Moderne Sklaverei: Wenn Arbeiter ihr Leben für den Fußball lassen müssen
Gesellschaft & Ethik 23.November.2013 Stefan Karger 0
Ende September veröffentlichte der britische Guardian einen Bericht, laut dem die Weltmeisterschaft 2022 in Katar insgesamt 4000 Bauarbeitern das Leben kosten wird. Wenn keine gravierenden Verbesserungen der Arbeitsbedingungen geschaffen werden, dann sterben im Schnitt jede Woche zwölf Immigranten für den Bau neuer Stadien und die Infrastruktur rundherum. Nun veröffentlichte auch Amnesty International einen Bericht, der detailliert auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen eingeht.
Journalist E. Benjamin Skinner veröffentlichte im Jahr 2008 das vielbeachtete Buch „Menschenhandel: Sklaverei im 21. Jahrhundert“. Im Zuge der fünfjährigen Recherchearbeiten kam er zum Schluss, dass es heutzutage mit Sicherheit mehr Sklaven auf der Welt gibt, als jemals in der Geschichte der Menschheit zuvor. Als Sklaven definiert Skinner „Menschen, die durch Täuschung und Androhung von Gewalt zur Arbeit gezwungen werden und nur das erhalten, was sie zum Überleben benötigen.“
Diese Definition passt leider perfekt auf die Gastarbeiter in Katar, die mit falschen Versprechen ins Emirat gelockt wurden und dort ausgebeutet werden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International präsentierte vor einigen Tagen einen Bericht, der nun selbst die FIFA unter Druck zu setzen scheint. Nachdem Blatter in der Vergangenheit versicherte, dass sich die Arbeitsbedingungen der Immigranten in Katar stetig verbessern würden, übt er nun recht scharfe Kritik am zukünftigen Gastgeberland, schließt aber nach wie vor eine Verlegung des Turniers aus.
Der Umfang der Bauprojekte
Katars Bevölkerung steigt stetig an, da die umfangreichen Bauprojekte für die Weltmeisterschaft 2022 nicht einmal annähernd von der eigenen Bevölkerung realisiert werden können. Alleine zwischen August 2012 und August 2013 stieg die Einwohneranzahl deshalb um 10,5%, was bedeutet, dass pro Stunde etwa 20 neue Gastarbeiter einreisen. Momentan arbeiten 1,38 Millionen Billigarbeitskräfte im Emirat, die 94 Prozent der gesamten Arbeitskräfte ausmachen. Um die Bauprojekte rechtzeitig abschließen zu können, brauchen die Bauunternehmen bis 2022 eine weitere Million Gastarbeiter, die nicht nur Stadien, sondern unter anderem auch neue Hotels, Flughäfen und Straßen errichten sollen.
Falsche Versprechen
Diese Arbeiter stammen vorwiegend aus Indien, Sri Lanka, Bangladesch, Nepal, Pakistan, Sri Lanka und den Philippinen. Bei der Rekrutierung werden ihnen falsche Arbeitsbedingungen versprochen. Einerseits werden sie oft für andere Tätigkeiten eingesetzt, andererseits bekommen sie niedrigere, beziehungsweise gar keine Löhne ausgezahlt. Jeder Arbeiter in Katar benötigt einen sogenannten “Sponsor“, der im Falle des Gastarbeiters meist ein großes Unternehmen ist, um ein Visum für die Einreise zu erhalten. Der Arbeiter ist an diesen Sponsor gebunden und darf nicht das Unternehmen wechseln. Sollte er die Arbeit auflösen und das Land verlassen (können), dann muss er zwei Jahre lang warten, bis ihn ein anderer Sponsor unter Vertrag nehmen kann. In den meisten Fällen behält der Sponsor den Reisepass und sämtliche Dokumente ein, sodass der Arbeiter ohne seine Zustimmung das Land nicht verlassen kann. Sollte er bei einem anderen Sponsor anheuern, oder das Unternehmen aus anderen Gründen verlassen wollen, dann meldet ihn der Sponsor beim Innenministerium als flüchtig, worauf der Gastarbeiter von den örtlichen Behörden gesucht und festgenommen wird. Die Folgen sind hohe Strafzahlungen, die sich die meisten Immigranten nicht leisten können, auch weil zahlreiche Arbeiter oft monatelang für ihre Tätigkeit nicht bezahlt werden.
