Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln,... Briefe an die Fußballwelt (55): Lieber Justin Fashanu!

Jeden Sonntag wollen wir an dieser Stelle Briefe aus aktuellem Anlass versenden. Mit Gruß und Kuss direkt aus der Redaktion – Zeilen zum Schmunzeln, Schnäuzen und Nachdenken an Fußballprotagonisten aus allen Ligen. Diesen Sonntag schicken wir unseren Brief an eine verstorbene Fußballpersönlichkeit…

Lieber Justin Fashanu!

Gestern vor 22 Jahren hast du dir das Leben genommen. Der einzige Grund dafür war der Druck, der sich nach deinem Coming-out als Homosexueller aufgebaut hatte und u.a. in einer Anzeige wegen Vergewaltigung gipfelte. Ich denke mir manchmal, wie in 100 oder 200 Jahren darauf reagiert werden wird. Wahrscheinlich werden die Menschen den Kopf schütteln. Es ist mehr als bitter zu glauben sein Leben aus diesen Gründen wegschmeißen zu müssen.

Lieber Justin, natürlich war es ein großer Fehler deine Geschichte dem Boulevard zu verkaufen. Es war ein Fehler, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Deine kurze Sucht nach dem Rampenlicht war wie die Reise Ikarus zur Sonne: Du hast dir die Flügel verbrannt und bist abgestürzt. Aber, weißt du, auch daran ist das System schuld. Das System, das Privatsphäre als Ware feilbietet. Du wurdest Opfer einer Welt,Bin der wir uns das Leben gegenseitig schwermachen.

Selbst 22 Jahre nach deinem Tod gibt es immer noch nur Lichterketten und Ähnliches gegen Homophobie, während – wie man am Beispiel Hopp erkennt – handfeste Aktionen nur dann möglich sind, wenn es um bestimmte Gruppen geht. Das erinnert mich oft an eine Deix-Karikatur, die einst aufgetaucht ist, als die Frage, ob Frauen nun Bereiterinnen in der Spanischen Hofreitschule werden dürfen, im Raum stand: Achtung! Erst kommen die Frauen, dann die Ausländer, die Behinderten und dann die Homosexuellen. Gerade in Krisenzeiten, wo wir uns nach der Normalität sehnen, ist es wichtig, erkämpfte Rechte nicht wiederherzugeben. Die Vorwände – die Wirtschaft, das Allgemeinwohl, etc.– sind dabei nur Ausreden für stockkonservative Machtbesessene, die ihre Pfründe nicht hergeben wollen. Leider ist das vielen nicht bewusst. Deswegen möchte ich mit diesem Brief an dich und dein zu kurzes Leben erinnern.

Ruhe in Frieden

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag