Zu lesbare Bücher gewinnen keine Preise. Das hat eine renommierte Buchkritikerin kürzlich postuliert. Diese Gefahr scheint bei „Wichtig ist, wer hinten hält – Fouls... Buchrezension: „Wichtig ist, wer hinten hält – Fouls und Schwalben in Fußball und Politik“

Zu lesbare Bücher gewinnen keine Preise. Das hat eine renommierte Buchkritikerin kürzlich postuliert. Diese Gefahr scheint bei „Wichtig ist, wer hinten hält – Fouls und Schwalben in Fußball und Politik“ von Stefan Behr, Wolfgang Hettfleisch und Jürgen Roth gebannt, denn nachdem die Lektüre des knapp 300-seitigen Sammelbandes von Leitartikeln, Interviews und Co. abgeschlossen ist, ist der spezifische Zusammenhang zwischen Fußball und Politik oder zwischen Fouls und Schwalben für eine:n Durchschnittskonsument:in schwer erkennbar. Die sperrigen Geschichten vermitteln dem/der Leser:in einerseits zwar interessante Infos aber auch die Tatsache, zu blöd zu sein, um das große Ganze zu begreifen. Es ist wie mit dem arroganten Onkel, der einen zwar ins Museum mitnimmt, sich dort aber mit seinem Crashkurs in Was-auch-immer-Litanei hauptsächlich selbst brüstet. Ausflüge dieser Natur lassen meist gemischte Gefühlte zurück. Warum die Lektüre von „Wichtig ist, wer hinten hält“ trotzdem keine Zeitverschwendung, soll im folgenden Text erklärt werden.

In die Hände gefallen…

…ist der Autorin dieser Rezension „Wichtig ist, wer hinten hält“ im offenen Bücherschrank eines afrikanischen Hotels, wo es offensichtlich ein:e österreichische:r Reisende:r der Öffentlichkeit gespendet hat. Schließlich verrät der Bericht einer rot-weiß-roten Tageszeitung zur WM ’22, der im Buch versteckt war, wer, der/die edle Spender:in sein könnte. Erschienen ist das Buch bereits 2005 beim renommierten Berliner Aufbau-Verlag. Sein roter Faden – soweit man davon sprechen kann – ist trotzdem aktuell, denn schon auf den ersten Seiten bekommt Franz Beckenbauer in „Kaiserschmarrn“ seine – im Mai 2002 getätigten kontroversen – Aussagen zum Afghanistan-Krieg anlässlich eines Kabul-Besuchs um die Ohren geschlagen. Der – im Zeitpunkt der Buchveröffentlichung – noch nicht bekannte Skandal um die Vergabe der WM’06 schließt an die umstrittene Endrunde in der Wüste ’22 nahtlos an.

Überhaupt kommt der Ehrenpräsident des FC Bayern in mehreren Kapiteln des Buches zur Sprache: Selbst Ritchie Blackmore, englischer Gitarrist und Gründungsmitglied von Deep Purple, war vom gebürtigen Münchner so inspiriert, dass er seinetwegen der DFB-Elf die Daumen zu drücken begann: „Die Art, wie er Fußball spielte, war wie Musik.“ Der Komponist von „Smoke on the water“, „Highway Star“ oder „Burn“ fügt außerdem hinzu, dass Beckenbauer „würdevoll altert“: „Andere saufen sich mit Feuereifer in Richtung Friedhof. Das wäre unter Beckenbauers Würde.“

 In „Wichtig ist, wer hinten hält“ lässt das Autoren-Trio sprachlich nichts aus: Das Buch ist vollgepackt mit linguistischem Witz, kann sich aber trotz technischer Finesse nicht über so manche unausgegorene Anekdote hinwegtrösten: Beispielsweise bleibt eine Parodie auf Sönke Wortmanns Film „Das Wunder von Bern“ mit dem Namen „Das Wunder von Berlin“, in der eine fiktive Finalniederlage gegen Holland im WM-Endspiel 2006 durchgespielt wird, nur eine semi-originelle Rumpf-Anekdote. Darüber tröstet auch die blumige Wortwahl nicht hinweg.  Satzkonstruktionen wie „Der fortgesetzte demonstrierte Wille zur Veränderung, der gelegentlich leise vorgetragene Tadel an Stillstand und Larmoyanz im Land, die an Metaphern reiche Aufbruchsrhetorik, gewürzt mit einer chemisch gereinigten Prise Kuschelpatriotismus, an der sich selbst kritische Geister nicht stoßen – das alles macht den obendrein medientauglichen ‚Modernisierer‘ […] zur Idealbesetzung für all jene, die das Land und seine Menschen in einem Zustand verzweifelter Besitzstandswahrung und Fortschrittsverweigerung wähnen.“ über Jürgen Klinsmann, der sich damals anschickte die deutsche Mannschaft zum ersehnten Triumph zu führen, lassen sich intellektuell nur schwer verdauen und bewirken, dass das Fachurteil der Autoren über den jetzigen Nationaltrainer von Südkorea verborgen bleibt.

