mailand und 14-facher DFB‑Nationalspieler. Da ist es beinahe lustig, dass der Außenverteidiger einst ganz andere Zukunftspläne hegte: „Ich wollte immer Polizist werden. Das war mein Traum. Der Traum.“ Nun ist Gosens doch Fußballer geworden und wurde 2020 auf einen Schlag berühmt: Der Quereinsteiger sorgte mit einem italienischen Verein, der ebenfalls nur ein Außenseiter im großen Fußballgeschäft ist, für Furore: Topplatzierung in der Serie A, CL-Viertelfinale 2020. Dazu kam die Corona-Pandemie, die Italien und insbesondere die Region um Bergamo erschütterte. Die höchsten Höhen, die tiefsten Tiefen für Gosens, der im Herbst 2020 auch noch Nationalspieler wurde und später im DFB-EM-Kader dabei war. Diese Zeit hat der Fußballer 2021 in seinem Buch „Träumen lohnt sich – Mein etwas anderer Weg zum Fußballprofi“ verarbeitet.

Im April 2012 wird es ernst: Gosens – damals knackige 17 Jahre alt – kickt beim VfL Rhede im westlichen Münsterland nur wenige Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt. Er besucht das Gymnasium, lebt in einer Kleinstadt und feiert wochenends in der Dorfdisko. Eines Nachts verlässt er die Tanzfläche („Tage wie diese“, „Call me maybe“) schwer alkoholisiert und reißt am nächsten Tag beim Match in der Niederrheinliga eine Wahnsinnspartie ab. Ein Scout von Vitesse Arnheim will ihn daraufhin nach Holland lotsen. Wenige Spiele später meldet auch Twente Enschede Interesse. Robin steht an einer Weggabelung und bittet einen Freund, den Twente auch verpflichten will, um Rat: „,Bruder‘, meinte er, „ich würde das wirklich liebend gerne machen, aber das würde bedeuten, dass ich mein jetziges Leben aufgeben müsste. Und mir ist das einfach zu wichtig.‘“ Das beschreibt die Einstellung, die auch Gosens zunächst teilte: Fußball bedeutete viel, aber bloß als Hobby. Der angehende Abiturient versucht es alleine in Arnheim.

Tatsächlich zeichnet der nunmehrige Italien-Legionär in seinem Buch das Bild eines stinknormalen Menschen, der kein Fußballroboter ist. Gosens nimmt sich kein Blatt vor den Mund, erläutert viel mit Herz und Humor, indem er sich direkt an den/die Leser/in wendet. Er öffnet sich und man vernimmt Töne, die Fußballer gewöhnlich nicht von sich geben. Zum Beispiel zum Thema Mobbing: „Falls sich jemand angesprochen fühlt, der das liest: Es tut mir leid. Ich war ein Vollidiot, der es nicht besser wusste. Ich könnte mich dafür ohrfeigen, dich so behandelt zu haben.“ Selbstkritisch von jemandem, der auch behauptet auf die Hälfte seiner Einnahmen zu verzichten, damit es im Fußball wieder menschlicher zugeht.

Dolce Vita oder so

Das Thema Profifußball hat der junge Robin Gosens eigentlich schon früh ad acta gelegt: Mit 16 Jahren erkrankt er kurz vor einem Kreisauswahllehrgang und bekommt keine zweite Chance. Nachdem er für die U 19 von Vitesse Arnheim aufläuft, düst er zweimal die Woche in die nahen Niederlande und muss für Schulklausuren im Autobahnstau lernen: „Abitur-Note: 2,0“

Im fliegenden Dialog mit seiner Zeit in Bergamo schildert Gosens in seinem Buch den stotterhaften Beginn seiner Profi-Karriere: 17.500€ im Jahr als Leihspieler in Dordrecht, dann Europaleague mit Heracles Almelo. In den Niederlanden holt er sich das technische Rüstzeug für höhere Fußball-Weihen. Danach verscherbelt ihn sein Berater mehr oder weniger hinter seinem Rücken zu Atalanta Bergamo. Der Coup mutiert zum Glücksfall für den Linksverteidiger, obwohl es anfangs so aussieht, als sei er der Serie A weder körperlich noch geistig gewachsen: Er spricht kein Italienisch und Trainer Gasperini stempelt ihn regelmäßig zum Sündenbock ab. Ausgerechnet nach einem EL-Spiel in der Heimat fasst Robin einen folgenschweren Entschluss: „Ich hatte den absoluten Tiefpunkt erreicht. Im Bus schrieb ich Papa: ‚Im Sommer will ich weg, ich kann nicht mehr.‘“

