Hörbuchrezension – Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten
Kunst & Literatur 8.April.2017 Marie Samstag 0
In „Ein Monat auf dem Land“ (A Month in the Country) lässt J.L. Carr seinen Protagonisten ein Gemälde in der Provinz restaurieren. Das 1980 erschienene Buch brachte dem in North Yorkshire geborenen Autor jede Menge Preise und den Ruf eines Kultautors ein. Carr zählt zu jenen Schriftstellern, die man fast ausschließlich mit einem ihrer Werke assoziiert. Die anderen Geschichten des Engländers werden von vielen Kritikern nur als gut bis durchschnittlich beurteilt. Eine dieser Erzählungen ist das fiktive Fußballmärchen: „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten.“ Erst jetzt ist das vor mehr als vierzig Jahren geschriebene Buch ins Deutsche übersetzt worden. Gleichzeitig wurde auch eine Hörbuchversion (gelesen von Tatort-Kommissar Thomas Sarbacher) produziert. Saša Stanišić, der das Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe verfasst hat, glaubt, dass dieses Buch jedem Fußballfan große Freude bereiten wird: Tagträume, in denen der eigene Klein-Klub nur durch Kameradschaftssinn, Opferbereitschaft und Enthusiasmus angetrieben einen großen Titel absahnt, verbinden Anhänger von St. Pauli, Vorwärts Steyr oder Nottingham Forest quer über den Erdball miteinander.
Der Autor wurde zu dieser Geschichte inspiriert, als er selbst als Amateur bei South Milford White Rose kickte und ein Knock-Out-Turnier gewann. Seine Erzählung ist eine nette, in der Tradition der englischen Literatur stehende Geschichte. Bildlich kann man sich ein uriges Fußballfeld mitten in einem wildverwachsenen Garten der Cotswolds oder kickende Inselbewohner umweht von den kalten Winden der Sturmhöhe vorstellen. J.L. Carrs Stil steht zwar in einer Reihe mit jenem Charlotte Brontës oder Jane Austens, der einstige Lehrer befindet sich jedoch – bei aller Wertschätzung – nicht auf deren Weltklasse-Niveau. Championship statt Champions League eben.
Wer sich ein spannendes Hörbuch zum Thema Fußball auflegen möchte, sollte von den Sinderby Wanderers jedenfalls die Finger lassen. Richtig ums Kicken an sich geht es nämlich nicht: „Was ist ein Spiel schon: Nichts weiter als ein Ball, der mal her, mal hin rollt.“ Der britische Nationalsport bildet das Fundament einer Geschichte von Freundschaft und Zusammenhalt, in welcher der Autor viel Wert auf die Entwicklung der versponnenen Persönlichkeiten legt. Trotz dem Fehlen großer dramaturgischer Überraschungen, gelingt ihm dies wirklich gut.
Wie man richtig lernt
Der Schulrektor von Steeple Sinderby hat einfache Rezepte fürs Leben: „Man müsse Kindern nur beibringen, wie man richtig lernt und das Gelernte solange im Gedächtnis hält, wie es von Nutzen ist.“ Das optimale Ausnutzen der Zeit ist dabei wichtig, sagt der ungarischstämmige Doktor Kossuth. Mit diesem Geheimrezept sollte es schließlich auch der örtliche Fußballklub schaffen den prestigeträchtigen FA-Cup gegen die Glasgow Rangers zu gewinnen. Hauptfigur der Geschichte ist allerdings nicht Kossuth, sondern der 27-jährige Alex Slingsby, Ex-Fußballprofi und jetzt Lehrer und Spielertrainer der Wanderers. Er ist 1,88 Meter groß, schnell mit der Kugel am Fuß und verfügt über eine Intelligenz „wie ein englischer Feldherr“, doch trotz dieser Eigenschaften ist seine Profilaufbahn eine Karriere im Konjunktiv geblieben. Der einstige Halbprofi von Aston Villa musste die Fußballschuhe an den Nagel hängen um sich um seine behinderte Frau zu kümmern. Er verdingt sich nun an einer Schule in der Provinz, die der Autor pittoresk-sarkastisch zu beschreiben im Stande ist: „Das Klima ist typisch englisch, aber noch ungnädiger im Januar, Februar wenn sich der Boden wie ein Schwamm mit Regenwasser vollsaugt und beißende Winde aus der UdSSR herüberwehen. Über die Jahrhunderte hinweg hat sich deshalb die lokale Besonderheit entwickelt zwischen den zusammengebissenen Zähnen zu sprechen.“
Die Wanderers sind Leicester City hoch 10: Ein Haufen von Freizeitkicker, die ihre Aufstellung für das nächste Spiel in der Kabine mit der Frage „Wer kann nächste Woche nicht?!“ klären. Der Lehrer Alex will Ordnung in die Truppe bringen und Kossuths Lernmethode testen: Der große Streich – der FA-Cup-Sieg – soll dieses Jahr gelingen. Erzählt wird dieses Märchen allerdings nicht von Alex, sondern von Joe Gidner, einem Postbeamten, der sich geistig bei der Erfindung von Grußkartenwünschen nicht vollbeschäftigen kann und so als begeisterter Chronist die Geschehnisse des Dorfvereines schriftlich festhält. Gidner erzählt mit Liebe zum Detail und beschreibt die lokalen Kauze zugleich kratzig-kehlig, sowie mit dem blumigen Charme einer Laura-Ashley-Landhausbettwäsche. Die Stimme von Thomas Sarbacher verleiht diesen Worten während der ganzen fünf Stunden des Hörbuches stimmungsvollen Ausdruck. Das hat was!
