Ein gängiges Sprichwort attestiert Menschen, die Fehler begangen haben, gemeinhin eine zweite Chance. Die deutsch-türkischen Profis Guido Koçer (23) vom FC Erzgebirge Aue und... Koçer und Koç: Zwei deutsche Kicker suchen die zweite Chance, nachdem sie Mitglieder der „Machetenbande“ waren

Ein gängiges Sprichwort attestiert Menschen, die Fehler begangen haben, gemeinhin eine zweite Chance. Die deutsch-türkischen Profis Guido Koçer (23) vom FC Erzgebirge Aue und Süleyman Koç (22) vom FC Babelsberg 03 führten Verfehlungen im Dezember 2011 vor das Strafgericht. Nun kämpfen beide um ihre Karriere.

Den Anfang nimmt diese Geschichte im Berliner Stadtteil Moabit. Wird „Berlin Moabit“ in das Google-Suchfeld eingegeben, ist der zweite Link jener zur örtlichen Jugendvollzugsanstalt (JVA), die ersten drei angezeigten Newsbeiträge beschäftigen sich mit bewaffneten Überfällen und Brandstiftung. Im Stadtteil leben 13.000 Menschen, 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben Migrationshintergrund. Der Berliner Tagesspiegel bezeichnete das ehemalige Industrieviertel als „eine Art soziales Katastrophengebiet“. In den 80ern lernten sich an der Turmstraße Bela B. Und Farin Urlaub kennen, heute ist die Tuberkulose auf dem Vormarsch. Das „Moarjebiet“ (Moorgebiet), von dem sich der Name ableitet, war immer abseits und doch so nah dran. Heute befinden sich Parlament und Bundeskanzleramt in der Nähe, Moabit ist aber weiterhin ein sozialer Brennpunkt.

Die alte Leier – falsche Freunde

In dieser Umgebung wuchs Süleyman Koç auf. Er begann seine Karriere bei Tennis Borussia Berlin, ging später kurz zu Berlin Ankaraspor 07 und dann zu Türkiyemspor Berlin. Dort mauserte er sich zum Stammspieler. Babelsberg 03, der politisch linke Klub aus Potsdam, wurde auf ihn aufmerksam und verpflichtete ihn im Juli 2010. 26 Spiele absolvierte er für die „Nulldreier“, der Mittelfeldspieler erzielte zwei Tore und bereitete zwei weitere vor. In Babelsberg traf er auf  Koçer, der später von Erzgebirge Aue verpflichtet wurde. Der Stürmer hatte in seiner zweiten Saison sechs Tore erzielt und damit maßgeblichen Anteil am Verbleib in Liga drei. Im April 2011 klickten bei beiden die Handschellen – wegen „gemeinschaftlichen bandenmäßigen Raubes mit Waffen“ (Koçer) bzw. „besonders schweren Raubes“ (Koç) in Berliner Automatencasinos und Cafés. Es waren die falschen Freunde aus dem Problembezirk, die zunächst den Mittelfeldspieler und dann den Stürmer auf die schiefe Bahn brachten. Koç  agierte für seine „Freunde“ als Fahrer, hatte mit der Körperverletzung der „Machetenbande“ nichts zu tun, Koçer wurde zum Verhängnis, ein Automatencasino ausgekundschaftet zu haben und das OK zum Überfall gegeben zu haben.

Zweite Chance verdient?

Diese Frage muss gestellt werden. FC-Erzgebirge-Aue-Teammanager Günther Boroczinski fand folgende Worte: „Die Tat ist nicht zu entschuldigen. Es ist ein sehr sachliches Urteil und für Guido eine zweite Chance. Dabei werden wir ihm als Verein helfen.“ Beim FC Babelsberg stößt man ins selbe Horn. „Wenn er seine Taten ehrlich bereut, hat er eine zweite Chance verdient. Das entspricht auch den Prinzipien unseres Vereins“, so Thomas Bastian, Präsident des SV Babelsberg. Während  Koçer zahlen musste und auf Bewährung auf freiem Fuß bleibt, hofft  Koç, der zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde und auf die Rechtskräftigkeit des Urteils wartet, auf Freigang. Derzeit hält er sich bei Berlin Ankaraspor fit – wieder in Moabit. In Aue stehen die Zeichen auf Vergebung, in Potsdam sind nicht alle überzeugt, den Rechtsfuß wieder ins Team zu integrieren. Immerhin war er am vergangenen Wochenende das erste Mal wieder im Stadion.

Fußball Faktor der Resozialisierung

„Anstoß in ein neues Leben“ heißt ein Projekt der Sepp-Herberger-Stiftung in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin. Die Stiftung wird zu einem Großteil aus den Strafen, die gegen Bundesliga-Klubs verhängt werden, finanziert. Straffällig gewordene Jugendliche sollen über den Fußball wieder in die Gesellschaft eingebunden werden. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Fußballverband (BFV) wird ein wöchentliches Training in den JVA veranstaltet, die Burschen können die Trainer- und Schiedsrichterausbildung machen, werden bei der Kontaktaufnahme mit Fußballvereinen unterstützt. Janina Deininger, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Anstalt, stellt klar: „Wenn man sie über ihre Freizeitinteressen erreicht, dann hat man auch den Schlüssel, um ihnen soziale Kompetenzen nahezubringen.“ Über den Erfolg des Projektes, welches in NRW bereits evaluiert wurde, gibt es allerdings keine Zahlen. Diese wären zu sensibel, die Initiative zeige „gute Ergebnisse“.

Aber auch bei Profis…

Inwieweit die Annahme der Resozialisierung auch für Profis gilt, bleibt mehr oder weniger dahingestellt. Es gelten bei Jugendlichen aus Problembezirken sicherlich andere Maßstäbe, als bei Profifußballern. Daniel Royer und Mark Prettenthaler sind aktuelle österreichische Beispiele für Profis, die straffällig wurden. Beide wurden verurteilt, der Eine für falsche Beweisaussage, Begünstigung und Verleumdung, der Andere wegen schwerer Körperverletzung. Royer musste 180.000 Euro zahlen, Ried setzte Prettenthaler vor die Tür, derzeit kickt er beim Kapfenberger SV. Im Endeffekt entscheidet wohl der bisherige oder nächste Verein, ob mit dem Spieler zusammengearbeitet werden kann. Im europäischen Rechtsverständnis folgt auf einen Rechtsbruch eine Strafe, welche verbüßt werden muss. Danach soll sich der straffällig Gewordene wieder in die Gesellschaft eingliedern. Das muss auch bei Fußballern gelten.

Letztlich ist die Rechtslage im echten Leben wie im Fußball: Wer das Gesetz bricht, wird bestraft. Aber genauso wie ein Spieler nach einer Rotsperre wieder kicken darf, soll dies auch für Guido  Koçer und Süleyman Koç gelten.

Georg Sander, abseits.at

Georg Sander

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