Doch in der Folgesaison etabliert er sich in der Stammelf und Atalanta setzt zu ungeahnten Höhenflügen an: Pokalfinale, Champions League – die Schwarz-Blauen schreiben Geschichte. Im Sommerurlaub auf Mauritius bekommt der Schalke-Fan Gosens die Nachricht seines Beraters, der Vertrag mit seinem Lieblingsklub sei ausgehandelt und alles geklärt: Robin spiele bald im Ruhrpott. Die Erfüllung eines Traumes ante portas: „Als ich sieben Jahre alt war, nahm mich mein Patenonkel mit zu einem Schalke-Spiel in die nagelneue Arena und da erwischte es mich. […] Fußballfans wissen, was ich meine. Pure Magie.“ Doch Atalanta legt sich quer, denn die Mission ist noch nicht erledigt: Nach 0 Punkten in den ersten drei Spielen, schafft man es mit zwei Siegen noch ins CL-Viertelfinale, wo gegen Paris St. Germain Schluss ist. Robin – halber Niederländer – telefoniert mit Bondscoach Koeman, entscheidet sich aber doch für das DFB-Nationalteam und wird der Shooting-Star der EM-Endrunde. Das Buch endet mit Angeboten aus der großen Fußballwelt: Leicester, Chelsea oder Atletico wollen ihn. Am Ende bleibt Gosens seinen Farben treu und wechselt zu Inter Mailand: Gleich nebenan, aber eben der nächste Schritt.

Spieler mit Meinung

Gosens sagt in seinem Buch, was er denkt. Egal, ob zu Druck und Angst im Profifußball, zu Fehlern („Fehler sind entscheidend für die Persönlichkeitsentwicklung und jeder Mensch in jedem Business braucht die Freiheit sie machen zu dürfen, um zu lernen und daran zu wachsen.“), zu sportlichem Patriotismus, zu Beratern oder zu fehlender Kameradschaft („Ich verstand zwar immer noch nicht, warum ein paar der Jungs mir im ersten Jahr nicht hatten helfen wollen. Warum sie [Anmerkung: Mitspieler] lieber den Macho und den Platzhirsch geben mussten, statt einem jungen, unsicheren Spieler die Hand zu reichen. Aber man muss ja auch nicht alles verstehen.“). „Träumen lohnt sich“ ist ein ungewöhnliches Fußballbuch, weil der Protagonist nicht suggeriert, er habe die Weisheit mit dem Löffel gefressen oder die üblichen Phrasen drischt. Gerade deswegen kann das Buch Jung-Kickern Mut machen, etwa wenn der Italien-Legionär schildert, wie er einst beim BVB‑Probetraining schon an der Koordinationsleiter scheiterte und es später trotzdem ins Nationalteam schaffte.

Das Fußballgeschäft beäugt der Autor kritisch, kann sich mit der Tatsache, als Spieler eine Ware zu sein, schwer abfinden. So bilanziert er seinen Fast-Wechsel nach Gelsenkirchen: „Was lernen wir aus dieser Geschichte? Niemals durchdrehen! Besonders im Fußball geht es manchmal so furchtbar schnell, da kannst du dir nie sicher sein. […] Gebt immer Vollgas. Denn wenn ich etwas gelernt habe, dann dass alles einen Grund hat und dass harte Arbeit immer belohnt wird.“ Berater scheinen ein rotes Tuch für Gosens zu sein: Gleich zweimal schmeißt er seinen Agenten raus, weil er übers Ohr gehaut wird. Der selfmade-Profi versucht auf eigene Faust herauszufinden, ob er in Atalanta auch wirklich erwünscht ist und organisiert krampfhaft ein Zwiegespräch mit Trainer Gasperini: „Er redete los und das viel zu schnell. Ich verstand natürlich nichts, nickte nur und wartete auf die Übersetzung.“

Auch Heimweh, Sehnsucht, Langeweile abseits vom Fußballbetrieb kommen zur Sprache. Gosens, der nebenbei an einer Fernuniversität Psychologie studiert, beschreibt, wie er sich von Freunden zurückzog, die in ihm nur mehr einen Promi-Kicker sahen und, dass seine Freundin um mit ihm in Italien zusammenzuleben, ihr eigenes Leben aufgab: „Dafür stehe ich für immer in ihrer Schuld.“ Bereitwillig spricht er über Corona und wie es sich anfühlte bei der „Partita Zero“, dem CL-Spiel gegen Valencia, dabei gewesen zu sein, das die Ausbreitung der Krankheit in der Region beschleunigt hatte. Es gibt viele erwähnenswerte Stellen in Gosens Buch; seine „Traumnovelle“ ist vollgepackt mit Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken von einem Spieler, der nicht vergessen hat, dass er auch ein Mensch ist. Es ist ein positives Buch, das trotzdem Schicksalsschläge, Niederlagen oder Versagen nicht auslässt; kein Traum sondern Realität.

„Träumen lohnt sich. Mein etwas anderer Weg zum Fußballprofivon Robin Gosens ist 2021 bei EDEL erschienen und kostet 19,95,– EUR.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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