Herr S. gibt nicht auf – Ein Vater kämpft gegen den Niederösterreichischen Fußballverband
Gesellschaft & Ethik 5.Dezember.2019 Marie Samstag
„Kennen Sie Homare Sawa?“, wird mich mein Gesprächspartner am Ende unserer Unterhaltung fragen, während er sich seine Jacke anzieht: „Ich kenne Männer, die haben sich nur ihre Spiele angeschaut.“ Nein, ich kenne Homare Sawa nicht. Fast eine Stunde lang habe ich zu diesem Zeitpunkt schon mit Thomas Stölner über seine Tochter Susanne, Frauenfußball und die österreichische Sportförderung gesprochen. Zuletzt kam die Sprache auf weibliche Fußballstars. Homare Sawa, Japans Rekordnationalspielerin und Weltmeisterin von 2011, kickte – wie ich später recherchieren werde – bereit als Zwölfjährige in der japanischen Frauenliga. Das korreliert mit dem Ausgangspunkt unseres Gespräches: Seit eineinhalb Jahren kämpft Thomas Stölner dafür, dass seine sechzehnjährige Tochter weiterhin in einer gemischten Mannschaft Fußballspielen darf und nicht in ein Erwachsenenteam wechseln muss. Mittlerweile hat er mit vielen Journalisten gesprochen und führte sogar das Fernsehteam eines Privatsenders über den Platz des Casino Baden AC. Bisweilen erfolglos. Doch Thomas Stölner will nicht aufgeben.
Mixed Zone
Die Fußballerinnenbiografie seiner Tochter beginnt, als diese im Alter von sieben Jahren unter ihrem Vater zu kicken beginnt. „Sie will unbedingt in die Bundesliga.“, verrät Thomas Stölner stolz. Er, der einst in der Bayernliga spielte und über eine UEFA-B-Lizenz verfügt, fördert seine Tochter mit Erfolg: Bis zur U15 spielt sie auf der Zehn, ist Leistungsträgerin. Doch dann ist Schluss mit dem Kicken bei Casino Baden, denn der Niederösterreichische Fußballverband (NÖFV) erlaubt ab der U16 keine gemischten Mannschaften mehr. Laut ÖFB-Statuten konnten die Landesverbände zwar einen opt‑in‑Beschluss fassen und Mädchen auch in Knabenteams von der U15 bis zur U19 zum Einsatz kommen lassen, der NÖFV hat dies aber nicht getan. Als die Stölners erfahren, dass Susanne von nun an mit erwachsenen Frauen zusammenspielen muss, sind sie wie vor den Kopf gestoßen. Sie haben nur drei Tage Zeit um einen neuen Verein zu finden. Diese Ungerechtigkeit stößt Thomas Stölner sauer auf, er beginnt nachzuforschen.
Damals ahnt er noch nicht, welche Widrigkeiten sich ihm in den Weg stellen werden: Der Kampf mit dem NÖFV entpuppt sich als ideologisches Duell. Dabei will Stölner doch nur die sportliche Förderung seiner Tochter sicherstellen und fragt sich, warum Mädchen ab einem gewissen Zeitpunkt die Wahlfreiheit genommen wird. Er kontaktiert zunächst die Antidiskriminierungsstelle Niederösterreichs, die den Verband formell fragt, warum Mädchen und Burschen nur bis zur U15 zusammenspielen dürfen. In der Stellungnahme des NÖFV heißt es, ein flächendeckender Betrieb für Frauen- und Mädchenfußball sei in allen fünf Leistungsstufen für ganz Niederösterreich bereits gewährleistet und durch einen Unterbau von Kindermannschaften, die Erwachsenenteams später „füttern“, gesichert, sodass kein Bedarf an gemischten Fußballteams ab der U16 bestehe. Weiters argumentiert der Verband, dass Mädchen, „die mit athletisch und körperlich bereits fortgeschrittenen Burschen nicht mehr Schritt halten können“, einem erhöhten Verletzungsrisiko ausgesetzt seien. Aus statistischen Erhebungen wisse man, dass Mädchen in den Altersstufen U15 bis U19 kaum Einsatzzeiten bekämen bzw. erst dann aufs Feld dürfen, wenn der Kader dünn oder das Spiel bereits entschieden sei. Aus diesen Gründen sei der Verband nicht gewillt sein Modell zu überdenken.
