Staatstragende Politik und Fußball vertragen sich nicht – oder doch?
Gesellschaft & Ethik 9.Mai.2012 Georg Sander 0
Unter den Regierungsmitgliedern Europas herrscht hellste Aufregung: Aufgrund der andauernden Inhaftierung der ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko verkünden europäische Spitzenpolitiker, die Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine teilweise zu boykottieren.
Eine Unterscheidung zwischen Politik und Politik ist Eingangs wichtig. Während sich viele (vor allem Ultrà-orientierte Fangruppen) gegen Politik im Stadion aussprechen, so unterlaufen diesen dennoch politische Statements. Die Bewegung „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ oder das Aufhängen eines Transparentes gegen Homophobie sind definitiv politische Aussagen. In diese Kategorie fallen auch Proteste gegen hohe Ticketpreise, gegen Anstoßzeiten oder das Schwenken einer Che-Guevara-Fahne. Natürlich ist das keine Parteipolitik im Sinne vom Werben mit Slogans oder Konterfeis eines Politikers – diese gibt es allerdings auch, man denke nur an Ümit Korkmaz‘ Aussagen im Zuge eines SPÖ-Wahlkampfes. Die Mär von der unpolitischen Kurve ist also eine solche. Eingriffe vonseiten der EU in den Fußball sind aber seit dem Bosman-Urteil 1995 bekannt. Gerade in der gegenwärtigen Zeit, in der Fußball ein Multimilliardenbusiness geworden ist, mischt sich aber die Hochpolitik immer öfter in den Kick auf das runde Leder ein.
Statements zum Boykott
Österreich stellte, obwohl sportlich nicht einmal vertreten, klar, dass kein Regierungsmitglied in einem ukrainischen EM-Stadion zu finden sein wird. „Es wird keinen österreichischen Regierungspolitiker geben, der an den Spielen teilnimmt“, wird Michael Spindelegger im Kurier zitiert. Die EU-Kommission, angeführt vom Fußball-Fan José Manuel Barroso, gab den Boykott ebenfalls in einer Aussendung bekannt: „EU-Kommissionspräsident Barroso hat nicht die Absicht, in die Ukraine zu reisen oder an den Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Euro 2012 teilzunehmen. Diese Haltung wird von allen EU-Kommissaren geteilt.“ Das ukrainische Außenministerium reagierte natürlich sehr negativ: „Eine erfolgreiche Meisterschaft wird ein Sieg für alle Ukrainer und Polen und nicht für Politiker, Parteien oder Ideologien.“ Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel empfahl ihren Regierungsmitgliedern, „unter besonderer Berücksichtigung des Falls Timoschenko“ zu entscheiden, ob Spiele besucht werden. Ministeriumssprecher Oleg Woloschin warf der deutschen Regierung, die die Orangene Revolution unterstützt hatte, wiederum „Methoden wie zu Zeiten des Kalten Kriegs“ vor. Michel Platini, der persönlich die Europameisterschaft gerne an Italien vergeben hätte, meldete sich auch zu Wort: „Als die EM 2007 vergeben wurde, war Julia Timoschenko gerade dabei, an die Regierungsspitze aufzusteigen.“
„Boykotte sinnlos“
Das internationale olympische Komitee (IOC) kennt sich mit Boykotten bestens aus. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979 gaben die USA Anfang 1980 bekannt, nicht an den Sommerspielen in Moskau in demselben Jahr teilzunehmen. Diesem Boykott schloss sich beispielsweise Deutschland an, Sportler anderer, westlicher Nationen, wie etwa Frankreich, traten nicht unter der Nationalflagge an. Sie trugen bei der Eröffnungsfeier Flaggen mit dem olympischen Logo. Vier Jahre später boykottierte dann der Ostblock die Sommerspiele in Los Angeles. „Boykotte haben sich in der Vergangenheit immer als ebenso sinn- wie erfolglos erwiesen. Alle Verantwortlichen haben das inzwischen erkannt“, sagte IOC-Vizepräsident Thomas Bach.
Unter anderen Umständen lief der Ausschluss des jugoslawischen Nationalteams zur Europameisterschaft 1992. ab. Die Komplexität der damaligen Verhältnisse spiegelte sich in den Spielerbiographien wider. So wurde dem Star Robert Prosinecki offen mit dem Tod gedroht, würde er für Jugoslawien spielen. Am 25. Juni 1991 hatten Kroatien und Slowenien ihre Unabhängigkeit von der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien erklärt. Der Balkankrieg verunmöglichte einen Antritt der Mannschaft, die sich vor Dänemark als Gruppenerster qualifiziert hatte.
Botschaft würde zwar zu UEFA passen, aber…
Diese richtige Nutzung von Großveranstaltungen deckt sich mit vielen Projekten der UEFA abseits des Fußballs. Friedenserziehung ist dabei ein gut unterstütztes Anliegen. Dennoch waren sich UEFA und FIFA nie zu schade, Großereignisse durchzupeitschen: 1964, EM in Franco-Spanien, 1976, EM im Tito-Jugoslawien, 1978, WM im Videla-Argentinien. Die Fußballverbände verfolgen eigene Interessen, auch wenn zugegebenermaßen 2007 diese Entwicklung nicht absehbar war. Die Spiele werden wie geplant stattfinden, egal, wer sagt, für die Ukraine in die Presche zu springen.
Richtige Nutzung des Fußballs?
Der Nichtantritt von Auswahlen hat in der Vergangenheit tatsächlich wenig bewirkt. Die Diskussion zur Verlegung der Europameisterschaften ist eher im Reich der Träumerei anzusiedeln – Wer würde wenige Wochen vor Start der Spiele diese übernehmen? Sport sollte seiner Verantwortung, völkerverbindend zu sein, nachkommen. Wolfgang Grenz, der Generalsekretär von Amnesty Deutschland, gab bei „Handelsblatt Online“ zu Protokoll, dass „Politiker und Sportfunktionäre, die in die Ukraine reisen, die Gelegenheit nutzen müssen, um auf die schweren Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und von der ukrainischen Regierung einen besseren Menschenrechtsschutz fordern.“ Margaretha Kopeinig, Europa-Expertin beim Kurier und als studierte Politikwissenschaftlerin eine Frau des Fachs, stieß in dasselbe Horn: „Sie sollten vor jedem Mikrofon und jeder Kamera Klartext reden, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz fordern. Das würde Menschen helfen und korrupte Politiker ins Abseits stellen.“ Darüber hinaus treffen die Absagen „nur die Sportler, die Fans und vor allem die Bürger der Ukraine, die sich nach Wertschätzung, Freiheit und Demokratie sehnen“ und damit die Falschen.
Letzten Endes müsste wohl weitaus mehr passieren, als eine – unter welchen Umständen auch immer – inhaftierte Oppositionspolitikerin, um eine EM zu verlegen. Die Frage ist, ob die Fußballfestspiele tatsächlich die richtige Bühne sind, um (Staats-)Politik zu betreiben.
Georg Sander, abseits.at
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Georg Sander
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