Die Liebe zur Sprache und zum Fußball ist den drei Herren jedenfalls bis heute geblieben. So gibt Stefan Behr, der noch immer bei der „Frankfurter Rundschau“ beschäftigt ist, auf seiner Autorenseite an, er sei „[…] für seine etwas anderen, schrägen Geschichten“ bekannt. Sprachwissenschaftler Jürgen Roth ist Autor und Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball‑Kultur und Wolfgang Hettfleisch kommentierte die Abwahl des Frankfurter Oberbürgermeisters vor einem Jahr damit, dass sich dieser beim Empfang des Europa League-Siegers Eintracht „peinlich“ verhalten habe.

„Fußball und Politik haben manches gemeinsam.“

Diese Eingangsthese wird im Buch letztendlich nicht gestützt. Natürlich geht es in „Wichtig ist, wer hinten hält“ auch um Verbandspolitik, Stadienarchitektur oder Protagonisten-Bashing. Der konkrete Zusammenhang zwischen den beiden Themenfeldern wirkt allerdings konstruiert. Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic meinte vor Jahren, als man ihn auf die (vermeintliche) Beziehung zwischen Fußball und Literatur ansprach: „Ich sehe die Parallele nicht. Da werden künstliche Zusammenhänge hergestellt von Menschen, die ohnehin gerne zu viel in etwas hineininterpretieren.“ Das trifft wohl auch bei Fußball und Politik zu.

Nichtsdestotrotz steckt ein gehöriges Maß an intellektuellem Pouvoir in dem hier rezensierten Buch: Etwa, wenn der WM-Sieg ’54 im Zusammenhang mit Wirtschaftswunder und Wiederbewaffnung betrachtet wird. Wer hatte am Schirm, dass der damalige DFB-Präsident Neuberger den ehemaligen NS-Kampfpiloten Hans-Ulrich Rudel, der von Neonazis bis heute verehrt wird, ins deutsche WM-Camp in Argentinien ‘78 einfliegen lassen, damit dieser die „schlaffen Spielergockel […] aufrichte“? Genutzt hat es – bekanntlich – nichts. Die Autoren beschreiben auch, wieso die „wiedervereinigte“ DFB-Elf bei der Integration der Ost-Kicker scheiterte (Teamgeist vs. Interessengemeinschaft) und, dass das „neue Deutschland“ auf die „partielle Überlegenheit der Nachwuchsarbeit im DDR-Fußball“ ohne großes Federlesen pfiff.

Knackige Porträts wie jenes vom – langsam alternden – Oliver Kahn oder vom – als „roten Baron“ bezeichneten – Kalle Rummenigge stehen ellenlange Interviews mit Intellektuellen entgegen, deren Profession die Autorin dieser Zeilen meist „ergooglen“ musste. Einzig Ritchie Blackmore oder (besser gesagt) seine Musik war ihr bestens bekannt.

Fazit: Wer Prognosen gern auf ihre Realitätsnähe abklopft, eine Reise in jene Zeit, als man Telefon noch mit „ph“ schrieb machen will, oder verspielte, intellektuelle Fußballliteratur mag, kann „Wichtig ist, wer hinten hält“ auch heute – fünf WM-Endrunden nach seinem Erscheinen – lesen. Wer denkt, die (fußballerische) Vergangenheit soll bleiben, wo sie ist, dem/der sei dieses Buch nicht ans Herz gelegt. In solchen Fällen deponiert man das Machwerk von Behr, Hettfleisch und Roth irgendwo. Zum Beispiel in einem offenen Bücherschrank auf einer kleinen Insel mitten im Atlantik.

„Wichtig ist, wer hinten hält: Fouls und Schwalben in Fussball und Politik“ von Stefan Behr, Wolfgang Hettfleisch und Jürgen Roth ist bereits 2005 bei Aufbau erschienen und kostet rund 5€.“

Marie Samstag

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