Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (26): Lieber Cenk Şahin!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag adressieren wir unseren Brief an einen türkischen Fußballprofi.

Lieber Cenk Şahin!

Selbsternannter Moralbesitzer muss man nicht sein, um dein Posting zum Einmarsch der türkischen Armee in Syrien blöd zu finden. Vor dem Daumendruck auf deinem Hochleistungshandy hättest du nachdenken sollen. Hast du aber nicht und jetzt haben wir den Salat.

Weißt du, Cenk, ich habe für mich persönlich noch keine Antwort darauf gefunden, wie ich es finde, dass Sportvereine auch politischen Leitlinien folgen. Ich dachte immer, dass man im Sport – demokratisch vorbildlich – Menschen vereinen soll, egal was sie in der Wahlkabine ankreuzen. Nun gut, mit Demokratie hat dein Präsident wahrlich nicht viel am Hut. Das habe ich schon öfters so geschrieben. Für dich war wohl eher die sportliche Perspektive entscheidend, als du zum Hamburger Kultverein gewechselt bist. Dass sich die hiesige Fanszene antisexistisch und linksextrem gebärdet, wird dir wahrscheinlich gar nicht bewusst gewesen sein. Letztendlich muss es dir auch egal sein, denn du bist Spieler und kein Fan. Spieler wollen etwas Anderes als Fans.

Ich denke, dass du jetzt auch bei jedem anderen deutschen Klub Probleme mit deiner Glorifizierung der jüngsten Tat des Halbmondheeres gehabt hättest. Es gibt Grenzen. Gerade unsere nördlichen Nachbaren reagieren auf Diktatur und Kriegstreiberei äußerst sensibel und vermutlich hätten nicht nur die Pauli-Ultras sondern auch Fans von Preußen Münster oder Werder Bremen „Şahin verpiss dich!“ gefordert. Die Anhänger vom Millerntor argumentieren, dass du bereits mehrfach mit problematischen Äußerungen in Erscheinung getreten bist.

Deine Begeisterung für den türkischen Status Quo wird zwar von der Meinungsfreiheit gedeckt, jene Kritik, die du dir im Augenblick gefallen lassen musst, aber auch. Jetzt beginnt der Verein genau hinzuschauen, welche Gesinnung da im Trikot mit der Nummer 22 steckt: „Interne Aufarbeitung“ nennt das der FC Sankt Pauli. Vielleicht hätten sie das schon früher machen sollen, doch da stellt sich wieder die Frage: Geht es um Fußball oder Politik? Schade, dass es so weit kommen musste – für den Verein, die Fans und für dich.

So long, deine

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag