„Fußball ist ein kleiner Moment der Freiheit“ – Dr. Di-Tutu Bukasa über das Asylrechtsprojekt FC Sans Papiers
Gesellschaft & Ethik 8.April.2012 Georg Sander 4
2002 gründete Dr. Di-Tutu Bukasa, Herausgeber der Zeitung „Die Bunte“ bzw. „The Global Player“, den Fußballclub Sans Papiers. Dem Fußballverein könnte vorgeworfen werden, dass Politik im Fußball nichts zu suchen hat. Doch hier geht es nie und nimmer nur um Politik, sondern um das Menschenrecht, dass kein Mensch illegal ist.
Die Spieler des Vereins, der derzeit in der 2. Klasse A des Wiener Fußballverbandes gegen den Abstieg spielt, haben zumeist keine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung in Österreich, einige sind sogar „illegal“ hier. Der Verein besteht aufgrund zweier Eckpunkte: Zum Einen ist es ein Anliegen zu artikulieren, dass kein Mensch illegal ist. Um nach Österreich zu kommen, nehmen Asylwerber weite Wege auf sich, werden teilweise von der Familie nach Österreich geschickt, um bessere Chancen im Leben zu haben. Was die vornehmlich jungen Männer alles hinter sich haben, wenn sie in den Auffanglagern Traiskirchen und Thalham in Niederösterreich bzw. Oberösterreich ankommen, kann sich ein Mensch, der Mitteleuropa gewohnt ist, schlichtweg nicht vorstellen. Wer sich schon einmal Erstverhörungsprotokolle der Flüchtlinge durchgelesen hat, bleibt fassungslos zurück. Politische Verfolgung oder Morddrohungen aufgrund religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit zwingen die Menschen, ihre Heimat zu verlassen, sich rücksichtslosen Schleppern anzuvertrauen und eine tausende Kilometer lange und gefährliche Reise nach Europa zu unternehmen. Der psychische Druck und das darbende Damoklesschwert der (rechtlichen) Illegalität, welches über den vor allem Jugendlichen schwebt, führt zum zweiten Eckpunkt: Spaß. Der „andere“ Punkt ist das, was in einem Land, in dem in die vierte, fünfte, sechste Spielklasse runter teilweise fürstlich verdient werden kann, etwas, was oftmals nicht bedacht wird. Die Kicker haben null Selbstvertrauen, zucken allein beim Aussprechen des Wortes „Polizei“ zusammen (dazu später mehr) und dürfen bei gewissen Aufenthaltstiteln, wenn es diesen überhaupt gibt, nicht einmal arbeiten. Da hilft natürlich ein Kickerl am Wochenende unendlich, um psychisch nicht komplett „einzugehen“.
Keine Spielerlisten
Im Mai 2010 wurden zwei Mitglieder des Fußballklubs abgeschoben. Die Fremdenpolizei tauchte beim Training des Vereins in Hernals auf und nahm die Nigerianer mit. Im Jänner 2011 wurden zwei weitere Spieler verhaftet und abgeschoben. Spätestens seit den Vorfällen im Mai 2010 gibt es im Internet weder Fotos noch Kaderlisten des Klubs der siebthöchsten Spielklasse. Zu groß sei die Gefahr, dass wieder Mitglieder verhaftet und abgeschoben werden. Wie der Standard damals berichtete, zeigte sich eine kuriose Szene. 100 Beamte sollen zum Training gekommen sein, um 16 (!) Fußballer zu überprüfen. Cletus B. (25) einer der Kicker, war wegen seiner Homosexualität aus dem Norden Nigerias geflohen, muss daheim um Leib und Leben fürchten. Dass es in der Charta der europäischen Menschenrechte lautet, dass „Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ verboten sind (Artikel 21) schien niemanden zu interessieren.
Dr. Di-Tutu Bukasa im Interview
Im März stand der Präsident des Vereins, Dr. Di-Tutu Bukasa, abseits.at Rede und Antwort, wie es um den FC Sans
s – die Bunten bestellt ist.
Abseits.at: Beschreiben Sie uns einmal selber, wie es zum FC Sans Papiers gekommen ist!
Dr. Bukasa: Es muss Platz für neue Europäer gefunden werden. Österreich war immer ein Tor zum Osten. Man musste feststellen, dass Österreich nach dem Fall der Berliner Mauer übergangen wurde, die Politik in Brüssel gemacht wurde und Österreich musste eine Trennlinie zwischen willkommenen und nicht-willkommenen Ausländern machen. Wir haben dann gefunden, dass diese künstliche Trennlinie eine falsche Vorgangsweise in der Art, wie Europa mit Afrikanern umging, hervorrief. Ich habe gefunden, dass die Demokratie repariert werden muss, die Talente der jungen Leute gefördert werden müssen. Die Jugend ist lebendig. Demokratie ist nicht nur für Technokraten oder Wissenschaftler da. Fußball ist da ein Instrument, das auf kommunikativer Ebene verwendet werden kann.
Im Wiener Unterhaus gibt es mit Besiktas Wien oder FC Polska Fußballvereine großer Einwanderungsgruppen aus Europa. Wie ist da die Begegnung gerade mit Afrikanern?
