Es kommt nicht oft vor, dass man ein Buch eines Autors liest, der in den 90ern geboren ist. Alina Schwermer ist nicht nur kein... Buchrezension | „Wir sind der Verein“ von Alina Schwermer (1/2)

Es kommt nicht oft vor, dass man ein Buch eines Autors liest, der in den 90ern geboren ist. Alina Schwermer ist nicht nur kein Autor, sondern eine 1991 geborene Autorin. Die gebürtige Kölnerin und Taz-Sportjournalistin erzählt in „Wir sind der Verein“ neun Geschichten von Fans, die das Heft selbst in die Hand genommen haben und Fanvereine führen. Schwermers Buch ist toll und differenziert. Gleich anfangs stellt die Journalistin die These auf, dass Kommerzialisierung nicht nur schlecht sei. Seit der Einführung des Profitums sei der Fußball kommerziell, unschuldig sei er sowieso nie gewesen. Investoren verschieben die Gleichgewichte, wie man an Manchester City, Paris Saint Germain oder RB Leipzig sehen kann. Fanvereine entstünden oft als spontane Gegenreaktion auf Insolvenzen. Das Verständnis ein Fan zu sein habe sich geändert, das Verständnis, was denn genau ein Mitgliederverein sei, auch. Mit einem räumt Schwermer gleich auf: Mitgliedervereine sind nicht zwingend wirtschaftlich stabiler, erfolgreicher oder beliebter. Sie stellt in ihrem Buch neun unterschiedliche Vereine mit neun unterschiedlichen Konzepten vor.

„Selbst, wenn wir die Schlacht verlieren gewinnen wir den Krieg“

Beim AFC Wimbledon waren es Geldprobleme, die Fans dazu brachten „ihren“ Klub neuzugründen. Das Präsidium wollte den traditionsreichen Klub aus seiner Heimat verpflanzen. Als neue Heimstätte war sogar Dublin im Gespräch. Jenes Dublin, das in Irland liegt, wie Fans konsterniert zur Kenntnis nehmen mussten. Nach zähen Verhandlungen mit der FA wird es dem Klub 2002 schließlich – unter heftigen Protesten seiner Anhänger – erlaubt nach Milton Keynes umzuziehen. Bald benennt er sich in Milton Keynes Dons um. Fans gründen daraufhin den Verein neu und leben die paradoxe Situation weiter:  Wimbledon lieg im Süden Londons und ist als friedlicher, reicher Bezirk verschrien. Die reiche Anhängerschaft (23% der Abonnenten verdienen mehr als 50.000 Pfund im Jahr) finanziert einen Underdog, der seine Spieler vornehmlich aus der Arbeiterklasse rekrutiert. Wimbledon spielt in einem Stadion ohne Charme wildes kick-and-rush. Heute ist der Fanverein das Musterbeispiel seiner Art. Der Klub vermarktete sich top, schaffte es von der letzten Amateurklasse bis in die dritte Liga und ist überall Ansprechpartner für Fanvereine und (das eher) für solche, die es werden wollen. Mit unentgeltlich arbeiteten Mitarbeitern soll es 2019 zurück ins Stadion an der Plough Lane gehen. „Pragmatismus und Idealismus haben sich verflochten.“, sagt der Geschäftsführer. Nach dem Geheimnis des Erfolgs gefragt, antwortet er: „Wir haben uns nie Grenzen gesetzt.“ Heller glaubt, dass das Internet damals – 2002 – eine große Rolle spielte: „Plötzlich konnte man miteinander kommunizieren.“ Die Autorin nennt den Klub den Che Guevara der Fanrevolte. Tatsächlich waren die Zeichen von Anfang an gut: heißt Ein Drittel der Anhängerschaft besucht das Heimspiel des neuen Fanvereins. Aber auch Revoluzzer stoßen an die Grenzen ihrer idealistischen Absichten: Als Spielfeld, Struktur und Sponsor hermussten, war Basisdemokratie weniger wichtig. Heute denkt Präsident Samuelson, dass es über die zweite Liga nicht hinausgehen wird. Der Krösus der Fanvereine wird an dieser Hürde scheitern. Die Zukunft? Vielleicht muss doch ein Investor her, der seine Leute an die Schalthebel setzt. „Es kann sein, dass der Tag irgendwann kommt. Ich hoffe nur, es passiert nicht mehr zu meinen Lebzeiten.“, sagt der Geschäftsführer.