Thomas Stölner ist anderer Meinung und antwortet in einem ellenlangen Brief. Doch der Verband reagiert nicht, für ihn ist die Sache gegessen. Auch eine Sonderspielgenehmigung für Susanne ist undenkbar. Stölner ist jedoch überzeugt, dass die Argumente des Verbandes widerlegbar sind. Er stößt sich vor allem an dem, was ihm zwischen Tür und Angel inoffiziell mitgeteilt wird. Nach dem Intermezzo mit der Schlichtungsstelle, wird er noch einmal bei NÖFV-Geschäftsführer Zechmeister vorstellig und verlässt konsterniert dessen Büro: „Da war ich sprachlos. Es wurde – außerhalb dieses Schreibens – niemals sachlich argumentiert.“ Er wirft dem Verband vor, sich nie die Mühe gemacht zu haben, zum Beispiel nach Tribuswinkel zu kommen: Dort spielen drei Mädchen erfolgreich Fußball. Der Tribuswinkler Jugendleiter Manfred Weiß, dessen Tochter eine dieser drei ist, bestärkt Stölner in seinem Wirken. Der fragt laut, warum der NÖFV kein System schafft, wie es in Deutschland oder der Schweiz praktiziert wird.
Die Welt von gestern
Es ist nicht das erste Mal, dass Susanne in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird: Vor zwei Jahren überlegt die Familie, die in Pfaffstätten lebt, Susanne in die Akademie der Südstadt zu schicken. Sie ist begeistert, die Trainer wollen sie, doch die Sache hat einen Haken: Es gibt keinen freien Platz im hiesigen Gymnasium mehr. Damit ist das Thema vom Tisch. Susanne besucht heute ein Fußballgymnasium in Bad Vöslau. Ist das nur Pech oder einer klaren Hierarchie geschuldet? In Mödling lag die Priorität auf den männlichen Kickern, dann kamen die Leichtathleten. Fußballerinnen mussten nehmen, was übrigbleibt.
Für Thomas Stölner ist das kein Zufall. In Niederösterreich, dem Bundesland, das seit 1945 schwarz dominiert ist, wo man starke Männer schätzt, seien die ideologischen Scheuklappen besonders groß, findet er. Frauenfußball sei hier mehr als zweitrangig. Dazu geselle sich eine – aus seiner Sicht – fehlgesteuerte – weil ausschließlich trichterförmige – Sportförderung: Die Förderung der Spitze laufe zwar gut, doch vergesse man ab einem gewissen Punkt vollständig auf den Breitensport und verliere so Spätentwickler. Deutschland dagegen, das – laut Eigenaussage – „in Bezug auf die Dichte der Vereine und Frauenmannschaften ein Vorbild“ für den NÖFV ist, bietet auch für höhere Jahrgänge Leistungszentren an. In Österreich fällt ein Fußballer, der in einem gewissen Alter den Sprung ins LAZ nicht schafft, durch den Rost, denn diese Spieler haben kaum qualitative Trainingsmöglichkeiten und können die Lücke nach oben so nicht mehr schließen.
Thomas Stölner ist überzeugt, dass der Niederösterreichische Verband falsch liege, wenn er das Ende der „fußballerischen Koedukation“ ab der U15 als notwendig erachtet, um gute Frauenmannschaften zu generieren. Im Ausland gebe es Bestrebungen vieler europäischer Länder wieder U21-Bewerbe für Frauen einzuführen, um diese besser auszubilden: „Die Schweiz wirbt damit, dass Mädchen am besten gefördert werden, wenn sie so lange wie möglich mit den Burschen mitkicken.“ Bei unseren westlichen Nachbarn dürfen gemischte Mannschaften bis zur U21 bestehen. Für Stölner steht fest, dass Mädchen die Chance auf eine sportliche Ausbildung genommen werde, da im Erwachsenenfußball anders trainiert werde. Man würde ja auch keinen Burschen zwingen bei den Herren mitzuspielen, meint er. So etwas mache nur Sinn, wenn jemand frühentwickelt oder hochtalentiert sei.
Der gebürtige Deutsche glaubt nicht daran, dass Mädchen ihre Fußballschuhe an den Nagel hängen, weil sie nicht mehr genügend Einsatzzeiten bekämen. Ab einem gewissen Alter gäbe es für Niederösterreicherinnen eben nur die Möglichkeit mit Erwachsenen zu spielen oder aufzuhören. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, denen – nach oben – alles offensteht. Es sei nicht die Aufgabe von Mädchen „irgendwelche“ Frauenmannschaften aufzufüllen, echauffiert sich Stölner. Zumal dies auch sinnlos sei: „Kein Mädel kann in einer guten Erwachsenenmannschaft reüssieren.“ Eine 17-jährige würde also entweder gar nicht spielen, weil sie (noch) zu schlecht sei, oder in einer Wald-und-Wiesen-Hobbytruppe vorne weggehen. In beiden Fällen blieben Rohdiamanten ungeschliffen.
„Es ist Quatsch, dass ein Mädchen in einer U17 nicht mehr mithalten kann.“
Susanne Stölner saß nach ihrem „erzwungenen“ Wechsel zu Traiskirchen meist auf der Bank. Bei ihrer alten Mannschaft hätte sie – im Gegensatz zur Argumentation des Verbandes – gespielt. Nach einem Jahr verließ sie den Verein wieder und heuerte bei der Frauenmannschaft von Altenmarkt an. Dort fühlt sie sich wohl, doch für ihren Vater war das kein Grund aufzugeben.
