Während nach dem ersten Lockdown im Frühling 2020 der Sportbereich koordiniert in langsamen Schritten wieder geöffnet wurde, produzieren die aktuellen Bestimmungen eine völlig unnötige und ungerechtfertigte Differenzierung von Nachwuchssportlern, die unsere Gesellschaft langsam aber sicher auseinanderdividiert.
Andi und Alex sind best friends. In der Schule sind sie Sitznachbarn. Seit der Rückkehr in die Klasse nach den Semesterferien machen die beiden unter Betreuung ihres Klassenvorstands jeden Montag einen Corona-Selbsttest. Auch heute fällt dieser wieder negativ aus. Andi und Alex ballen die Faust zum Jubel. In dieser Woche dürfen sie in der Schule bleiben. Der Unterricht ist zwar nicht so lustig wie das Zocken daheim auf der Konsole, aber auch ihnen ist bewusst, dass die Schule wichtig ist, um später auf eigenen Beinen stehen zu können.
Am Nachmittag geht Andi zum Fußballtraining. Er ist ein talentierter Mittelfeldspieler und vor kurzem zu seinem Herzensklub Rapid Wien gewechselt. Alex hat einen anderen Weg eingeschlagen. Er ist ein ebenso begabter Fußballer und hat sich für die Nachwuchsabteilung des First Vienna FC entschieden, die seit Jahrzehnten für ihre gute Ausbildungsarbeit bekannt ist. Alex darf nicht Fußballspielen.
Warum Andi trainieren darf
Durch mehrere Verordnungen des Gesundheitsministers, die allerdings in Bezug auf den Sport immer den gleichen Wortlaut hatten, ist Kontaktsport seit 3.11.2020 (nunmehr 16 Wochen!) durchgehend verboten. Eine Ausnahme gibt es nur für den Spitzensport. Neben Berufsfußballern dürfen auch die Akademien unter Beachtung eines strengen Präventionskonzepts und bei regelmäßiger Durchführung von Corona-Tests trainieren. Das ist logisch und konsequent, da sich diese Jugendlichen in einer Berufsausbildung befinden, die durch ein Trainingsverbot massiv gefährdet wäre.
Die Bundes-Sportorganisation Sport Austria bemüht sich wie die Dach- und Fachverbände, darunter auch der ÖFB, seit geraumer Zeit um eine Wiederermöglichung des Trainingsbetriebs, da der Lockdown schlimme Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen befürchten lässt. Diese könnten unter Umständen in den kommenden Jahren zu größeren Belastungen und Schäden im Gesundheitssystem führen, als aktuell durch die Corona-Pandemie unmittelbar verursacht werden. Bereits vor der Krise lagen die direkten Kosten im Gesundheitswesen, welche ausschließlich auf körperliche Inaktivität zurückgeführt werden können, bei über 1,7 Milliarden Euro jährlich [Studie „Unterschätzter Wirtschaftsfaktor Sport“ von BMoeDS, SportsEconAustria (SpEA), April 2019]. Festgestellt übrigens in einer Studie von SportsEconAustria, einem Tochterverein des Sportministeriums.
Da keine politischen Tendenzen erkennbar waren, den Breitensport in absehbarer Zeit zu öffnen, versuchte der ÖFB zumindest für einzelne Bereiche den Spitzensport-Status zu reklamieren. Erfolgreich! Und das geht so:
§ 9 der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (verordnet vom Gesundheitsminister im Einvernehmen mit dem Nationalrat) erlaubt es Spitzensportlern iSd §3 Z6 Bundes-Sportförderungsgesetz 2017 (BSFG) ohne Einschränkungen zu trainieren. Die Voraussetzungen sind ein strenges Präventionskonzept und regelmäßige Testungen, wie es eben auch bei den Bundesliga-Mannschaften und in den Akademien praktiziert wird. Die Einstufung nach dem BSFG nimmt das Sportministerium vor. Der Gesundheitsminister sperrt also pauschal zu, der Sportminister vereinzelt wieder auf. Was wären Ausnahmen ohne Regeln …?
