Es ist keine vier Wochen her, dass der Hertha-Spieler Jordan Torunarigha im DFB-Pokal auf Schalke dauerhaft rassistisch beleidigt wurde, bis er auf dem Platz... Kommentar: Hopp, das liebe Geld und widerliche Doppelmoral

Es ist keine vier Wochen her, dass der Hertha-Spieler Jordan Torunarigha im DFB-Pokal auf Schalke dauerhaft rassistisch beleidigt wurde, bis er auf dem Platz in Tränen ausbrach und sich zu einer Frustaktion hinreißen ließ, die ihm Gelb-Rot einbrachte. Geschützt wurde der Spieler dabei nicht. Anders als es offenbar bei einflussreichen Milliardären der Fall ist.

Zeitsprung zum vergangenen Wochenende. Dietmar Hopp, seines Zeichens umstrittener Hoffenheim-Mäzen, wird von den Fans des FC Bayern München via Transparent beleidigt. Die „Hurensohn“-Plakate waren für den Schiedsrichter – und im weiteren Sinne für den DFB – Grund genug, das Spiel zweimal zu unterbrechen und sogar mit dem endgültigen Abbruch zu drohen. Diese Posse wiederholte sich je einmal beim Spiel zwischen Union Berlin und dem VfL Wolfsburg und später auch zwei Etagen tiefer bei Meppen gegen Duisburg. Protestaktionen gibt es aber praktisch flächendeckend, die Ultrá-Bewegung solidarisiert sich und hat ein starkes, gemeinsames, lange schwelendes, aber nun deutlich vor den Vorhang gezerrtes Thema.

Für 50+1-Regel, gegen Kollektivstrafen

Worum geht es den Fans? In erster Linie fordert man das Aus für Kollektivstrafen und die strikte Einhaltung der 50+1-Regel oder sämtlichen davon abgeleiteten Ablegern. Diese Regel besagt, dass es Kapitalanlegern verboten ist, die Stimmenmehrheit in Kapitalgesellschaften zu übernehmen, in die Fußballvereine ihre Profimannschaften ausgegliedert haben. In Deutschland wird diese Regel von RB Leipzig und der TSG 1899 Hoffenheim zumindest „gebogen“. Hopps Hoffenheimer profitieren hier sogar von einer Sondergenehmigung. Die Fans von Borussia Dortmund wurden zudem wegen eines ähnlichen Banners bis 2022 von Auswärtsspielen in Sinsheim ausgeschlossen, was der Stein des Anstoßes war. Dies ist allerdings bei weitem nicht die einzige Kontroverse rund um Dietmar Hopp…

Doppelmoral vom Allergrausigsten

…jenen netten, gönnerhaften Mann, der von den Bayern-Fans übel beschimpft wurde und um den es nun eine große Solidarisierungskampagne durch den DFB und sogar dem Gegner aus Bayern gibt, der sich vor einigen Jahren in personam Uli Hoeneß noch über die TSG lustig machte. Betrachtet man die seltsam anmutenden Szenen, in denen Rummenigge und Co. Hopp demonstrativ an der Hand nehmen, umarmen, trösten, muss man sich schon fragen, wie weit die Doppelmoral im Geld gesteuerten Fußball-Business bereits vorangeschritten ist. Das Ball-Hin-und-Hergeschiebe von Hoffenheim und den Bayern erinnerte eher an eine Situation nach einem schrecklichen Ereignis, wie etwa einem Todesfall. Diese Charade wurde aber ausgeführt, weil ein privilegierter, von Verbänden und Politik hofierter Milliardär „diskriminiert“ wurde (geht denn das überhaupt?) und daraufhin vor eigenem Publikum einen traurigen Hundeblick aufsetzte.

Die ganze Charade nur wegen dem lieben Geld

Hopp ist in Hoffenheim natürlich beliebt, ermöglichte er doch große Dinge für den kleinen Klub und förderte Regionalität, was natürlich gut ankommt. Dass er bei jedem falschen Wort gegen ihn oder seine Projekte beleidigt Sanktionen fordert, ist den Fans in Sinsheim natürlich egal. Mit „Dietmar Hopp“-Sprechchören wurde der Vereinsmäzen während des peinlichen Ballgeschiebes seiner Mannschaft mit den 6:0 in Führung liegenden Bayern und des nicht minder seltsamen Liebesanfalls Rummenigges gefeiert. Ob denn viele der applaudierenden Zuschauer wussten, dass Hopps Unternehmen SAP neben Hoffenheim auch – Überraschung! – den DFB und den FC Bayern München sponsert? Ging es da vielleicht doch wiedermal darum, dass man das Geld nicht beleidigen wollte?

Stilfrage ja, aber sprechen wir doch bitte woanders über Diskriminierung

Über Stil und die Art und Weise, wie die Fans ihren Unmut gegenüber Hopp kundtaten, kann man natürlich immer diskutieren. Aber wir sprechen hier nicht über Diskriminierung. Diskriminiert wird jemand, der aufgrund seiner Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung oder wegen seines Geschlechts oder seines sozialen Standes benachteiligt wird und deshalb keinen Job bekommt, weniger verdient, vielleicht sogar physisch bedroht wird. Diskriminiert wird sicher kein Milliardär, dem im Leben alle Türen offenstehen und der von aus guten Gründen idealistischen Fans einer Sportart, die seit jeher dem „kleinen Mann“ und der „kleinen Frau“ gehörte – und trotz Zeiten vierstelliger Jahreskartenpreise auch irgendwie weiter gehören sollte – in einer etwas deftigeren Sprache unserer Zeit beleidigt wurde. Nochmal: Über Stil kann man streiten, aber dies ist schlichtweg kein Grund für Spielunterbrechungen, geschweige denn Abbrüche und schon gar nicht für Kurven- oder Stadionverbote, womöglich sogar Geisterspiele!

Die Gründe und die Dramaturgie rund um die Spielunterbrechungen in Hoffenheim und anderorts sind schlichtweg widerliche, aus Geldgeilheit geborene Auswüchse, die ein Verband wie der DFB gar nicht erst zu erklären versuchen soll, wenn man gleichzeitig zu feig ist, um wichtige, gesellschaftspolitische Probleme wie Rassismus, Homophobie oder Sexismus zumindest in selbem Maße zu behandeln.

Klar ist aber auch, dass mit der Situation in Hoffenheim ein Präzedenzfall geschaffen wurde und, dass sich deutsche und internationale Kurven in dieser Thematik weiter und vermutlich noch expressiver solidarisieren werden. Wie der DFB oder andere Verbände damit umgehen wollen, wird sich erst zeigen, denn zöge man die harte Linie durch, dürfte man sich in den nächsten Wochen und Monaten auf sehr viele Spielunterbrechungen und sicher auch den einen oder anderen Abbruch und Geisterspiele gefasst machen. Und falls dem so ist, wird sich jeder Entscheider noch sehr häufig anhören dürfen, dass die von FIFA und UEFA vorgelebte Doppelmoral nicht im Einklang mit den Werten des überwältigenden Gros der Konsumenten steht – und das sind nun mal einfache Leute wie du und ich. Falls dieser Konflikt dazu führt, dass aktive Fanszenen künftig massiv in ihren Rechten beschnitten werden, haben die Herren im feinen Zwirn die Veramerikanisierung bzw. die Beachvolleyballisierung des Fußballs erfolgreich auf ein neues Level gehoben – aber der Fußball, wie wir ihn heute kennen, wäre dann kaputt. Man sollte also möglichst schnell wieder eine Vorbildwirkung einnehmen, in den wirklich wichtigen Themen unserer Gesellschaft klare Statements setzen und jeden „armen Milliardär“ gerne beleidigt zurücklassen, auch wenn das bedeutet, dass am nächsten Kontoauszug ein paar Netsch weniger aufscheinen…

(Kommentar von Daniel Mandl)

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen