Süß, sauer, cremig oder fruchtig? – Männlichkeit im Fußball
Gesellschaft & Ethik 4.Februar.2014 Marie Samstag 1
Ein Mixgetränk kann süß, sauer, cremig oder fruchtig sein. Der Fußball ist aber keine Cocktailbar, im Ballsport herrscht immer noch eine klare Normenrichtlinie. Es gibt genaue Vorstellungen vom Spiel und von den Spielern selbst. Der ehemalige deutsche Fußballprofi Thomas Hitzlsperger hat die ungeschriebenen „Regeln“ gebrochen, als er sich als homosexuell outete. Die Reaktionen nach seinem Coming Out waren ebenso wenig breit gefächert wie der Fußball selbst. Richtige Wellen hat Hitzlspergers „Geständnis“ in der „Zeit“ nicht geschlagen. Vielmehr war es ein Sturm im Wasserglas, der kurzzeitig die gesamte Presse beherrschte, aber mehr als drei Wochen danach auch schon wieder verebbt ist. Medien, Fans und Experten ließen das üblich Breiige verlautbaren: „Uns doch egal mit wem der ins Bett geht. Wir sind eh alle gegen Diskriminierung.“
„Wurschtigkeit“ scheint aber nicht angebracht zu sein, wenn ein Eisbrecher wie „Hitz – The Hammer“ Hilfe und Unterstützung benötigt. Denn wenn es so normal ist, warum ist Hitzlsperger dann einer der ersten Ex (!)-Profis, die diesen Schritt gewagt haben? Markus Urban, ehemaliger Fußballprofi, bringt es auf den Punkt: „Aus etwas völlig Normalem, wird etwas Anrüchiges. Es ist eine Intimangelegenheit, aber es ist eben keine Privatsache, weil wir eben den ganzen Tag darüber sprechen, indem wir über unsere Partner und Partnerinnen sprechen.“
Die vielbeschriebene Toleranz, die in Westeuropa aber auch schon begrenzt ist, ist anderorts nicht einmal vorhanden. Wie in Katar. Oder in Russland. Liberale Ansätze wären auch bei einigen weltoffenen Europäern schnell verschwunden, wenn es die sexuelle Orientierung des eigenen Sohnes betreffen würde. Hitzlsperger berichtet von aktiven Spielern, die sich bei ihm per Brief bedankt haben und ihre schwierige Situation als schwule Sportler schilderten.
Doch was genau hält einen Profi davon ab seine Homosexualität offen zu leben? Warum gibt es gerade im Fußball keinen „offiziell“ schwulen Spieler? Basketballer, Rugby-Spieler, Schwimmer und sogar Boxer haben sich schon zu ihrer sexuellen Ausrichtung bekannt. Hält nur die Angst vor den Schmähgesängen der Fantribüne einen Aktiven davon ab sich zu outen? Organisierte schwule Fußballfans sehen das nicht so: „Natürlich kann man nicht garantieren, dass alle Fans positiv reagieren. Aber ich glaube die Masse wäre schon positiv bei so einem Outing.“, sagt Torsten Siebert von der Initiative „Fußballfans gegen Homophobie“. Auch Sven Kistner (Queerpass Bayern) attestiert den Fans mehr Toleranz „als man meint.“ Geht es um viel mehr als nur um das „Schwulsein“? Die Hitzlsperger’sche Flamme lodert zurzeit jedoch auf viel zu kleiner Stufe, als dass sich ein aktiver Profi dem Outing anschließen würde.
Fußball ist alles – auch schwul
Unter diesem Motto hat der deutsche Fußballbund beim Christopher-Street-Day in Köln 2008 erstmals einen Festwagen der „Queer Football Fanclubs“ gesponsert. Auch ein schwuler Fanclub der Hertha hängte im Berliner Olympiastadion ein gleichlautendes Transparent auf.
Obwohl die Gleichbehandlung der Menschen (endlich) immer weiter voranschreitet, ist das „System Fußball“ immer noch ein letztes Reservat breitgefächerter homophober, chauvinistischer und rassistischer Auswüchse. Amüsant da es sich eigentlich nur um ein simples Freizeitvergnügen handelt, in dem nur Eines wirklich von Bedeutung ist: Ball (rund) muss in Tor (eckig). Doch der Volkssport Nummer Eins hat eine dermaßen Massendynamik erreicht, dass sein gesellschaftlicher Wert bedeutend geworden ist.
Hitzlsperger selbst schätzt den Fußball als nicht besonders schwulenfeindlich ein: „Ich glaube nicht, dass sich die Kabine so arg unterscheidet vom Rest der Gesellschaft. Auch in Büros, egal in welchen Berufssparten sich die Leute befinden, gibt es Leute, die homophob sind.“
Ist der Fußball Brennglas der westlichen Welt? Oder vielfach die letzte Bastion geregelter Männlichkeit? Hier gibt es klare Vorstellungen wie ein Spieler zu sein hat. Es geht also nicht nur um „schwul“ oder „normal“ (!) sondern um das Männerbild einer Kultur. Warum sich dieses im Fußball gerade so manifestiert hat, bleibt dahingestellt.
Zerstören
„Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte. Die Jugend steht nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widerspricht den Eltern und tyrannisiert die Lehrer.“
Nein, das sagt kein Mittelschullehrer aus Margareten, dem das Burn Out auf die (sorgen)faltige Stirn geschrieben steht und auch nicht die Oma, wenn sie wieder einmal zur Kaffeejause kommt und die Enkelkinder frech werden. Autor dieses Zitates ist der Philosoph Sokrates (469 v. Chr. – 399 v. Chr.). Freche Jugend, entsetzte Eltern: Gesetzlichkeiten der Natur, die wohl nie aussterben werden. Die Jugend rebelliert zuhause und in der Öffentlichkeit. Wer denkt, dass gewalttätige Sportfans ein Novum der jüngeren Geschichte sind, der irrt gewaltig. Zu den Lebzeiten des oben zitierten griechischen Denkers randalierten bereits betrunkene Zuschauer im Stadion von Delphi. Auch die römischen Kaiser boten dem Volk Brot und Spiele, ob dass es seine Emotionen bei Sportveranstaltungen herausließe und nicht auf die Idee käme gegen die Obrigkeiten zu rebellieren. Das Amphitheater in Pompeji musste Kaiser Nero sogar schließen als Zuschauerkrawalle überhandnahmen. Ausschreitungen bei Sportveranstaltungen waren damals wie heute an der Tagesordnung.
Vandalismus und Pöbelei entstehen nicht aus dem Nichts. Beim gesitteten Roland-Garros-Turnier in Paris werden die Tennisfans selten untereinander handgreiflich. Attacken von Fußballhooligans an anderen Menschen, wie jener skandalöse Angriff auf den französischen Gendarm Daniel Nivel im Juni 1998, kommen dagegen öfters vor.
„Der Fußball ist nicht ganz unbeteiligt an den Exzessen, die um ihn herum passieren. In seiner Natur liegt auch eine zerstörerische Kraft […].“, urteilt der Soziologe Gunther Gebauer.
Zur Ausübung des Fußballes ist eine gewisse Gewalt von Nöten. „Aggressiv spielen“, „angreifen“, „hart sein“ sind übliches Fachvokabular. Abgesehen von taktischen Foulspielen oder Tätlichkeiten, die eigentlich verboten sind, beinhaltet schon die regelkonforme Ausübung des Ballsportes ein Potenzial an körperlicher Gewalt: Der Gegner darf/soll/muss attackiert werden.
Schon alleine die Behandlung des Spielgerätes („treten“) zeigt, dass es im Fußball um eine hohe Dosis an Körperlichkeit geht. Hand in Hand mit dieser Brachialgewalt geht aber eine hohe Kunstfertigkeit. Virtuos und mit viel Gefühl muss der Spieler auch bei hartgeschossenen Bällen zu Werke gehen. Die natürliche Körperkraft wird zivilisiert und in ihre Schranken getrieben. Ganz wegsperren kann man sie aber nicht.
„Für Rugby- oder Box-Zuschauer gibt es keinen Grund nach den Veranstaltungen weiterzumachen. Sie haben genug Gewalt gesehen. Die Leute gehen vergnügt nachhause, beim Fußball ist das nicht immer so.“, erklärt Gebauer.
Hooliganismus wachse durch das Fußballspiel erst. Das Anfeuern der Mannschaft und die Emotionen während des Spieles seien die Initialzündung für die nachher stattfindende Gewalt, bei der es dann grundsätzlich keine Regeln gibt. So erklärt Gebauer Fußballkrawalle.
Die westliche Gesellschaft schränkt körperliche Gewalt in der Öffentlichkeit immer mehr ein. Selbstkontrolle und die gesellschaftlichen Folgen nach einer Gewalttat führen dazu, dass die Menschen sehr sensibel gegenüber jeglicher körperlicher Züchtigung sind. Nur so ist ein Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum möglich. In England vertrieb man Fußballschläger durch hohe Eintrittspreise aus den Stadien. Videoüberwachung und die „Hooligandatenbank“ helfen im Kampf gegen Gewalttäter. Doch auslöschen kann man das Phänomen nicht.
„Die Gewalt hat sich in innere Zwänge verwandelt.“ Zwänge, die manchmal ausbrechen. Ausgelebt werden Brutalofantasien auf der Insel beispielsweise nun in den unteren Spielklassen. Für Gebauer steht im Hooliganismus und im Fußball primär Männlichkeit im Vordergrund. „Ebenso wie den Spielern geht es den Hooligans um die körperliche Konfrontation mit männlicher Härte. Beide suchen die totale Erschöpfung.“ Das ist also des Pudels Kern: Männlichkeit.
„Die Leute leben ihre Spannungen in Nischen aus, in Reservaten der Männlichkeit. Es gibt diejenigen, die sich besaufen oder Drogen nehmen. Es gibt Autobahnraser, die Unfälle verursachen.“ Abgesehen von den illegalen Fußballschlägern, sind also auch die Spieler selbst diejenigen, die den Mainstream der Zivilisierung „sprengen“. Sport als legale Form der Gemütsstabilisierung. Ritualisiert und intern geregelt. Krieg und Sport liegen eng zusammen und sind geschichtlich miteinander verbunden. Seit der Antike bestehen Kämpfe auf Leben und Tod aus denen sich die modernen Formen des Sportes gebildet haben.
Die FIFA und die UEFA versuchen die Gewalt auf und neben dem Platz durch Verschärfungen zurückzudrängen. Doch Kontrolle ist nicht alles. Selbst allumfassende Videoüberwachung schützt nicht vor subtilen Ausprägungen der Gewalt in Form von Beleidigungen und Provokationen. Gebauer prophezeit dem Fußball „feinere und wenig sichtbarere Formen der Gewalt.“
Weiß, männlich und heterosexuell
Den Kampf gegen Rassismus hat der Weltfußball schon lange aufgenommen. „Bunte“ Nationalmannschaften sind heute überall zu finden. Der größte Erfolg war aber wohl die Sensibilisierung der Fanszene. Das hat lange gedauert. „Schwarze Sau“ wird heute vielfach nicht mehr gebilligt, „schwule Sau“ wird hingegen (noch) toleriert.
2007 sagte die ehemalige Bundesliga-Spielerin Tanja Walther-Ahrens in einem Interview auf die Frage, ob es der European Gay & Lesbian Sport Federation an einem/einer Botschafter/in fehlt: „Wir haben einige Wunschkandidaten. Wenn die sich outen würden, könnte uns das sehr helfen. David Beckham hat seine weiblichen Eigenschaften ja offen zur Schau gestellt. Viele haben gesehen, dass es egal ist, was er macht. Er kann trotzdem gut Fußballspielen. Beckham hätte es als Homosexueller einfacher. Er genießt ein sehr hohes Ansehen. Er würde nicht so viel abbekommen wie ein mittelmäßiger Spieler. Er würde uns sehr helfen, um das Klima aufzulockern.“
Im selben Gespräch möchte die Ex-Profifußballerin den DFB für eine langfristige Partnerschaft gewinnen: „Wenn uns der größte Sportverband der Welt unterstützen würde, wäre das sicherlich ein gutes Beispiel für viele kleinere Verbände in Europa.“ Jetzt 2014 soll der geoutete Hitzlsperger dem deutschen Fußballbund eventuell als Berater dienen. „Hitz“ hat es nicht einfach, er wurde das Gesicht des anonymen homosexuellen Kickers: Ein Schwulen-Promi. Dieses Image klebt nun am 31-jährigen.