Der ÖFB hat es nach zähen Verhandlungen geschafft, seine Landesverbandsausbildungszentren (LAZ) ab 1.2.2021 als Spitzensport einstufen zu lassen, womit der Trainingsbetrieb wieder aufgenommen werden konnte. Ab 15.2.2021 wurde dies auch den U11-U14-Mannschaften der Bundesliga-Vereine gewährt.
Andi darf als Rapid-Spieler also trainieren, sofern er einen negativen PCR-Test oder Antigen-Schnelltest vorweisen kann, der alle sieben Tage erneut erbracht werden muss. Der Selbsttest aus der Schule gilt übrigens dafür nicht. Dies wurde mit dem neu eingefügten § 17 der VO, der seit 8.2.2021 in Kraft ist, klargestellt. Andi muss nun zusätzlich zum Schultest noch ein weiteres Mal beim Verein oder in einer öffentlich eingerichteten Teststraße getestet werden und darf dann trainieren.
Es ist ein Privileg und für die breite Basis des Amateursports schwer verständlich, warum die „besseren Spieler“ bevorzugt werden. Aber was hätte der ÖFB tun sollen? Immer noch besser es kommen ein paar wenige Spieler rasch wieder in Bewegung, als gar keiner. Die Talente in den LAZs und Nachwuchsabteilungen von Profi-Vereinen haben ambitionierte Ziele. Wenn man ihnen wochenlang das Fußballspielen verbietet, drohen ernsthaft ganze Jahrgänge wegzubrechen. Es ist sogar Aufgabe des ÖFB um diese Spieler zu kämpfen. Die Freude bei den ersten Trainingseinheiten war unübersehbar groß.
Und auch den Trainern tut die Rückkehr auf den Fußballplatz gut. Vor allem nämlich mental. Als aktiver Trainer in einem LAZ genieße auch ich es, nach unzähligen Wochen im Home-Office abends wieder eine willkommene Abwechslung zu haben. Ich bin sogar davon überzeugt, dass es sich positiv auf meine Gesundheit auswirkt, endlich wieder am Platz zu stehen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, bei Wind und Schneeregen. Egal – endlich wieder Fußball!
Der Schritt, den Trainingsbetrieb im Spitzennachwuchsbereich zu öffnen war wichtig und richtig.
Warum Alex nicht trainieren darf
Nun stellen sich natürlich mehrere Fragen:
Warum gilt das Training im LAZ und in U11-U14-Mannschaften von Bundesligavereinen im Februar als Spitzensport, obwohl es von November bis Jänner scheinbar nur Breitensport war?
Warum gelten U11-U14 als Spitzensport, U15-U18 jedoch nicht?
Und die Frage aller Fragen: Warum um alles in der Welt werden Kinder und Jugendliche, die dem gleichen Hobby nachgehen, in unserem Land unterschiedlich behandelt?
Alex spielt mit seinem Verein in derselben Liga wie Rapid, in der höchsten Liga des Wiener Fußballverbands. Das ist Sport auf höchstem Niveau, auch bereits im Kinderfußball. In manchen Altersklassen steht die Vienna sogar besser da als der Profi-Verein Rapid. In der WFV-Liga gibt es mehrere richtig gut arbeitende Vereine, die gleichzeitig Talenteschmiede und Ausbildungsverein für die „großen“ Vereine sind. Ihnen allen wird der organisierte Trainingsbetrieb derzeit verwehrt. Das Training im Nachwuchsbereich aufgrund der Ligazugehörigkeit der Erwachsenenmannschaft zu verbieten, ist genauso wie zu sagen: Nur Kinder von Akademikern dürfen studieren!
Während Andi am Fußballplatz dem Ball nachjagt, sitzt Alex vor der PlayStation und spielt FIFA. Er würde zwar gerne, aber es ist ihm nicht erlaubt zu trainieren.
