Was war das nicht für ein Bild? 22. Spielminute beim Kracher Niederlande gegen Deutschland, Joachim „Jogi“ Löw wird gezeigt. Er streicht sich durchs Haar,... Euro-kritisch (3) – Wenn die Realität nicht gut genug ist

Was war das nicht für ein Bild? 22. Spielminute beim Kracher Niederlande gegen Deutschland, Joachim „Jogi“ Löw wird gezeigt. Er streicht sich durchs Haar, kaut mit offenem Mund auf seinem Kaugummi und schlägt dem Balljungen ein Leder aus der Hand. Zu schön um wahr zu sein? Ja!

Unangenehmes wird ausgeblendet

Vor gut einem Monat wurde die Frage gestellt, ob die Boykotte der Politiker wegen der Inhaftierung der ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko sinnvoll wären. Die Beantwortung wurde offen gelassen, resignierend wurden Beispiele angeführt – etwa die EM im Franco-Spanien 1964 – dass es, salopp formuliert, „eh nix bringt“. Die eingangs erwähnte Szene fand so nicht statt, weil sie sich vor dem Anpfiff abspielte. Genauso wenig zu sehen war der Kuss Slaven Bilics, der Flitzer wurde lediglich von den Fotokameras eingefangen. Die Realität ist der UEFA nicht gut genug, um, wie im Falle des Flitzers, nicht andere zu ermutigen, ähnliche Aktionen zu machen. Protesttransparente, die sich über die in der heimischen Bundesliga üblichen Schmähbanner hinwegsetzen, waren auch nicht zu sehen. Unangenehmes soll nicht gezeigt werden.

Was China kann, kann UEFA schon lange

Rückblende zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking 2008. „Fantastisch – zu fantastisch“ meinte die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ zu der Eröffnungsfeier und um genau zu sein zum Feuerwerk. Ein großer Teil der Sequenz des Eröffnungsfeuerwerks fand nicht am 8. August statt, sondern wurde zuvor schon aufgezeichnet, von Juni 2007 bis Juli 2008, wie ein Mitarbeiter der Produktionsfirma der Zeitung „Beijing Shibao“ später erzählte. Und eine perfekte Show liefern kann die UEFA natürlich auch, wenn das China auch kann. Darum gab und gibt es statt unangenehmen Bildern schöne zu sehen, zur Not auch solche, die vor dem Spiel aufgezeichnet wurden.

Festhalten an Dingen, die nicht real sind

Fußball ist groß, sehr groß. Allein in Deutschland betrug der Marktanteil beim ersten Spiel der Nationalelf gegen Portugal bei der werberelevanten Zielgruppe der 19- bis 49-Jährigen unglaubliche 80 Prozent! Da passen Banner wie „Fairplay in Fußball und Politik“, die deutsche Grün-Politiker hochhielten, so richtig gar nicht ins Bild. Allerdings leben die honorigen Herren in Nyon trotz HD-TV hinter dem Mond, denn 2011 wurden schon Revolutionen, wie in Ägypten, per Facebook, Twitter und Co. losgetreten. Der europäische Fußballverband hinkt der Zeit hinterher, denn wenn etwas passiert, was 30 Millionen Deutsche im Fernsehen nicht sehen sollen, dann gibt es noch immer Zehntausende Fans im Stadion, die in sekundenschnelle die Wahrheit verbreiten können.

Verständnis für das Grundproblem

In Hartberg zerstörten um die 60 Chaoten die Klassenerhaltsparty des TSV. Viele Medien berichteten lieber über genau dieses Ereignis, nicht über das sportliche und die 3.540 Menschen, die nicht den Rasen stürmten, weil die präferierte Mannschaft ein Fußballspiel auch verlieren kann. Genau das liegt der Steuerung wohl zu Grunde: Den Deppen keine Bühne zu bieten. Das Fernsehen kommt, wie etwa beim Wiener Derby am 22.5.2011, nicht immer umhin, Ausschreitungen zu zeigen. Allerdings gibt es leider noch immer genug Menschen, die entweder ihre Aggressionen vor einem möglichst großen Publikum ausleben wollen oder sich schlichtweg vor einem Millionenpublikum ihre Warhol’schen 15 Minuten Ruhm abholen wollen. Unter dieser Prämisse wären Einspieler sogar verständlich.

Was ist die Wahrheit?

Wer sich beispielsweise in einem Pub ein Spiel der EM anschaut, kann nicht unbedingt darauf vertrauen, dass das, was er da sieht, tatsächlich passiert. Natürlich ist der Einspieler mit Löws Schmäh nett, aber wie würde die internationale Regie in Warschau reagieren, würden beim letzten Gruppenspiel der Ukraine in Donetsk plötzlich tausende Fans aktiv werden und eine politische Botschaft von sich geben. Wenn schon bei Langeweile eine de facto Unwahrheit verbreitet wird: Was passiert, wenn wirklich was passiert? Werden dann bei einem Outeinwurf Bilder aus einem anderen Spiel gezeigt? Oder ist das etwa schon geschehen?

It’s showtime!

Es ist zu hoffen, dass, wenn relevante, positive Szenen eines friedlichen Protests geschehen, wir Zuschauer diese auch sehen. Die UEFA hat daran festgehalten, in einem Land, das durch fragwürdige innenpolitische Vorgänge in der Kritik steht, die Europameisterschaft durchzuführen. Dann müssen Platini & Co. auch die Krot fressen, das geht nicht anders. Die Menschen werden es sich nicht gefallen lassen und von der Vorgauklung von Witz statt Langeweile ist es nun mal kein großer Schritt zu Fakebildern statt politischer Message. Wir erfahren es, sekundenschnell auf Twitter, Facebook und Co.!

Georg Sander, abseits.at

Georg Sander

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