Wie schwer es ist Homophobie aus den Stadien zu bekommen, sah Walther-Ahrens schon vor sieben Jahren ein: „Wenn der DFB jeden Vorfall bestrafen würde, könnte er wahrscheinlich alle Stadien schließen.“
Doch steckt hinter jeder objektiv homophoben oder rassistischen Beschimpfung tatsächlich eine (subjektive) Meinung. Oder ist es nicht vielfach einfach vorurteilsbehaftetes „Gemaule“. Musste sich ein Ivica Vastic einst „Jugo“-Rufe gefallen lassen, wird ein Steffen Hofmann heute als „Schrumpfgermane“ oder „Piefke-Sau“ tituliert. Wirkliche Reaktionen gibt es auf solche Beschimpfungen nicht. Wenn der Fußballgott aus Hütteldorf nun ebenda geboren wäre und gegnerische Fans ihn nur als „Zwerg“ beschimpfen würden, würde dies wohl ebenso sozial akzeptiert werden. Die Hemmschwelle bezüglich Vulgaritäten und Unfreundlichkeiten ist im Fußball eindeutig niedrig.
Tatsache ist, dass man überall im Falle einer Beleidigung stets vorrangige Eigenschaften einer Person „in den Dreck zieht“: Das Geschlecht, körperliche Eigenschaften oder eben die Herkunft bzw. die sexuelle Orientierung. Inwiefern dies einfach pauschal ungerecht oder bewusst rassistisch, chauvinistisch bzw. homophob ist, bleibt dahingestellt.
Mit einem wütenden Aufschrei quittierten einige meiner Klassenkameraden meine vor Jahren im gymnasialen Unterricht kundgetane Behauptung, dass rechte Parolen und Gewaltaktionen weniger hirn- als mehr rückenmarkgesteuert seien. Damals meinte ich, dass Beschimpfungen und manifeste Gewalt im Konnex mit Fußball oftmals leere Provokationen sein würden. Mit „rechts“ kann man jede Demokratie treffen und Leute die provozieren wollen, bedienen sich gerne dieser Symbolik. Die Massendynamik des Pöbels, der nur auf Krawall aus ist, ist stark. Ich möchte nicht ausschließen, dass es (leider) auch jede Menge Überzeugungstäter unter den sogenannten Fußballfans gibt, die den Ballsport für Propaganda missbrauchen. Allerdings denke ich auch nicht, dass jegliche Ausschreitungen in der Wiener Innenstadt anlässlich der Demonstration gegen den Akademikerball in der Hofburg nur von überzeugten Linksextremisten verübt wurden. „Berufskrawallmacher“ gibt es auf beiden Seiten zuhauf. In den Lebenserinnerungen eines ausgestiegenen Neonazis, die ich vor einigen Jahren gelesen habe, wurde ein „Kamerad“ beschrieben, der, wenn es ihm auf der „eigenen Seite“ zu langweilig wurde, gerne vermummt mit Autonomen Steine gegen die anrückende Polizei warf. Mit wahrer Gesinnung haben solche Anarchisten nichts am Hut. Auch beim Fußball nicht.
Ist also homophobe, sexistische und rassistische Jauche tatsächlich immer Überzeugungsarbeit? Könnte eigentlich egal sein, denn Worte haben eine Bedeutung, die ausgelöst wird, auch wenn man es „nicht so meint.“ Für den Umgang mit solchen Phänomenen ist die Forschung nach Ursachen jedoch relevant.
Der letzte Mohikaner
Laut Professor Gebauer ist der Fußball also eine der letzten „Männerdomänen“: Ein Ort, wo klar vorgegeben wird, wie ein Mann zu sein hat. Noch einmal muss der Vergleich mit der Neonaziszene gezogen werden, denn auch hier gibt es eine eindeutige Vorstellung, wie ein Mitglied zu sein hat. „Der Kampf gegen Schwule ist nicht unbedingt ein Kampf gegen Männer, die mit Männern ins Bett gehen. Sondern ein Kampf gegen Unmännlichkeit, ein Kampf gegen Schwächen.“, sagt ein Skinhead in Rosa von Praunheims Dokumentation „Männer, Helden, schwule Nazis“. Vielleicht ist das in der Fußballkultur gleich. Ums Privatleben geht’s gar nicht und was in den Betten der Platzhelden passiert, interessiert (männliche) Fans nicht. Schöne Aktionen und zahlreiche Siege sind das erklärte Ziel. Sind diese nur mit einem „richtigen“ Mann möglich?
