111 Jahre FIFA – droht nun der totale Zusammenbruch?
Gesellschaft & Ethik 29.Mai.2015 abseits.at News 1
1904 wurde die FIFA von den sechs Gründernationen Schweiz, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Schweden ins Leben gerufen. Eine Ausnahme bildete Real Madrid, das den inexistenten spanischen Verband repräsentierte, sowie Deutschland, deren Eintritt telegraphisch erfolgte. Österreich, Italien und England folgten im Folgejahr. Bis 1914 traten weitere 14 Nationen, darunter die nicht europäischen Länder Argentinien , Kanada, Argentinien, Chile und die USA bei.
Im Zuge des ersten Weltkriegs wurde vieles an dieser Pionierarbeit zerstört und erst unter Jules Rimet erlangte der Weltverband Mitte der 20er-Jahre international relevanten Status. Rimet war über 30 Jahre Vorsitzender der FIFA und gilt als Mitbegründer der Weltmeisterschaft.
Die WM ist nach den Olympischen Spielen das größte Sportereignis der Welt und bis heute Aushängeschild der FIFA. Von 1930 bis heute fanden 20 Weltmeisterschaften statt. 77 Nationen (und Folgenationen) nahmen bisher an Weltmeisterschaften teil.
Die FIFA selbst ist unterteilt in sechs Kontinentalverbände mit 209 Nationalverbände: AFC (Asien, 46 Verbände), CAF (Afrika, 54), CONMEBOL (Südamerika, 10), CONCACAF (Mittel- und Nordamerika, Karibik, 35), OFC (Ozeanien, 11) und UEFA (Europa, 53).
Betrachtet man die sportlichen Erfolge bei Weltmeisterschaften konnten lediglich die USA 1930 und Südkorea 2002 bis ins Halbfinale vordringen. Alle anderen Halbfinalspiele wurden von europäischen und südamerikanischen Mannschaften ausgetragen. Die acht Weltmeisternationen halten elf Titel für die UEFA und neun Titel für CONMEBOL.
Das große Gewichtungsproblem in der FIFA
Doch warum sind solch statistische Werte von Relevanz? Weil derzeit ein System am Pranger steht, das – zumindest theoretisch – einerseits eine weltweite Demokratie repräsentiert, andererseits völlig außer Acht lässt, wie sich die sportpolitische Lage real darstellt.
Der Deutsche Fußball Bund (DFB) gilt mit sieben Millionen Mitgliedern als der größte Sportverband der Welt. Er hält in der FIFA eine Stimme. Montserrat ist ein Überseegebiet in der Karibik mit weniger als 5.000 Einwohnern. Es hält in der FIFA eine Stimme.
Brasilien ist mit fünf Weltmeistertiteln Rekordsieger und stellt weltweit geschätzt zwischen 7.000 und 9.000 Profispieler. Es hält in der FIFA eine Stimme.
Dem konträr stehen die drei Inselgruppen Cook Island, Britische Jungferninseln sowie Turks & Caicoinseln gegenüber. Diese drei FIFA-Mitglieder haben zusammen eine Staatsfläche groß wie Berlin, mit zusammen 90.000 Einwohnern. Jeder dieser Verbände hält je eine Stimme.
Der afrikanische Verband hält mit 54 Stimmen weltweit die meisten, war aber weder sportlich noch finanziell bisher in der Lage seine Vormachtstellung unter Beweis zu stellen.
Das ist der Grund warum derzeit 209 nationale Verbände über den nächsten FIFA-Vorsitzenden bestimmen und warum sich im Zusammenspiel von Sport, Macht und Geld immer größere Gräben auftun. Die FIFA wird nicht bestimmt nach Geschichte, Größe oder sportlicher Leistung, sondern lediglich nach Mitgliedschaft aller Landesverbände. Dies führt zu einer überproportionalen Gewichtung kleiner Verbände. Was mit Blatters Worten Basisdemokratie darstellt, ist realpolitisch ein inexistentes Ungleichgewicht. Als Beispiele seien hier auf politischer Ebene die UNO, EU und die USA angeführt.