Schwermer versteht es die unterschiedlichen Geschichten in vorgegeben Muster hineinzupressen. Etwas diffus wirkt nur die Verarbeitung des jeweiligen Vorworts im nachfolgenden Kapitel. Ansonsten beschreibt die Autorin liebevoll und detailgetreu jene Projekte, die den Fußball verändern wollen, dazugehört auch Fortuna Köln: Jener kleine Klub aus der Domstadt, der in Österreich als Zwischenstation von Hans Krankl bekannt ist. Fortuna mobilisiert kaum mehr als 2000 Fans, der FC Köln dagegen hat 101.128 Mitgliedern und ist – trotz ständigen Pendels zwischen Erster und Zweiter Liga – der Stolz des Rheinlands. 2009 wird Fortuna kurz deutschlandweit bekannt: Damals startet „Dein Fußballclub“ – ein Projekt, das den finanziell schwer angeschlagenen Verein vor der Pleite retten soll. Fans hören von einem Cyberexperiment aus England: Online sollen Fans Anteile kaufen und so mitbestimmen. Doch von Anfang an ist der Hund drin: „Man kann einen Verein nicht zu hundert Prozent basisdemokratisch führen. Das haben wir auch nicht versprochen. Es wurde aber so aufgefasst.“ Es rumort bald zwischen der deinfussballclub.de GmbH und den Fans. Kurioserweise stürmt die Fortuna zeitgleich von Erfolg zu Erfolg. Die vermeintliche Mitbestimmung gerät zur Farce: Spielertransfers können nicht in der Öffentlichkeit abgeschlossen werden. Es nehmen zu wenige Fans teil, die auch keine Community bilden. Nur durchschnittlich 9,8% der Mitglieder beteiligen sich an den Abstimmungen, die Mitgliederzahlen sinken. Entscheidungen werden abgenickt. Doch der überregionale Hype lockt gleichzeitig Sponsoren an die Fortuna in die dritte Liga katapultieren. Im Jänner 2012 wird das Projekt still und heimlich beendet. Fazit: Komplexe Entscheidungen können – selbst bei einem kleinen Verein wie Fortuna – nicht „von allen“ getroffen werden. Sportlich bleibt das Experiment ein Erfolg.

Telford, Salzburg, Murcia

Gescheitert am Projekt Fanverein ist dagegen der AFC Telford United. Der englische Sechstligist verkauft seine Anteile an Investoren. „Ein Fanverein wird meist nach einer Krise gegründet. Die Fans haben viel Energie und opfern sich auf. Aber nach einigen Jahren gerät die Krise in Vergessenheit, die Anhänger wollen wieder Erfolg auf dem Spielfeld sehen.“ Dabei hatten die Macher gute Pläne: Sie gründete ein Trust Board für Fanangelegenheiten und ein Football Board für sportliche Aspekte. Das Problem, sagt einer der aktiven Fans, war dass es nie langfristiges Denken im Verein gab. Telford liegt denkbar ungünstig zwischen den großen Premier-League-Fischen Manchester, Liverpool und Birmingham. Es fehlte eine stabile Community.

Für Alexander Hütter – Obmann der neuen Austria aus Salzburg – ist ein Fanverein ein Klub bei dem die Fankultur im Vordergrund steht. Hütter weiß aber, dass man ab einem gewissen Punkt einfach Experten braucht. Im April 2005 waren die Hardcore-Fans der Salzburger Austria (aus ihrer Sicht) ihres Vereines „beraubt“ worden. Der damalige Vorstandsvorsitzende Theierl machte klar: „Red Bull ist kein Sponsor, sondern Eigentümer.“ Der Großkonzern hebelt die Strukturen aus und macht „keine Kompromisse.“: „Das ist ein neues Team, ein neuer Klub. Es gibt keine Tradition, es gibt keine Geschichte, es gibt kein Archiv.“ Nach der ersten Saison – als klar ist, wohin die Reise führt – wenden sich die Fans großteils ab. Die Neugründung der violetten Austria ist zunächst ein Märchen, das aber immer düsterer wird. Sportjournalist Gottsmann ortet die Gründe dafür in der Lokalisierung: „Das Umfeld in Salzburg ist brutal. Es ist keine Sportstadt. […] Im Grunde gibt es in Salzburg nur dank Red Bull Profisport.“ Viele haben vergessen, dass auch die damalige Austria in die Mateschitz investierte, so gut wie pleite war. Ultras führen den Klub, der zunächst erfolgreich ist und von Liga zu Liga aufsteigt. Doch bald sind die Fans mit hohen Kosten und Auflagen konfrontiert. Im Verein gibt es zu viele unterschiedliche Strömungen und zu wenig Wirtschaftskompetenz. Dagegen gibt es zu viele Anhänger, die sich über den Verein stellen. Besonders die Ultrasgruppierung „Tough Guys“ steht immer wieder im Verdacht den Klub in eine Richtung drängen zu wollen. Sie sind es auch die negative Presse durch Randale und Schlägereien machen. Austria Salzburg steht derzeit leider nur für Bad-Boy-Image und Finanzprobleme.

In Spanien realisierte sich dagegen ein wahres Märchen: Ciudad de Murcia hat eine bewegte Geschichte hinter sich. In den 90ern wurde der Klub gegründet, verfügt bereits über zahlreiche Nachfolgevereine, Crashs und Beinahe-Crashs. Vorbild für den heutigen Verein ist der radikalideologische FC United of Manchester. CAP Ciudad de Murcia will nicht Profifußball spielen, sondern den Sport und die Industrie verändern. Die Vereinsführung und die Fans engagieren sich für Behindertensport oder Frauenfußball. Der sportliche Bereich wird von gewählten Fans gemanagt, für den Rest gibt es Basisdemokratie. Spanien ist nicht gerade ein El Dorado für Fanvereine: Die „Ley de 92“ verbietet fast allen Profivereinen Mitgliederführung. Geld regiert den Fußball. Doch trotzdem kommen 1500 Zuschauer in die vierte Liga um Murcia zu sehen. Das Stadion ist voll, es gibt Choreos. Esteban Nieto, ein fünfundzwanzigjähriger Amateur, liebt diese Kulisse. „Unsere Spieler fühlen sich hier ein bisschen wie Profis.“, sagt Trainer Cantabella. Nicht wegen der Bezahlung, es gibt nur Spritgeld – dafür Fans und Atmosphäre. In Murcia kann man anscheinend noch von Luft und Liebe leben.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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