In einer Gesellschaft, die immer mehr zu einer unisexuellen Masse verschwimmt, gibt es zahlreiche Gegenströme die Geschlechterrollen und –bilder neu definieren wollen. Besonders jungen Burschen fällt das Hineinfinden in ihre Rolle als Mann immer schwerer. „Ich hab‘ es ab und zu erlebt, als es darum ging, einen schwachen Pass zu umschreiben. Da sagte man ganz gerne mal „ein schwuler Pass.“ Man denkt schwul sei weich, schwach und das traf auf mich nicht zu, weil ich war bekannt für einen harten Schuss, ein gutes Passspiel. Und deshalb ist es ein klarer Widerspruch über den ich im Nachhinein aber fast immer schmunzeln konnte.“, erzählt Thomas Hitzlsperger.
Also doch: Die Männlichkeit steht auf dem Spiel. Wenn man den Vergleich mit dem jungen Skinhead weiterführen will, muss man nur dessen folgende Aussage heranziehen: „Ich hab dort erlebt (in der Neonaziszene, Anm.), dass, wenn man einen gewissen Stand hat bei den Leuten, dass es (das Schwulsein, Anm.) dann eher akzeptiert wird.“
Ein Vorurteil wird bedient: Der Schwule sei schwach und könne den Anforderungen eines Profibetriebes nicht gerecht werden.
Homoerotik – die keine ist
Männer, die sich umarmen, sind im Fußball normal. Jubeltrauben, abklatschen, Körperkontakt. Formen der Zuneigung, die sozial akzeptiert sind. Der Klaps auf den Hintern bei der Auswechslung gehört ebenfalls zum Standardprogramm. Eine Geste, die keinerlei sexuelle Bedeutung hat. Vielmehr dient der Fußball auch hier als Rückzugsraum: Männern wird in einer patriarchalen Gesellschaft das Ausleben von Emotionen wenig zugestanden. Im Fußball sind diese Auswüchse Kameradschaftsideal zur Rottenbildung.
Corny Littmann, von 2003 bis 2007 Präsident des FC St. Pauli, empfindet die „Gefahr“, die für offen schwule Fußballer von den Rängen kommt, als die Geringste: „Bei den Mitspielern fängt das Problem an. Eine Fußballelf besteht aus Männern verschiedener Nationalität, aus Männern mit verschiedenen kulturellen Hintergründen. Und manch Kroate oder Serbe sieht das mit der Homosexualität nun mal anders als der liberale Westeuropäer.“
Markus Urban wurde nach seinem Outing von seinen ehemaligen Mitspielern bald gefragt, ob er sie unter der Dusche begehrlich betrachtet hätte. Urban gab in einem Interview die erotische Komponente des engen Kontaktes zu, versicherte aber auch: „Anderseits machen Fußballer ihren Job, und wenn sie den professionell ausüben, schalten sie eine private Ebene aus. Gerade Profis, die schon länger im Geschäft sind, haben genug Erfahrung, um damit umzugehen.“
Urban versteht die Angst, die manche Spieler haben könnten: „Will der jetzt was von mir?“ Wenn Homosexualität aber in und außerhalb der Kabine offen diskutiert würde, würden sich solche Unsicherheiten bald legen.
Ende der Märchenstunde
Der Sportjournalist Ronny Blaschke sieht vor allem die Arbeit der Medien und Vereine als Knackpunkt an: „Medien müssten wiederum moderater berichten und weniger auf Glorifizierung, Heldenkult und Männlichkeit Wert legen. Fans und Spieler werden in der Jugend sozialisiert. Da sind ab dem Kindesalter 20 Männer in der Kabine. Dort gilt das Gesetz des Stärkeren, das erzieht nicht zu demokratischem Denken, wo alle willkommen sind und mitdiskutieren dürfen. Hier muss für Aufklärung gesorgt werden.“
Die Hierarchie in der Kabine muss verflachen, doch wird das nicht denselben Effekt auf dem Spielfeld mit sich bringen? Im Wesentlichen ist der Fußball auch den gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen, langsam aber doch verschieben sich seine Werte. Der Tabubruch Homosexualität wird diesen Prozess bestimmt beschleunigen. Männlichkeit und Weiblichkeit werden neu definiert: „Männlich und schwul“ war nie ein Widerspruch, sondern wurde nur zu einem gemacht. Eine Demokratisierung der Mannschaft muss nichts Schlechtes bedeuten, klar zugewiesene Aufgaben beugen Kompetenzkonflikt so oder so vor. Die Fußballmannschaften der Zukunft sind zusammengewürfelt aus unterschiedlichsten Individuen, die zu ihrer Einzigartigkeit hoffentlich auch stehen können. Diversitäten wie an der Bar: Süß, sauer, cremig und fruchtig. So schmeckt’s.
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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