Buchrezension: „Seitenwechsel“ – Coming-out im Fußball
Gesellschaft & Ethik 20.August.2016 Marie Samstag 0
Hoppla, da hab‘ ich mich wohl geirrt. Als ich das Buch „Seitenwechsel – Coming-out im Fußball“ im Regal lehnen sah, dachte ich mir, es würde sich dabei um die Lebensgeschichte seiner Autorin handeln. Die Autorin heißt Tanja Walther-Ahrens und spielte jahrelang in der deutschen Bundesliga Fußball. Bevor ich „Seitenwechsel“ in den Händen hielt, hatte ich nur zweimal etwas von der ehemaligen Stürmerin gehört: Als Kind las ich ein Interview mit ihr, später konnte ich sie in zwei DSF-Dokumentationen über Homosexualität im Fußball bewundern. Aus einer dieser Dokus stammt auch das Eingangszitat ihres 2011 im Gütesloher Verlag erschienenen Buches: Mario Basler leugnet die Existenz schwuler Profifußballer: „Gibt es nicht. Sag ich nix dazu.“ Für Walther-Ahrens versinnbildlicht diese Meinung den Umgang mit Homosexualität im Fußballsport. Statistisch gesehen ist es unmöglich, dass es unter den vielen Spielern keinen Homosexuellen gibt.
Nachdem ich die Lektüre von „Seitenwechsel“ beendet habe, werde ich über Tanja Walther-Ahrens nur wissen, was mir auch zuvor schon bekannt war: Sie spielt Fußball und ist lesbisch. Das Buch ist also definitiv nicht ihre Biografie. Auf die Frage, was sie damit bezwecken wollte, antwortete die Deutsche 2011: „Es geht um Schwule und Lesben im Sport. Es geht darum der Community zu zeigen, wie vielfältig schwul-lesbischer Sport ist.“ Sie hoffe, dazu beizutragen, Vorurteile abzubauen und den Umgang der Menschen untereinander zu öffnen. Dieser Wunsch in allen Ehren, doch eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine von Edelmut getragene Ambition macht noch kein lesenswertes Buch. Der Sinn und Zweck der 170 Seiten liegt zwar deutlich auf der Hand, jedoch ist „Seitenwechsel“ ein Appell ohne konkreten Lösungsvorschlag. Lexikonartig reiht die Autorin Begriffe aus der Genderforschung, sowie Schlüssel-Events und Merkmale der homosexuellen Gemeinschaft aneinander, sie lässt namhafte Personen wie den ehemaligen Berliner Bürgermeister Wowereit oder Ex-NBA-Profi John Amaechi zu Wort kommen und eigene Erfahrungen und Gedanken einfließen. Sie stellt die richtigen Fragen bleibt aber Antworten schuldig. Ich vermute, weil es keine Antworten gibt.
Der Ball und sein Preis
Oma war dagegen. Ein Mädchen, das in den 70er-Jahren in der hessischen Provinz aufwächst, erntet nur Kopfschütteln, wenn es Fußballspielen will. Klein-Tanja, die damals nur Walther heißt, kann nicht stillsitzen, will herumtoben und hat bald begriffen, dass sie nur beim Fußball in ihrem Element ist. Das sportliche Gen hat sie von ihrem Vater geerbt, der Mutter ist‘s egal, nur Oma meckert: „Das macht ein Mädchen nicht.“ Das wiederum ist Tanja egal und so spielt sie zuerst neben der Kuhweide und später im Dorfverein. Nach ihrem 14. Geburtstag muss sie zu einer reinen Mädchenmannschaft wechseln, da der DFB ab diesem Zeitpunkt keine gemischten Teams mehr erlaubt. Jetzt erfährt Tanja erst wie anders Frauenfußball ist, obwohl doch die gleichen Spielregeln gelten: „Jungs und Männer trainieren und spielen auf den „guten“ Plätzen, bekommen mindestens einmal im Jahr neue Trikots und erhalten schon in unteren Ligen viel Geld dafür, dass sie einem Ball hinterherlaufen. Diese Erfahrungen habe ich sowohl auf dem Land als auch in einer Stadt wie Berlin gemacht.“ In der deutschen Hauptstadt studiert sie später Sportwissenschaften und darf Fußball nicht als vertiefendes Fach belegen. Warum? Diese Qualifikation ist allein Männern vorbehalten. Walther-Ahrens ist perplex. Genau diese Form der Diskriminierung hat sie dazu bewogen „Seitenwechsel“ zu schreiben. Es ist nicht ihr einziger Beitrag zu mehr Toleranz im Sport: Seit 2006 ist sie Delegierte der European Gay and Lesbian Sport Federation und kämpft aktiv als Initiatorin von Veranstaltungen gegen Homophobie. Drei Jahre bevor „Seitenwechsel“ erschien, erhielt die ehemalige Spielerin von Tennis Borussia Berlin und Turbine Potsdam gemeinsam mit Philipp Lahm und DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger den Tolerantia-Preis. Hauptberuflich arbeitet Walther-Ahrens heute als Lehrerin.
Lex imperfecta
Schon die ganz banalen Dinge stören sie: Die passionierte Fußballerin, die noch immer beim SV Seitenwechsel (!) die Schuhe schnürt, wundert sich immer, wenn sie auf dem Protokoll einen SpielführER oder TorMANN eintragen muss. Aber so läuft das nun mal in der Man‘s World Fußball. Walther-Ahrens konstatiert: Männerfußball gilt als ausschließlich heterosexuell, Frauenfußball als ausschließlich homosexuell. Sie selbst will niemanden zwangsouten sondern nur dazu beitragen ein Klima zu schaffen, in dem einem selbstgewählten Coming-Out nichts entgegensteht. Allein – es liegt nicht in ihrer Macht.
Wissen Sie was eine lex imperfecta ist? Es ist eine Vorschrift, die zwar ein gewisses Tun, Dulden und Unterlassen gebietet, aber keine Sanktion im Falle eines Verstoßes ankündigt. Das Problem von „Seitenwechsel“ ist ein ähnliches: Tanja Walther-Ahrens beschreibt den status quo, berührt viele Aspekte und schafft trotzdem nur einen harmlosen Mahnruf, da sie gar nicht in der Lage ist, die gesellschaftlichen Kräfte neu zu ordnen. DFB-Spielerin Lira Bajramaj, die in einem Kurz-Interview zu Wort kommt, steht Homophobie im Sport pragmatischer als die Buchautorin gegenüber: „Sich für mehr Toleranz und Akzeptanz einzusetzen muss nicht Aufgabe des Fußballs allein sein. Die Abneigung gegenüber Homosexuellen ist ja eher ein gesellschaftliches Problem.“ Das ist korrekt: Heute gibt es viele Schwule und Lesben, die gesellschaftlich anerkannt sind, in ihren Berufen reüssieren und glückliche Leben führen. Im Profisport gibt es – der Statistik zum Trotz – immer noch wenige aktive Sportler, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Viele outen sich erst, nachdem sie ihre Laufbahn beendet haben. Im Fußballsport gab es bislang nur einen Profi, der sich während seiner Karriere zu einem Coming-Out hinreißen ließ: Justin Fashanu verkaufte seine Geschichte an „The Sun“ und bezahlte bitter dafür. Der Engländer wurde des sexuellen Missbrauches beschuldigt und brachte sich schließlich um. In Deutschland verbockten sich zwei Spieler aufgrund der Zwangs-Heteronormativität ihre hoffnungsvollen Karrieren: DDR-Jugendspieler Marcus Urban hielt dem Druck der Lüge nicht mehr stand, HSV-Talent Heinz Bonn musste aufgrund von Verletzungen früh seine Profilaufbahn beenden, hatte ein Alkoholproblem und wurde schließlich von einem Stricher ermordet. Keine schönen Aussichten für schwule Profisportler!
Und wer denkt, dass es nur für Fußballer schwierig ist, dem wird schnell klargemacht, dass im Sport generell massiver Nachholbedarf besteht. Erschreckend etwa wenn Fechteuropameisterin Imke Duplitzer erzählt: „Viele geben sich nach außen hin liberal, haben aber noch die gleichen alten Vorurteile wie eh und je. Wenn der Spitzensport nur halb so tolerant wäre, wie er tut, dann wäre in dieser Gesellschaft vieles anders.“ Ein paar Sätze weiter meint Duplitzer, dass es ein Sportler, der vor einer grölenden Masse spielt, noch schwieriger hätte. Noch schwieriger? Fußball ist ein eigenes Kapitel: „Fußball ist der letzte Ort, an dem „wahre Männlichkeit“ gelebt werden kann, sowohl auf dem Feld als auch in den Fankurven.“ Sportelnden Frauen und Männern werden unterschiedliche Charaktereigenschaften zugeschrieben: So müssen Frauen auf typisch „männliche“ Züge zurückgreifen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Männer hingegen werden schnell ins homosexuell-weibliche Eck gestellt, sobald sie nicht dem klassischen Rollenbild entsprechen. Die Männlichkeit des Fußballs drückt sich somit sowohl in der Ablehnung von Frauen und als auch in der Ablehnung der Homosexualität aus. Daran konnte selbst die metrosexuelle Ikone David Beckham nichts ändern. Meist geht es um unterschwellige Antipathie: „Ich habe ja nichts dagegen, ABER…“ – damit ist alles gesagt. Tanja Walther-Ahrens engagiert sich in homosexuellen Sportvereinen. Diesen und den dazugehörenden Verbandswettkämpfen – wie den Gay Games, Out Games oder dem Come-Together-Cup – ist ein großer Teil ihres Buches gewidmet. Solche Klubs sind ein ähnliches Paradoxon wie die „Quotenfrauen“: Um einen gleichberechtigten Zugang für eine Minderheit zu erhalten, muss erst ein ungleicher Zugang geschaffen werden. Solche Unternehmungen erzeugen zwar wieder abgekapselte Sondergrüppchen, doch scheinbar schafft es unsere Gesellschaft nicht darum herumzukommen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie sich – wie chirurgische Fäden – mit dem dazugehörigen Gewebe nach einiger Zeit unsichtbar verbinden und so ein natürlicher Teil davon werden.
Walther-Arens Lieblingsteil sind die letzten Passagen des Buches, wo sie sich ironisch mit Vorurteilen auseinandersetzt. Sie scheint ihr Lachen nicht verloren zu haben und lässt den Fußball – also den Ball, die Kugel, das Fetzenlaberl – sagen: „Weißt du, mir ist das doch völlig egal, wer mich tritt. Hauptsache das passiert nicht unmotiviert und lustlos.“ Wahre Worte.
Marie Samstag, abseits.at
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