Aufgezuckerte Berliner (2) – Eine Zeitreise in die Fußballfanszene der DDR
Gesellschaft & Ethik 1.Juni.2013 Marie Samstag 0
Die Szene von BFC Dynamo erwirtschaftet bald den Ruf stark rechtsradikal durchsetzt zu sein. Diese Gesinnung war weniger auf eine zielgerechte Unterwanderung durch Neo-Faschisten zurückzuführen, vielmehr manifestierte sich das „Rebellentum“ der Hooligans gegen die kommunistische „Vormundschaft“ in der Verwendung von Nazisymbolik und braunen Parolen. Mit einem derartigen Handeln konnten sie den Staat provozieren und sich eindeutig zu „Outlaws“ im roten Osten machten. Aufkommende neonazistische Organisationen wussten allerdings bald, wie sie sich die Szene zu Nutzen machen konnten. In diesem Zusammenhang kann man schon von einer schleichenden Rekrutierung durch die Neonaziszene in den 80er Jahren sprechen. Viele Schläger wandten sich der aktiven Parteiarbeit zu, unter ihnen der langjährige BFC-Capo Jens-Uwe Vogt.
Die Freiheitliche Arbeiterpartei, die Nationale Alternative oder die Republikaner „casteten“ ihren Nachwuchs systematisch unter gewaltbereiten „Baby-Hooligans“.
Bei Union Berlin tauchten ab 1983 Skinheads auf, eine kontinuierliche Politisierung der Szene fand aber eigentlich nur bei Dynamo statt. Die „Unioner“ waren unter ihren Feinden als Asoziale, Punks und Langhaarige verschrien, außerdem waren sie stets bemüht ein konträres Konzept zu den „Stasi-Schweinen“ vom BFC zu erfüllen.
Der Ex-Neonazi Ingo Hasselbach, heute als freier Journalist und Autor tätig, bediente sich Anfang der 90er Jahre einige Male des harten Dynamo-Fankerns, wenn es darum ging Straßenschlachten mit „Linken“ zu schlagen. Hasselbach schildert in seiner „Lebensbeichte“ ein weiteres erschreckend-kurioses Ereignis:
Auf dem Weg zum Gedenkmarsch für Rudolf Heß in Wunsiedel/Bayern, machten Berliner Neonazis, unter ihnen einige Fußball-Schläger, mit ihren Bussen Halt auf einem Rastplatz. Auf das Kommando „Deutsche, lasst uns plündern!“ wurde die dort befindliche Kaufhalle von den Hooligans gestürmt, die alles was nicht niet- und nagelfest war, an sich rissen. Eine Streifenwagenbesetzung beobachtete den Überfall hilflos aus der Ferne, was sollten diese Uniformierten schon gegen 300 Jugendliche ausrichten? Mit polizeilicher Verstärkung wurden die Neonazis später dennoch auf der Autobahn gestoppt und das Personal der Kaufhalle zur Gegenüberstellung mit den vermeintlichen Räubern gebeten. Eingeschüchtert stritten die Verkäuferinnen die Täterschaft der Beteiligten ab und diese durften somit die geraubten Gegenstände, darunter nicht nur Alkohol und Zigaretten, sondern auch CD-Player und anderes elektronisches Gerät, allesamt behalten.
Schon Jahre vorher war erstmals in der DDR bekannt geworden, dass sich unter Jugendlichen rechte Subkulturen gebildet hatten. Nach dem Überfall auf die Zionskirche am 17.10.1987 war für die Staatsmacht der Traum einer ganzheitlich antifaschistischen Bevölkerung ausgeträumt. Neben Skinheads hatten auch zahlreiche BFC-Anhänger spätnachts auf die Besucher eines Punkkonzerts in der Berliner Zionskirche eingeprügelt. Chaos und Schwerverletzte waren die Folge, ein Pfarrer erlitt einen Schädelbasisbruch. An den Rädelsführern sollte ein Exempel statuiert werden, sie wurden jeweils zu langen Haftstrafen verurteilt. Dass sich faschistische Strukturen nur im Kapitalismus bilden konnten, wie es die DDR-Führung immer gepredigt hatte, war somit widerlegt worden.
