Die Kunst zu gewinnen – ist Fair Play nur Augenauswischerei?
Gesellschaft & Ethik 22.Mai.2013 Marie Samstag 5
„Ganz ehrlich? Nein! Schiedsrichterentscheidungen muss immer noch der Schiri treffen, nanonaned – DAS ist nicht Aufgabe der Spieler!“, sagt Manuel Ortlechner und man kann sich die Überzeugung, die in diesen Worte liegt, gut vorstellen. Zustande kam diese klare Antwort in einer Diskussionsrunde mit ASB-Usern auf die Frage, ob der Innenverteidiger ein Elfmeterfoul zugeben würde, wenn der Schiedsrichter ihn danach frage. Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang aber bleiben, dass sich der aktuelle Austria-Kapitän ein paar Zeilen weiter zum sportlich-anständigen Spiel, das über die festgesetzten Regeln hinausgeht, durchaus bekennt. „Fairplay bleibt […]Fairplay – gestern, heute, morgen!“, meint er auf die Frage, ob er das Spielgerät ins Out schießen würde, falls er wüsste, dass ein Gegner nur Zeit schinde.
Zugegeben: Der Oberösterreicher steht mit seiner Ansicht wohl wahrlich nicht alleine da, die meisten seiner Berufskollegen weltweit denken und handeln ähnlich. Zu viel Geld, zu viel Erfolg, zu viele Arbeitsplätze stehen – im wahrsten Sinne des Wortes – auf dem Spiel, als dass man allzu salomonisch handeln kann. Trotzdem oder gerade deswegen ist „Fair Play“ ein Alltagsbegriff der Fußballwelt, den auch ein Manuel Ortlechner gerne verwendet.
… denn sie wissen sehr wohl, was sie tun.
Das Onlinelexikon Wikipedia definiert Fair Play folgendermaßen: Sportliches Verhalten, das über die Einhaltung der Regeln hinausgeht. Es beschreibt eine Haltung des Sportlers und zwar die Achtung des bzw. den Respekt vor dem sportlichen Gegner sowie die Wahrung seiner physischen und psychischen Unversehrtheit. Der sportliche Gegner wird als Partner gesehen oder zumindest als Gegner, dessen Würde es zu achten gilt selbst im härtesten Kampf.
Der internationale Fußballverband (FIFA) selbst predigt eher eine interpretationsbedürftige Light-Version: Fairplay ist ein grundlegender Aspekt des Fußballspiels. Dabei geht es ganz allgemein um eine gesunde Einstellung zum Spiel und konkret um die Achtung der Spielregeln sowie um den Respekt für Mitspieler, Schiedsrichter, Gegner und Fans. So heißt es auf seiner Homepage.
In der Welt der FIFA und UEFA ist Fair Play überall zu finden. Es gibt eine Kommission, eine Wertung, einen Award, die das anständige Spiel in den Mittelpunkt stellen. In Werbespots und auf Plakaten sowie Aufklebern wird der Erziehungsauftrag gegenüber Fans und Zuschauern wahrgenommen. Fußballklubs weltweit beteiligen sich an Aktion in allen Varianten. Auch die Akteure selbst erfüllen die „frohe Botschaft“ mit Leben: So klatschen die Spieler vor dem Match mit dem Gegner ab und tauschen ihre verschwitzten Trikots, wenn’s vorbei ist. Sogar unter dem Spiel huscht gelegentlich der vermeintliche Fairness-Gedanke über das Feld, nämlich dann, wenn wegen einer Unterbrechung der Ball ins Out gespielt wird, ebenso wenn sich ab und zu nach einem Foulspiel entschuldigt wird und dem Gegner wieder auf die eigenen Beine geholfen wird.
Empirisch lässt sich aber leicht herausfinden, dass derartige Verhaltensweisen meist nicht Gewissensentscheidungen der einzelnen Personen sind, vielmehr handelt es sich um sittenhafte Gebräuchlichkeiten, die weltweit überall dort stattfinden, wo zweiundzwanzig Damen oder Herren einem Ball nachjagen. Zu dieser Beobachtung kommt man rasch, denn andere Verhaltensweisen, die von den Fußballvereinen und Fans mit mehr oder weniger Protest gelebt werden, stehen mit einem weitläufigen Fair-Play-Begriff in eklatantem Widerspruch.
Achtung vor dem Gegner und die Einhaltung des Regelwerkes ist oftmals ein Fremdwort für viele Profis und Tribünen. In jeder U8 weltweit wird den jungen Burschen gelehrt, im Strafraum, wenn es hart auf hart kommt lieber die Notbremse zu ziehen, als ein Tor zu kassieren. Gemeinheiten, wie: Auf-die-Zehen-steigen, versteckte Ellbogenstöße, Jubelprovokationen, Spielverzögerungen und Frustvergehen sind bei fast jedem Match an der Tagesordnung. Die Fans selbst setzen diese unendliche Geschichte mit vulgären Schmähgesängen, Pöbeleien und Sprechchören gegen Gegner und Schiedsrichter fort. Ein „würdevoller“ Kick findet also bei allem Verständnis für Emotionen nicht statt.