Sachlich ist das alles nicht zu rechtfertigen. Man wollte eben gewissen Bereichen das Training ermöglichen und über ein schrittweises Öffnen nachvollziehen, ob es Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen hat. In einer Altersgruppe, die insgesamt nur etwa 6% zum Infektionsgeschehen beiträgt (AGES Dashboard COVID19, Stand 19.02.2021). Bei Bewegung mit nur temporären direkten Kontakten. Im Freien.
Ok, hören wir auf, die Einschränkungen im Allgemeinen zu kritisieren. Gehen wir davon aus, dass der Lockdown inklusive Sportverbot wirklich notwendig war.
Im Frühling hat man es auch geschafft, ohne Ungleichbehandlung wieder ins Fußballtraining einzusteigen. Und jetzt soll das nicht möglich sein?
In meiner zweiten Funktion bin ich Funktionär bei einem Breitensportverein, der Nachwuchsfußball in allen Altersklassen anbietet. Unsere U13-Mannschaft spielt in derselben Liga wie Admira Wacker Mödling, in der höchsten Liga unserer Jugendhauptgruppe. Im Frühling geht es erstmals um die Qualifikation zur Nachwuchs-Landesliga. Unser „großer Bruder“, der Profi-Verein Admira darf trainieren, die anderen Mannschaften in der Liga nicht. Nicht nur in Wien gibt es einen Andi und einen Alex. Überall in Österreich gibt es Nachwuchssportler, die sich am Vormittag in der Schule sehen. Manche dürfen am Nachmittag Sport machen, manche nicht.
Das österreichische Verfassungsrecht sieht vor, dass Gleiches nur dann ungleich behandelt werden darf, wenn dafür eine sachliche Begründung vorliegt. Um es kurz zu machen: es gibt keine.
Theoretisch könnte es ein Argument sein, dass die Breitensportvereine nicht in der Lage sind, regelmäßige Testungen umzusetzen, während die Profi-Vereine dies eher bewerkstelligen können. Das ist absoluter Schwachsinn. Die Spieler in unserem LAZ gehen in die vom Land Niederösterreich organisierten Teststraßen oder in die Apotheken, die Gratistests anbieten. Ich als Trainer mache es genauso. Denn genau das gibt das vom Sportministerium abgesegnete Präventionskonzept des ÖFB vor. Der Aufwand, der bleibt, ist ein rein administrativer: nämlich sämtliche Tests zu sammeln und zu dokumentieren. Und ja – natürlich wird jedem Spieler, der kein negatives Testergebnis vorweisen kann, das Training verwehrt. Das ist zwar für den Einzelnen bitter, aber genau deswegen testen wir ja.
Was davon soll ein Breitensportverein nicht umsetzen können? Eben.
Der nächste Schultag
Am Dienstagmorgen begrüßen sich Andi und Alex mit High Five. Sie sind best friends. Andi ist heute richtig gut drauf. Das Training war hart, deswegen ist er früh ins Bett gefallen und heute gut ausgeschlafen. Er kann dem Unterricht aufmerksam folgen. Als die Lateinlehrerin „mens sana in corpore sano“ an die Tafel schreibt, ist Andi der Erste, der aufzeigt und die richtige Übersetzung weiß. Alex ist überrascht. Normalerweise ist er der Bessere in Latein. Er wusste, dass er den Satz gestern beim Lernen gelesen hatte, aber so schnell wie Andi wollte er ihm heute nicht einfallen. Überhaupt fühlt er sich schon die ganze Zeit ziemlich geschlaucht. Alex starrt gedankenverloren beim Fenster hinaus auf die grüne Wiese. Wie gerne würde er doch endlich wieder Fußballspielen. Dann würde ihm auch das Lernen wieder viel leichter fallen.
Sport ist nicht das Problem, Sport ist die Lösung!
_________________
Christian Moser
Der Autor ist Obmann des ASV Hinterbrühl – Mödling und Talentecoach im LAZ NÖ Industrieviertel. Aufgrund seiner juristischen Ausbildung maßt er sich an, auf unsachgerechte Ungleichheiten in der aktuellen Rechtslage hinzuweisen.
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