Vielfach nur als höchste Form der Opposition gegen den Staat gedacht, konnte „der rechte Weg“ auch nach dem Ende des sozialistischen Ostens weiter gegangen werden. Die Bundesrepublik war genauso empfindlich für Aufreizungen aus diesem Lager, wie es die DDR gewesen war.
Die Grenze zwischen Provokation und ernstgemeinter faschistoider Haltung ist aber schwer zu ziehen: Am 20. April 1990 bildeten 200 Neonazis anlässlich Hitlers Geburtstags ein „lebendes Hakenkreuz“ auf dem Alexanderplatz, einschlägig bekannte BFC-Fans befanden sich ebenfalls unter ihnen.
Unbestritten ist, dass es tatsächlich einige „waschechte“ Neonazis aus dem BFC-Fankreis gab, die wirklich an politischer Arbeit und Ideologie Interessierten wurden nach der Wende von westdeutschen Organisationen eingegliedert und verließen teilweise die Ostberliner Fußballbühne.
„Was lange gärt, …“ – die letzten Auswärtsfahrten.
Dass Fußballpartien zu DDR-Zeiten mehr als nur ein Spiel waren, gipfelte im tragischen Tod eines erst 18-jährigen kurz nach der Wende. Zwar war die sozialistische Republik schon beinahe Geschichte, allumfassende Gewalt, vor allem gegen Unbeteiligte, eskalierte aber erst jetzt wirklich. Es kam zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die selbst altgediente Anhänger überraschten.
600 Ost-Berliner trafen sich kurz nach der Wende mit ungefähr gleichvielen Kollegen aus der BRD um ein Ligaspiel in Leipzig zu besuchen. Die Anreise war von Pöbeleien und der schon erwähnten traditionellen Rastplatzplünderung geprägt. Vor dem Zentralstadion wollte die anwesende Polizei schließlich verhindern, dass die Masse an Gewaltbereiten ins Stadion gelangt. Ohne Vorwarnung wurde mit Tränengas und Gummigeschossen in die Menge gefeuert, daraufhin griffen die angereisten Anhänger ihrerseits die Beamten an. Eine Massenschlägerei, die zur Straßenschlacht eskalierte, folgte. Als die zurückgedrängten Fans begannen die Polizisten mit den Schottersteinen eines Bahndammes zu bombardieren, begannen diese scharf zu schießen. Der junge Fliesenleger Mike Polley wurde tödlich getroffen. Das Verhalten der Polizei blieb ohne strafrechtliche Konsequenzen, „Notwehr“ – urteilte ein Gericht.
Bis heute veranstalten Dynamo-Fans ein Mike-Polley-Gedenkturnier. Der getötete Fan galt als Einsteiger in die Szene.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Leipziger Innenstadt als „Nebenkriegsschauplatz“ gehörig verwüstet wurde, unzählige Scheiben gingen zu Bruch, die Hooligans bedienten sich in Geschäften, schlugen jeden Widerständigen nieder und stürmten eine Straßenbahn. Der Nullpunkt im DDR-Fußball war erreicht.
Leipzig war aber nur eine von mehreren „Städtereisen“, die allesamt ähnlich endeten. Zeitzeugen berichten, dass schon zuvor bei den Auswärtsspielen in Magdeburg und Jena geplündert und geprügelt wurde, als gäbe es kein morgen. In Jena scheuchten Krawallmacher die anwesende Polizei gar regelrecht aus dem Stadion. Dabei profitierten die Beteiligten von den „rechtsfreien“ Zuständen, der in den letzten Zügen liegenden DDR. Die ostdeutschen Volkspolizisten durften nicht mehr eingreifen, die BRD-Bundespolizei dagegen hatte noch keinen Handlungsbefehl.
Aus und vorbei
Bereits am Abend des Mauerfalls am 9. November 1989 vereinte sich der Dynamo-Fankern mit den in den Westen geflohenen oder ausgewanderten Hardcore-Fans wieder im östlichen Teil der Hauptstadt. Zur ersten Auswärtsfahrt kamen sie alle, egal ob sie sich schon aus dem Milieu zurückgezogen hatten oder nicht. Mit aufgeschlagenen Fingerknöcheln und Tonnen aufgestauter Wut fuhr man los und rächte sich in wahren Schlachten am verhassten Sparringpartner Polizei.
Vier Monate nach Polleys Tod war die Berichterstattung über Schlägereien und Diebstähle in der Rostocker Innenstadt die letze große mediale Aufmerksamkeit für die preußischen Krawallbrüder. Danach war der Spuk bald vorbei, die Narrenfreiheit für die Brutalo-Fans endete mit der Vereinigung von „Ost- und Westbullen“ zu einer gemeinsamen bundesdeutschen Polizei. Ein einheitliches Konzept mit Videoüberwachung und mehr Ordnern im Stadion wurde konzipiert und so durchgeführt, dass alles abseits von positivem „Fantum“ unterbunden war. Deeskalation auf höchster Stufe praktiziert, Polizeischutz für die anreisenden Fans vom Bahnhof bis zum Stadion und vorläufige Festhaltungen zur Verhinderung von Strafen, gehörten ebenso zum Standardprogramm.
Mit der letzten DDR-Oberligasaison 1990/91 endete auch die Hooligan-Ära beim BFC Dynamo und der Union Berlin.
Dynamo konnte zwar einige Spieler gewinnbringend in der deutschen Bundesliga unterbringen (z.B. Andreas Thom), schlechtes Management und die veränderten Strukturen im neuen Staat führten aber dazu, dass ein 11-Millionen-Mark-Gewinn rasch verschwunden war.
Lang lebe der Kapitalismus
Der Zahn war den gewaltbereiten Fußballfans schließlich gezogen worden. Auch die Marktöffnung trug das Ihrige dazu bei: Während in der DDR kaum jemand über einen eigenen „Trabi“ verfügte und man daher per Bahn zu den Auswärtspartien anreiste, konnte man sich jetzt bald ein Auto leisten. Skurrile Zugfahrten gehörten ab nun der Geschichte an.
Die neue und aktive Polizeipräsenz verhinderte jetzt oft Begegnungen vor oder nach einem Spiel. Treffpunkte mussten zwischen den verfeindeten Fangruppen vereinbart werden, von Erfolg waren diese Abmachungen oft nicht gekrönt. Darüber hinaus ging die „Romantik“ eines echten Straßenkampfes verloren, viele Althools dachten sich wohl, dass ein Besuch eines Boxclubs denselben Effekt hätte. „Jagen und Prügeln“ ist eben etwas ganz anderes als ein heimliches „Rendezvous“ in der Pampa.
Die Tribünen leerten sich allerorts, viele Ostdeutsche genossen lieber westdeutschen Fußball live oder vor dem neu erworbenen Fernsehgerät mit Antenne. Es war selbst für den treuesten Fußballanhang langweilig Regionalligaspiele der eigenen Mannschaft zu verfolgen, wenn Bayern München im Europacup unterwegs war. Besonders Union Berlin verlor rasch den Anschluss, da sie schon Mitte der 80er den Generationswechsel verpasst hatte, doch auch die BFC-Sitzplätze blieben zusehends leer.
Heute gibt es kaum noch einen Fußballinteressierten, der in der DDR seinen Herzensverein fand und noch jung genug ist, diesen aktiv überall zu unterstützen. Die begeisterten oder gefürchteten Fans von damals sind heute eingespannt in Familie und Beruf oder schlichtweg zu alt, um noch Teil der Kurve zu sein. Freunde des gepflegten Spieles kamen sowieso nie wirklich auf ihre Kosten.
Nina Hagen, erklärte Union Berlin-Anhängerin, und der Ost-Fußball haben heutzutage nur eines gemeinsam: Die Provokateure Deutschlands sind längst andere.
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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