Der Vergleich mit der Weltpolitik
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen besteht aus fünf ständigen Mitgliedern (Vetomächte) und zehn, alle zwei Jahre neu gewählten Mitgliedern.
In der EU kommt es zu einer qualifizierten Mehrheit wenn zumindest 55% der Staaten 65% der Einwohner repräsentieren.
Und selbst das komplizierte amerikanische Mehrheitswahlrecht zur Präsidentschaftswahl lässt die 50 Bundesstaaten zwischen drei und 55 Wahlmänner entsenden; je nach Bevölkerungszahl.
Dass sich bisher keine demokratische Lösung als perfekt dargestellt hat sei erwähnt, sollte aber Historikern und Anthropologen überlassen sein.
Die FIFA sieht nichts dergleichen vor. Ein Verband – eine Stimme! Dieses System ist über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt und nun, über 100 Jahre nach Gründung des Weltverbands, steht das Scheitern ebendieses Systems kurz bevor.
Es geht wie immer ums Geld
Man kann Sepp Blatter viel vorwerfen; mangelndes Geldverständnis allerdings nicht. Er monetarisierte den Fußball wie kein Zweiter. In seiner Amtszeit von 2011 – 2014 wurden von der FIFA über 5,7 Milliarden Dollar umgesetzt. Bei einer jährlichen, freiwilligen Steuerabfuhr von 17 Millionen Franken an den Schweizer Fiskus kein schlechtes Business. Umso erstaunlicher ist, dass lediglich 70% des Geldes wieder dem Fußball zufließen, zumindest am Papier. So kann man davon ausgehen, dass 1,3 Milliarden für Verwaltung, Reise- und Veranstaltungskosten, Gehälter, sowie Mieten und diverse andere Kosten draufgehen. Natürlich ist dies eine Milchmädchenrechnung, da auch noch Barreserven von 1,5 Milliarden Dollar zur Verfügung stehen.
Genaues weiß man leider nicht. Transparenz ist bis heute der größte Gegner führender Funktionäre der FIFA. Und solange der gemeine Fußballfan keinen Einblick erhält, kann man nur raten oder die gemeinhin angenommen Zahlen weitergeben.
Der Rest des Geldes wird theoretisch aufgeteilt. Zum Teil für Prämien bei der WM; Deutschland erhielt 2014 als Sieger etwa 28 Millionen Dollar. Jeder Verband erhält eine jährliche Zuwendung in Millionenhöhe. Genaueres ist leider auch über die Geschäftsberichte der Nationalverbände nicht ersichtlich. Sämtliche vorliegende Geschäftsberichte enthalten lediglich den Punkt „Sonstige Einkünfte“. Die Variabilität in WM-Jahren lässt hierbei Rückschlüsse auf FIFA-Gelder zu. Des Weiteren werden große Beträge für Nachwuchsarbeit weltweit aufgewendet. Es werden Fußballplätze gebaut, Fußbälle und Dressen verteilt und allgemein der Aufbau systematischer Strukturen vor allem in finanziell schwachen Regionen gefördert. Weitere Förderungen erfahren Trainer, Schiedsrichter, Greenkeeper und andere für den Sport zuträgliche Berufe.
Hauptproblem derzeit – es gibt keine interne Kontrolle, die die Verteilung der Gelder überwacht, geschweige denn transparent für alle darstellt. So werden Millionengelder veruntreut oder zweckentfremdet. Genügend Beispiele der letzten Jahre sind bereits durch Investigativjournalisten und die Justiz bewiesen.
Viel schwerer wiegt allerdings die Möglichkeit der Stimmenbeschaffung. Dies gilt für die Wahlen zum FIFA-Präsidenten und WM-Ausrichter gleichermaßen. Ein seit Jahrzehnten gängiges Modell um Entscheidungen zu beeinflussen. Dies funktioniert auf verschiedenste Weise. Ob der direkte Stimmenkauf per Bargeld, Vergabe von Fernsehlizenzen zum Billigsttarif, die dann teuer verkauft werden, Firmen die FIFA-nahen Funktionären überteuerte Aufträge für Firmen zukommen lassen, Grundstücke abkaufen oder sonstige Immobilien erwerben. Es werden Verbandstickets bei WMs verkauft, Spielertransfers über FIFA-Funktionäre abgewickelt und noch vieles mehr, was bisher stets vermutet wurde, aber im Verborgenen lag und nun endlich im Detail hinterfragt wird. Der Kreativität scheinen bei der FIFA keine Grenzen gesetzt zu sein und übersteigen jede grundmoralische Vorstellung.
Kann man den „Sumpf FIFA“ überhaupt trockenlegen?
Es wäre höchste Zeit diesem Sumpf und Moloch das Wasser abzugraben und trocken zu legen. Leider bleibt zu befürchten, dass Transparenz, öffentliches Gebaren und Kommunikation weiter den Stellenwert haben wie bisher. Zu lang wurde dieses System etabliert, zu lange wurde der Selbstbedienungsladen offen gelassen.
An dieser Stelle muss auch den Amerikanern gedankt werden. Man kann über die selbstdefinierte Weltpolizei denken wie man will, aber kein anderes Land hat in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass die jeweiligen Gesetze rund um die FIFA eingehalten wurden. Keine Staatsanwaltschaft sah einen gesetzeswidrigen Tatbestand gegeben. Allen voran die schweizerische Gesetzgebung, die über Jahrzehnte diesem Gebaren Tür und Tor öffnete. Nun endlich passierte etwas; es brauchte die durchaus medienwirksamen Amerikaner um dem Treiben der FIFA-Bonzen zu Leibe zu rücken.
Das System Blatter
Joseph Blatter wurde bereits 1975 von Adidas in der FIFA installiert, wurde 1982 Generalsekretär und 1998 Präsident. Seit über 40 Jahren ist Blatter in diesem System etabliert und seit fast 20 Jahren führt er es. Weltmeisterlich ist sein Durchdribbeln durch Krisen und Skandale, sowie seine persönliche Unantastbarkeit bei nahezu allen Problemen. 2015 funktioniert die FIFA nach dem System Blatter. Die Korruption wurde zur Perfektion getrieben und im Laufe der Jahrzehnte haben alle ihre Scheuklappen verloren. Fernab der breiten, wütenden Weltöffentlichkeit nimmt man es dem Schweizer bis heute ab, wenn er sagt, es träfe ihn keine Schuld. Allerdings – wenn er selbst diese Schuld nicht sieht und versteht, ist dies bezeichnend für seine Vorstandsfähigkeiten.
Am Mittwoch wurden wir Zeugen einer surreal anmutenden Pressekonferenz von Walter De Gregorio – seines Zeichen FIFA-Pressesprecher; dieser hat sich bereits 2010 in einem bewusst polemischen Artikel folgend geäußert: „Es ist nicht zuletzt unsere Heuchelei, die das System am Leben erhält. Wären wir konsequent und ethisch so erhaben, wie wir alle glauben, wir würden die Finger lassen vom Fußball und vom professionellen Wettkampfsport allgemein. Wer beginnt damit?!“ Bezeichnend, dass auch er heute am Finanztopf FIFA mitnascht.
Ist es nur unsere Heuchelei, die das System erhält? Müssen wir zuerst den Sport zu Grabe tragen um Transparenz einfordern zu dürfen?
UEFA und CONMEBOL haben es in der Hand
Wenn Europa und Südamerika in Eigenregie zu einer WM einladen würden, fehlen nicht viel mehr Weltstars als bisher. Die Verbände UEFA und CONMEBOL haben in Wahrheit die Zügel in der Hand. Es wäre naiv zu sagen, dass Korruption in Europa und Südamerika kein Problem darstellt, ganz im Gegenteil; oftmals wurde bewiesen, dass wir Vorreiter waren. Allerdings steht einem Neuanfang nichts im Wege. Und wie es scheint sind derzeit die Vertreter dieser beider Kontinentalverbände diesem Auftrag näher als andere. Die Welt des Fußballs ist nicht auf die FIFA angewiesen. Der Aufruf „Crash them down. Blow them up!“ hat nie mehr Sympathien erzeugt als dieser Tage.
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