Im Land gefangen
Das Sponsorship-Gesetz besagt, dass Arbeiter, die das Land verlassen wollen, eine Ausreiseerlaubnis ihres Sponsors benötigen. Dieses Gesetz, das auch in Saudi Arabien geltend ist, gibt den Sponsoren unverhältnismäßig viel Macht über ihre Angestellten. Während die Politiker Katars beschwichtigen, dass es sich hierbei nur um eine formale Angelegenheit handelt, sieht die Realität leider anders aus. Dazu kommt, dass viele Unternehmen die Aufenthaltserlaubnis ihrer Arbeiter mutwillig nicht verlängern, sodass die Immigranten ohne gültige Papiere dastehen und täglich Angst haben, von Behörden festgenommen zu werden. In diesem Fall müssen die Arbeiter sehr hohe Strafen zahlen, bevor sie in ihr Heimatland ausreisen dürfen, die sich der überwiegende Teil der Arbeiter nicht einmal annähernd leisten kann. Auf diese Weise werden die Immigranten weiter unter Druck gesetzt und verlieren auch das Recht auf medizinische Behandlung. Das Sponsorship-Gesetz ist zweifelsohne mit Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht vereinbar, der besagt:
- Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates.
- Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren.
Die Arbeiter haben prinzipiell das Recht sich an den Arbeitsgerichtshof zu wenden, müssen jedoch im Schnitt etwa 165 Dollar Gebühr für den Beschwerdeantrag zahlen. Auch wenn das Geld im Falle eines Erfolgs zurückerstattet wird, stellt diese Gebühr für die meisten Auslandsarbeiter eine unüberwindbare Hürde dar. Nach dem Einreichen des Antrags, dauert es zwei bis vier Monate, bis die erste Verhandlung angesetzt wird – kurzfristige Hilfe darf man sich als Antragssteller also nicht erhoffen. Amnesty International schätzt, dass die Verfahren im Schnitt sechs bis zwölf Monate dauern. Dazu kommt, dass die Sponsoren den Arbeitern regelmäßig drohen, sie würden sie aus der Unterkunft werfen und strafrechtliche Vorwürfe gegen sie erfinden. Aufgrund dieser Einschüchterungen nutzen nur wenige Arbeiter den Rechtsweg aus.
Vorschläge und Zukunftsaussichten
Am Ende des Amnesty-Reports finden sich zahlreiche Vorschläge, um die Arbeitsbedingungen in Katar zu verbessern und zumindest internationale Mindeststandards erfüllen zu können. In erster Linie muss das Sponsorship-System aufgegeben und den Arbeitern zugestanden werden, jederzeit das Land verlassen zu dürfen. Es finden sich noch zahlreiche weitere Punkte auf der Liste, von einer besseren Regelung der Arbeitszeiten angefangen, bis zu der Erlaubnis Gewerkschaften gründen zu dürfen, die die Gastarbeiter vertreten. Auch die FIFA wird adressiert, denn da die Weltmeisterschaft im internationalen Blickpunkt steht, hätte der Weltfußballverband die Möglichkeit hohen Druck auszuüben und eng mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Regelmäßige und lückenlose Kontrollen der Arbeitsbedingungen wären notwendig, um die Zahl der Todesopfer zu reduzieren und die Sklavenarbeit zu beenden.
Bis es soweit ist werden weiterhin jede Woche im Schnitt zwölf Arbeiter ihr Leben lassen müssen, wobei die Tendenz steigend ist, da immer mehr Arbeitskräfte ins Land gebracht werden. Die, die überleben, stehen oft ohne Geld und Reisepässe da, während sie in brütender Hitze ohne effektiv geregelte Arbeitszeiten bei 45 Grad die Infrastruktur für die Weltmeisterschaft erschaffen. Aufgrund der Vergabe der Weltmeisterschaft an ein Land, das die fundamentalsten Menschenrechte mit Füßen tritt, hat auch die FIFA Blut an ihren Händen kleben.
Stefan Karger, www.abseits.at
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Stefan Karger
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