Aber muss der Fußball überhaupt „fair“ sein? Es gibt schließlich Regeln, die geahndet werden. Warum also drückt man dem Spiel mit dem Ball ständig ein Fair-Play-Etikett auf, das mit der Realität nichts gemein hat?
Fair Play – gibt es gar nicht
Fair Play als innere Geisteshaltung findet nur vereinzelt im Berufssport Ausdruck. Immer wieder überraschen Fans, Funktionäre und die Spieler selbst mit Aktionen, die eine respektvolle und gerechte Einstellung zum Spiel zum Tragen kommen lassen: Miroslav Klose beispielsweise gab ihm Spiel seines Klubs Lazio Rom gegen den SSC Neapel (0:3) zu, dass er einen Treffer mit der Hand erzielt hat. Dafür wurde der deutsche Teamstürmer mit einem italienischen Fair-Play-Preis geehrt. Auch der spärlich besetzte Aston-Villa-Fanblock zeigte sich beeindruckt von der Hütteldorfer Stadionstimmung und zollte der Westtribüne nach der 0:1-Niederlage seiner Mannschaft gegen den SK Rapid Wien mit Applaus Respekt (20.08.2009).
Es gibt einige solcher lobenswerter Exempel, doch man kann bei weitem nicht davon reden, dass eine derartige Fair-Play-Einstellung ein Prinzip des globalen Fußballspieles geworden ist.
Es lässt sich einfach feststellen, dass es im Profifußball nur offizielle Spielregeln und geübte Sitten mit rechtsähnlicher Kraft gibt. Punkt. Das Regelwerk ist von der FIFA festgelegt, die geübten Sitten haben sich durch die Ausübung des Sportes ergeben und werden wie die eigentlichen Vorschriften gleichförmig und weltumfassend vollzogen. Als Beispiel sei, das oben schon erwähnte, und in fast jedem Spiel anzutreffende, Ball-ins-Out-Schlagen und dessen zügige Retournierung, genannt.
Teilweise werden auch für Verstöße gegen ungeschriebene „Regeln“ Konsequenzen gezogen. Dies mussten auch Christian Mayrleb und sein damaliger Arbeitgeber Austria Wien im Herbst 2000 bitter erfahren: Der violette Stürmer versenkte die Kugel damals im gegnerischen Tor, als ein Spieler der eigenen Mannschaft den Ball in einer „Fair-Play-Aktion“ dem Gegner Schwarz-Weiß Bregenz überlassen wollte. Das skandalöse Spiel wurde schließlich wiederholt – und die Austria verlor.
Mit Fair Play haben aber auch diese tugendhaften Auswüchse des Kickens nichts zu tun. Sobald eine Mannschaft den Sieg/das Remis braucht und die Zeit dafür zu knapp wird, ist es ebenso üblich auf die strenge Einhaltung solcher kulanten Gesten zu verzichten. Gegnerische Mannschaften, die das Ergebnis halten möchten, verfahren genauso, in dem sie das berühmte Zeitschinden praktizieren. Gerechtigkeit und Achtung als Ausdruck einer inneren Moral als Basis für den Sport – Fehlanzeige!
Der Fair-Play-Gedanke, den also jeder Akteur, Anhänger und Vereinsbeschäftigte als eigene Gewissenschranke in sich tragen sollte, hat dementsprechend mit dem Fußball so viel zu tun wie der FC Hintertupfing mit der Champions League. Positive Beispiele wie die bereits genannten lassen auf Fortsetzung hoffen, andererseits ist es jedoch verständlich, dass der Sieg um jeden Preis errungen werden möchte. Schließlich geht es im modernen Fußball um viel Geld und um die Lebensgrundlage vieler Menschen, da möchte sich niemand sein Gewinnmotiv so leicht begrenzen lassen.
Auch Manuel Ortlechner nicht. Der reagiert einst erbost, als ihn Alfred Tatar kritisierte, er hätte ein „Wembley-Tor“ deutlich erkannt und nicht um Aberkennung des eigenen Treffers beim Schiedsrichter gebeten. Er sei kein Torrichter, ließ der Spieler dem jetzigen Vienna-Trainer ausrichten. Das ist richtig. Ein wirklich fairer Sportsmann ist er aber auch nicht. So wie die meisten seiner Kollegen und das müssten sie auch gar nicht sein.
Marie Samstag, abseits.at
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