Alex Thesen für den Erfolg sind einfach: Der Spielstil wird nicht verändert, sondern mit viel Herz optimiert. Dann braucht es noch einen guten Torwart, „der wie ein guter Busfahrer ist und nicht auf die Füße schaut“ und eine gemeinsame Philosophie: „Jeder Spieler bis auf den Mittelstürmer muss verteidigen, jeder Spieler bis auf den Tormann soll angreifen.“ Jetzt werden gewöhnliche Leute rekrutiert um diese einfachen Regeln zu beherzigen und Außergewöhnliches zu leisten.
Der Überraschungseffekt sorgt zunächst für drei hohe Siege in den ersten Runden und – wie es sich für ein Märchen gehört – gibt es auch traumhafte Tore zu bewundern, zum Beispiel jenen Kopfballtreffer des Ex-Erstligaspielers Sid Swift: „Es war eines jener magischen, scheinbar mühelosen Tore, deren Muster selbst der unbedarfteste Zuschauer verstand. Ein Tor, das aufgrund seiner Perfektion jeden noch so voreingenommenen Fan mit Freude erfüllte.“
„Mordrufen und des Krieges Hund entfesseln“
Die Matchbeschreibungen sind prägnant und dienen nur als Anhaltspunkte in der Entwicklung der Figuren. Als mit Hartlepool United richtige Fußballprofis aufs Land kommen, muss Spieler-Trainer Alex erstmals durchgreifen: Er setzt am Spieltag einen seiner Jungs vor die Tür, weil dieser den Zapfenstreich nicht beachtet hat. Hartlepool fällt auf das Spiel der Wanderers, genauso wie später der erste Riesenbrocken Leeds, hinein. Ein meisterhafter Konter bringt den Sieg und die Lokalpost verdonnert die Profis zur „Abendschule“. Hier im englischen Hinterland, „wo ein Feld nur zu einem anderen Feld führt“, kann man das Glück nicht fassen. Auch Manchester United nimmt den Dorfklub nicht erst: Die roten Teufel genießen erst ein ausgiebiges englisches Frühstück und sitzen sich danach während eines Staus im Bus den Hintern platt. Das Match gegen United lässt Carr aus einem Zeitungsartikel zitieren: Sinderby rennt am Zahnfleisch, erzielt einen Treffer aus einem abgefälschten Lattenpendler und hält anschließend der Konterwelle stand. Die Karten für dieses Spiel musste man -basierend auf der erworbenen Kartenanzahl der vorherigen Runden – für die 1800 Plätze am hiesigen Fußballfeld auslosen.
Für die Times ist „Wie die Sinderby…“ einer der besten Fußballromane, der je geschrieben wurden. Die Erzählung behandelt den Mikrokosmos des Sportes indem es um einen kleinen, sympathischen Landverein, der aus elf Freunden besteht, und sich nur mit seiner Willenskraft von Partie zu Partie steigern kann, geht. Das Spielgeschehen ist dabei nicht so wichtig, so findet das Halbfinale nur kurz Erwähnung, denn „wen interessieren schon Halbfinalspiele?“
Kurz vor dem entscheidenden Spiel macht die Spannungskurve dann den gewohnten Bogen nach oben und drückt nochmal auf die Tränendrüse des Zuhörers, als Alex Frau Diana stirbt und dem Initiator des ganzen Unternehmens das Ergebnis in Wembley plötzlich nicht mehr so wichtig ist. Es kommt jedoch wie es kommen muss: „Der Ball donnerte gegen die Querlatte und als er zurückprallte explodierte Wembley.“ Der Witwer kracht den Ball mit Tormann ins Tor. „Das ist das Ende.“, meint er danach lapidar. Es war ein unwiederholbarer Traum, eine Reise, die jetzt zu Ende ist. Die Wanderers müssen sich neu formieren, da die Spieler mit dem Akzeptieren der Prämie als Profis vom Amateurspielbetrieb ausgeschlossen werden. Doktor Kossuth verlässt mit seiner Frau Sinderby und auch Alex zieht fort. „Wir haben jedenfalls erreicht, was wir uns vorgenommen haben.“, sagt er nach der ereignisreichen Reise und spricht damit auch für die Intention J.L.Carrs.
Marie Samstag, abseits.at
„Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten“ von J.L. Carr. Gelesen von Thomas Sarbacher. Erschienen bei der-audio-verlag. Erhältlich ab 7.4.2017. ISBN: 978-3-7424-0005-5
Marie Samstag
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