Das führt immer zu Konflikten. Ich wusste aber immer, dass wir innerlich alle gleich sind. Die Rasse ist die Menschheit. Man darf nicht die Fehler der 30er-Jahre begehen und Fußball war für mich der Weg, diesen Bruch im Sozialen zu reparieren.
Wie ist es für die Fußballspieler am Platz?
Es ist schon so gewesen, dass es notwendig war, die innere Stärke der Spieler zu vergrößern. Sport ist insofern wichtig, dass sie einen Polster haben, auf dem sie sich ausruhen können. Das ist fast das Einzige, was man den Kindern geben kann. Ich habe bald feststellen müssen, dass der WFV eine sehr verkehrte Logik hat. Man fühlt sich wie in die 30er-Jahre versetzt. Wir waren sehr stark, unsere Spieler haben sehr gut gespielt, das hat sich tabellenmäßig niedergeschlagen. Die Polizei hat mit dem Verband zusammengearbeitet, wollte wissen, ob die Spieler überhaupt in Österreich sein dürfen. Das hat dazu geführt, dass die Burschen Angst hatten, zu uns zu kommen. Der Verband musste der Polizei glauben, wenn diese sagten, dass der und der nicht spielen durften, ich wurde oft vor die Disziplinarkommission geladen und wir mussten viel Geld zahlen, wenn einer „illegal“ war. Die Hauptsache ist, dass die Freude da ist.
Aber es ist wie in einem Kampf. Die Jungen kämpfen um bestehen zu können. Die haben keine Arbeit, tun aber sicherlich niemandem weh und es wird versucht, die Burschen zu kriminalisieren. Unsere Entscheidungsträger versuchen sie zu illegalisieren. Da nehmen sie gleich an, dass sie schlecht sind. Kein Mensch ist illegal, das ist Nonsens.
Das heißt, das Vorgehen der Behörden ist falsch.
Wenn man aus der südlichen Hemisphäre kommt, gibt es diesen Zusammenhang zwischen Aktion und Strafe nicht. Der gute Mensch ist in Europa einheimisch, der Fremde a priori schlecht. Diese Logik gibt es in Afrika nicht. Strafe existiert nicht in dieser Form. Es gibt den „Satan“ als Gegensatz zu „Gott“ nicht. Die Asylwerber verstehen nicht, dass der Europäer ohne Strafe nicht leben kann. Die wissen nicht, was sie Schlechtes getan haben. Die Asylpolitik will die demographischen Probleme Österreichs lösen und die jungen Afrikaner sind dabei die Opfer.
Das heißt, zu den rechtlichen Problemen kommt noch dieses starre Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein Europas hinzu?
Ja, vor dem Match beten alle und wünschen sich, dass das Spiel gut ausgeht. Fußball ist eine Möglichkeit, die eigene Identität zu stärken. Das ist ein kleiner Moment der Freiheit. Lebendigkeit wird verliehen, aber das Schlimme ist, dass hier daran gearbeitet wird, diese Kinder zu frustrieren. Das ist krankhaft. Wie man das lösen kann, weiß ich nicht.
Wie ist das Gefühl, wenn man auswärts spielt? Spürt man den Hass?
Es ist sehr schlimm, auch die Schiedsrichter sind ungerecht. Sie müssten das nicht sein. Sie sollten Vorbilder sein. Aber wenn die selber Ungerechtigkeit produzieren, führt das verständlicherweise zu Zorn. Und das fällt dann wieder auf die Spieler und den Verein zurück.
Sehen Sie einen Unterschied einer „anerkannten“ Migrantengemeinde oder nicht?
Die Spieler sind alle gleich. Es sind Lausbuben. Wenn die gewinnen, dann vergessen sie alles, können ihre Aggression positiv kanalisieren. Man will aber fair verlieren. Das Weiß-Sein scheint Rassismus zu legitimieren. Da darf man „Neger“ sagen. Unsere Spieler glauben dann am Ende des Tages, dass sie schlecht sind, weil sie schwarz sind. Sie erkennen nicht, dass das Problem nicht an der Person liegt, die sie schimpft. Selbstverständlich gibt es Hierarchien. Je heller ein Mensch ist, desto mehr ist er von Rassismen befreit. Wir wollen aber „bunt“ sein, das ist lebendig. Egal wo einer her kommt!
Man denkt sich ja, dass Fußball Spaß machen muss und dann steht auf einmal die Fremdenpolizei da. Welche Schlagzeile würden sie gerne lesen, welche positive?
Wie lange sollen wir noch das Projekt am Leben erhalten, um zu zeigen, dass wir alle zusammengehören, um den Rassismus und vor allem den institutionalisierten Rassismus zu bekämpfen. Ich träume von einem optisch bunten FC Sans Papiers. Es ist ein Kampf für eine neue Freiheit. Warum wartet man, gemeinsam mit dem FC Sans Papiers zu trainieren? Das Ganze muss in der Gesellschaft glaubhaft werden. Leute, die den Trend, Fremde nicht zu mögen – darf man sagen „Neonazis“? – folgen, sollen aufhören. Das wollen wir.
Wer dem FC Sans Papiers auf die Beine schauen will und die Jungs zum Klassenerhalt klatschen möchte oder gar selber mitkicken will, hat am 15. April um 8:30 bei einer Fußballmatinee auf der Marswiese Gelegenheit dazu, Kontakte zu knüpfen.
Georg Sander, abseits.at
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