Buchrezension | „Wir sind der Verein“ von Alina Schwermer (2/2)
Kunst & Literatur 21.Juni.2018 Marie Samstag 1
Der HSV ist gerade abgestiegen und kann seine Parole „Unabsteigbar!“ somit in den Rauchfang schreiben. Als 2014 die Profiabteilung ausgegliedert wurde, ahnte noch niemand, dass es mit dem „Dino“ derartig bergab gehen würde. Die meisten deutschen Bundesligisten zogen nach. In Hamburg war man jedoch seit diesem Zeitpunkt abhängig von Investor Klaus-Michael Kühne. Einige Fans stoßen sich früh daran. Als sie ihren Frust darüber wieder einmal in Ouzo ertränken, gebären sie die Idee einen eigenen Klub aufzumachen. Den Namen akquirieren sie aus dem HFC und Falke 06 – zwei Vorgängerklubs der Rothosen. HFC Falke e.V. spielt in der Bezirksliga Nord. Die Präsidentin warnt vor zu großen Ambitionen, Spieler machen nicht alles aus Idealismus. Sie muss die eigene Anhängerschaft oft bremsen und hat sich kleine Ziele gesteckt: Den Amateurfußball besser machen. Ihr größtes Ziel ist es den Verein weiterhin unabhängig zu halten. Sie will die Fanseele kanalisieren. Nach dem Motto: „Ich kann wieder für etwas sein.“
Als einziger Bundesligist sucht Schalke 04 als „Zwitterwesen auf der Suche nach einem Weg zwischen Mitsprache und Vermarktung“. In der Schalker Demokratie gibt es mächtige Leute, die den Ton angeben. Für viele frustrierte Fans ist es überhaupt nur mehr eine „gelenkte Demokratie“. Am Papier ist die Mitgliederversammlung der Königsblauen das wichtigste Instrument des Vereines. Sechs Personen werden in den elfköpfigen Aufsichtsrat gewählt. Ein siebenköpfiger Wahlausschuss prüft Kandidaten für den Aufsichtsrat. Fanmeinungen seien nur genehm, wenn sich diese mit dem Vorstand decken, kritisiert Roman Kolbe, seit über zwanzig Jahren Schalke-Mitglied. Stein des Anstoßes war der Abschluss des Vertrages mit Viagogo, einer umstrittenen Ticketbörse. Viele Schalker Fans waren überzeugt, dass dies nicht zu ihrem Leitbild passt. Der Fanvertreter stimmte aber dafür. Immer wieder gibt es tiefe Gräben zwischen Verein und organisierten Fans. Der Leiter der Mitgliederabteilung sieht es nicht so schlimm: „Der FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. funktioniert. Schön wäre, wenn mehr Mitglieder das sehen würden.“ Unruhe gebe es auf Schalke immer. Leidenschaft kennt kein Mittelmaß, sagte der umstrittene Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies 2017. Damit muss er einfach leben.
Einen Fanverein in Kroatien zu gründen oder gar zu führen ist schwierig. Die Fanszene ist rechts, die Ultraszene nationalistisch. Die Bad Blue Boys, Fans von Dinamo Zagreb, mordeten im Krieg für ein freies Kroatien, ehe sie auf die Fußballtribünen zurückkehrten. Die White Angels sind die einzige antifaschistische Gruppe in Ex-Jugoslawien, sie gründen 2014 einen Fanverein. Davor unterstützen sie den NK Zagreb, der vom exzentrischen Paten Drazen Medic regiert wurde. Medic verprügelte angeblich einen Spieler, weil der seinen Vertrag nicht auflösen wollte, auch mit den Fans war er wenig zimperlich. „Irgendwann haben wir bemerkt, dass wir Medic nicht mehr bekämpfen konnten.“ Auch die Bad Blue Boys gründeten einen eigenen Klub, den Futsalverein MNK Futsal Dinamo. NK Zagreb 041 feiert rasch Erfolge: Der explizit linke Klub findet eine Lücke in der alternativen Szene, kämpft gegen Rassismus und Chauvinismus. Mit 150 bis 200 Zuschauern kommen mehr als zum Mutterverein ins Stadion. Die Gründe warum es der Klub schaffte, ortet der Chef aber auch in der Vernetzung: „Ich will nicht überheblich reden, aber unter Linken gibt es gebildetere Leute.“ Trotzdem war es schwierig ein Demokratieverständnis durchzusetzen. Die Bad Blue Boys spalten sich: Viele boykottieren den Mutterverein, bleiben beim Futsalklub, andere gehen wieder zurück. Die Öffentlichkeit hat ihr schweres Los mit Futsal Dinamo. Obwohl der Klub der erfolgreichere Fanverein ist, stehen die Bad Blue Boys immer noch für Gewalt und Rassismus. 2017 überfallen Mitglieder beispielsweise einen Schwulenklub. Manche versuchen Futsal Dinamo sogar als Resozialisierungsmaßnahme der Hooligans zu werten: „Futsal ist ein tolles Projekt für die Bad Blue Boys, weil sie zeigen können, dass sie keine Fußball-Hooligans sind, sondern einfach einen Verein führen.“ Während NK Zagreb 041 keine großen sportlichen Ziele hat, geht es beim MNK Futsal hauptsächlich ums Kicken. Fraglich ist jedoch, ob die Fans gezähmt werden können.
Ein Gegenstück zum Beitar Jerusalem wollten sie sein: Nordia ist ein explizit antirassistisches Projekt. In Israel tragen die Vereine ihre Politik im Namen „Hapoel“ für links, „Beitar“ zionistisch-nationalistisch, „Maccabi“ liberal-nationalistisch. Maccabi Ironi Aschdod ist auch ein Fanverein. Bis vor kurzem gab es eine Fanfreundschaft mit Nordia, jetzt konkurrieren die Klubs um den Aufstieg. Dabei sind die Voraussetzungen für Fanvereine in Israel hervorragend: „Die Liga in Israel verliert Zuschauer. […] Die Menschen interessieren sich erst wieder, wenn sie wirklich das Gefühl haben, für einen Klub verantwortlich zu sein.“ Politischer Fußball ist aber ein Riesenproblem. Bei Beitar bildete sich 2005 eine rechte Ultragruppe, zuerst nur wenige Hools. Doch bald vertreiben sie Andersdenkende von den Tribünen und macht zwei muslimische Spieler fertig. Nordia wird als Gegenprojekt von Ex-Fans gegründet: „Es gibt bei uns Fans aus allen Spektren, von extrem Linken [sic!] bis extrem Rechten [sic!].“ Ganz so idealistisch funktioniert es nicht, außerdem träumen viele noch von der Wiedervereinigung mit dem Ursprungsklub. Wohin Nordia geht, ist noch nicht entschieden.
Neun unterschiedliche Porträts, neun tolle Geschichten, die es alle verdient haben vorgestellt zu werden. Fußballliteratur anno 2018 – nie soll es uns schlechter gehen!
Marie Samstag, abseits.at
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