Es bleibt jedoch ein Kampf gegen Windmühlen, den Thomas Stölner führt. Der Deutsche mutierte nolens volens zum Don Quijote des Mädchenfußballs, zum Anwalt einiger junger Frauen, die mit dem Kicken aus bürokratischen Gründen aufhören mussten. Klar, viele sind sie nicht. Einige Betroffene schrieben dem Verband und hofften vergebens auf dessen Hilfe. Sie wurden mit Rechtfertigungen, die aus den Winkeln reaktionärer Weltbilder hervorgezogen werden, abgespeist. Stölner schüttelt den Kopf. Er ist überzeugt, es herrsche im Verband vordergründig die Meinung, man könne es Burschen nicht zumuten mit Mädchen zu spielen. So hätten ihm tonangebende Herren erklärt, dass sie den Jungs doch nicht verständlich machen könnten, wie man ein Mädchen am Platz attackieren soll. „Ja, wie sollen sie hingehen?! Auf den Ball halt.“ Aus diesem sexistischen Kielwasser werde auch die Vermutung gefischt, dass es für Frauen viel schmerzhafter sei vom Ball in gewissen körperlichen Zonen getroffen zu werden. Meine Herren! Die Behauptung, es bestehe ein erhöhtes Verletzungsrisiko will Stölner ebenfalls ad absurdum führen. Er meint, der NÖFV habe dies in seiner Aussendung überhaupt nicht belegen können: „Der Verband stellt es so dar, als würden die Mädels reihenweise vom Platz getragen werden. Frauenfußball ist in Deutschland die zweitgrößte Sportart, das wäre er sicher nicht, wenn sich ständig nur alle verletzen würden.“ Mit Frauenfußball verdiene man kein Geld, der Stellenwert sei niedrig. Auch aus diesem Grund, denkt Thomas Stölner, klopfe er ständig an verschlossene Türen. Er ist enttäuscht, dass sich der Verband so wenig kooperativ zeige, obwohl er darauf hingewiesen habe, dass seine Tochter nicht die einzig Leidtragende sei. Er sei sogar beschimpft worden.
Wenn man Thomas Stölner fragt, ob Susanne jeweils im täglichen Spielbetrieb negative Vorfälle erlebt hat, muss er lange nachdenken. Dann fällt ihm nur eine Anekdote aus der Kindheit seiner Tochter ein: Ein vorlauter Bub konfrontierte die damals Zwölfjährige mit dem altbekannten Mädchen-können-nicht-Fußball-spielen-Sager. Susanne überzeugte den Gleichaltrigen postwendend am Platz. „In meiner Mannschaft sind viele Muslime. Für die war das kein Thema.“, erzählt Stölner, der neun Jahre lang Susannes Trainer war. Sie ging immer sachlich damit um, oft das einzige Mädchen zu sein. Als sie älter wurde, ging sie zum Beispiel zum Umziehen ins Schiedsrichterkammerl. Auf die Idee sich zu beschweren kam sie jedenfalls nie.
Mittlerweile ist Thomas Stölners Einsatz für gemischte Teams post-U15 zu einer Frage der Ehre geworden. Er weiß, dass er seiner Tochter nicht mehr helfen kann. Für sie ist es zu spät. Doch wenigstens klappte der Umstieg zu ihrem neuen Verein gut und sie spielt regelmäßig. Trotzdem schloss Stölner zunächst nicht aus, die Sache an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte heranzutragen, aber „die Sache kostet mindestens 4.000 Euro und dauert vier, fünf Jahre lang.“ Im Zuge seines Engagements erfuhr er von einer Spielerin, die nicht so viel Glück wie seine Susanne hatte: „Ein Mädchen aus Sulz am Wienerwald musste einfach aufhören.“ Die nächste Erwachsenenmannschaft sei zu weit weg, ein Führerschein noch nicht vorhanden gewesen. Wehmütig habe ihm Chiara erzählt, dass sie ihr altes Trikot und die Fußballschuhe nach wie vor im Kasten aufbewahre. Mittlerweile hat sie maturiert und spielt Feldhockey.
Es ist bereits dunkel, als sich Thomas Stölner mit Chiaras Geschichte verabschiedet. Er will noch etwas Wirbel machen: Frauenbeauftragte, UEFA oder FIFA. Dann kann er wirklich sagen, dass er alles versucht hat. Auf meine Nachfrage erklärt er, dass es zwar etwas youtube-Videomaterial von Homare Sawa gebe, ihre Genialität dort aber bei weitem nicht zur Geltung kommt. Er zuckt mit den Achseln. Am Ende geht es also auch hier um Wertschätzung. Selbst bei einem Weltstar.
Marie Samstag
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