Transferverbote für Real und Atlético: Wie sinnvoll ist Artikel 19?
Gesellschaft & Ethik 15.Januar.2016 Stefan Karger 0
Die beiden Spitzenvereine aus Madrid, Real und Atlético, dürfen in den beiden kommenden Transferperioden keine neuen Spieler registrieren. Zusätzlich muss Atlético umgerechnet 822.000 Euro und Real 330.000 Euro an Strafzahlungen leisten. Diese Auflagen gelten im Moment ab der kommenden Transferperiode im Sommer, was bedeutet, dass die Vereine zumindest im aktuellen Winter-Transferfenster nach Belieben Spieler verpflichten und registrieren können. Die FIFA bestrafte die beiden spanischen Klubs, weil sie in den vergangenen Jahren gegen die Regeln bei internationalen Transfers von Spielern unter 18 Jahren verstießen. Wir gehen in diesem Beitrag der Frage nach, welche rechtlichen Möglichkeiten die beiden Vereine ausschöpfen können und wie sinnvoll der Artikel 19 wirklich ist?
Ein spezielles “Transferverbot“
Eines vorweg: Da die Bezeichnung Transferverbot ein wenig irreführend ist, möchten wir euch darauf hinweisen, dass die betroffenen Vereine sehr wohl Spieler unter Vertrag nehmen können, diese aber nicht registrieren dürfen. Der FC Barcelona verpflichtete im Juli 2015 Arda Turan und Aleix Vidal während der “Transfersperre“, konnte die beiden Fußballer allerdings erst am 4. Januar 2016 registrieren. Real und Atlético könnten also durchaus am Transfermarkt aktiv werden, jedoch ihre Neuzugänge erst nach dem Ablauf der Sperre einsetzen.
Artikel 19: Schutz Minderjähriger
Das FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern enthält im Artikel 19 Regeln, die Fußballer unter 18 Jahren schützen sollen. Die beiden Vereine sollen gegen diese Vorschriften verstoßen haben.
Ein Spieler darf prinzipiell nur dann in ein anderes Land wechseln, wenn er über 18 Jahre alt ist. Es gibt jedoch drei Ausnahmen:
1.) Wenn die Eltern aus beruflichen Gründen, die nichts mit dem Fußballsport zu tun haben in das Land wechseln, in das der Spieler transferiert wird und dort auch ihren Wohnsitz haben.
2.) Der Wechsel findet innerhalb der Europäischen Union statt. In diesem Fall beträgt das Mindestalter 16 Jahre, wenn der Verein dafür sorgt, dass das Training des Spielers den höchsten internationalen Standards entspricht, der Spieler eine gute Ausbildung bekommt, die es ihm ermöglicht, nach seiner Karriere eine Tätigkeit abseits des Fußballs auszuüben und der Jugendliche während seines Aufenthalts eine optimale Wohnsituation vorfindet, beispielsweise bei einer Gastfamilie.
3.) Ein Transfer eines Jugendlichen ist zudem auch möglich, wenn der Spieler höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze des benachbarten Verbands entfernt wohnt, bei dem sich der Spieler registrieren möchte und gleichzeitig der Sitz des aufnehmenden Vereins nicht mehr als 100 Kilometer entfernt ist.
In den Fußstapfen des FC Barcelona
Auch der FC Barcelona verstieß gegen diese Bestimmungen und es ist zu erwarten, dass Real und Atlético ähnlich vorgehen werden wie die Katalanen. Sehen wir uns die Chronologie der Ereignisse nach dem Ausspruch der Transfersperre an:
Am 2. April 2014 wurde die Strafe von der FIFA ausgesprochen. Der FC Barcelona ging genau drei Wochen danach gegen die Entscheidung der FIFA in Berufung, woraufhin der Weltfußballverband die Strafe bis zur Entscheidung über das Berufungsverfahren aufhob. Dies dauerte in die Sommertransferzeit hinein, denn der Weltfußballverband lehnte erst am 20. August 2014 die Berufung ab. Die Katalanen gingen zudem vor den internationalen Sportgerichtshof, der erst am 30. Dezember 2014 das Urteil der FIFA bestätigte.
Es dauerte also insgesamt fast neun Monate bis das Urteil endgültig bestätigt wurde – eine schwere Geburt.
Die Frage aller Fragen: Werden die Berufungen eine aufschiebende Wirkung haben?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Real und Atlético dieses Urteil anfechten werden. Der FC Barcelona erwischte jedoch den besseren Zeitpunkt für eine Strafe. Diese wurde nämlich Anfang April ausgesprochen und da die FIFA der Beschwerde eine aufschiebende Wirkung bescheinigte, konnten die Katalanen in der Sommertransferperiode ihre Geschäfte erledigen und am Transfermarkt aktiv werden.
Der FC Barcelona verpflichtete unter anderem Luis Suarez, Ivan Rakitic und Marc-André ter Stegen und wappnete sich so für die sportliche Zukunft. Selbst wenn den etwaigen Beschwerden der Madrider Vereine eine aufschiebende Wirkung von der FIFA eingeräumt wird, dürfte die Entscheidung vor dem Transferfenster im Sommer fallen. Bleibt also noch der Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof.
Anfechtung beim Internationalen Sportgerichtshof
Nach einem Anruf in der Schweiz wurde uns vom Internationalen Sportgerichtshof bestätigt, dass ein Berufungsverfahren dort keineswegs automatisch eine aufschiebende Wirkung nach sich zieht, sondern dass die Klubs diese extra beantragen müssen. Es ist nicht selbstverständlich, dass das Schiedsgericht diesem Wunsch nachkommen wird. In diesem Fall hätten Real und Atlético voraussichtlich nur im jetzigen Transferfenster Zeit ihre Wunschspieler zu verpflichten. Sollte Real Madrid kommenden Sommer jedoch auf Einkaufstour gehen dürfen, dann kann man wohl mit dem einen oder anderen Rekordtransfer rechnen.
Remember Bassirou Dembélé
Der Artikel 19 soll zum Schutz von Jugendlichen dienen, die ihr Heimatland und damit oft ihre Familie verlassen, um ihrem Traumberuf nachzugehen. Es liegt auf der Hand, dass es Regelungen geben muss, damit junge Fußballer nicht von dubiosen Spielerberatern ausgenutzt werden und bei einem Verein landen, der die Ausbildungskriterien und einen gewissen Lebensstandard der Jugendlichen nicht gewährleisten kann. Oftmals hörte man in der Vergangenheit von Spielern, die am Ende ohne Reisepass und Geld in einem fremden Land festsaßen, auf sich alleine gestellt waren und nicht einmal die finanziellen Mitteln hatten, um in ihre Heimat zurückzukehren. Die Geschichte von Bassirou Dembélé sei euch ans Herz gelegt, der sich eine Zeitlang in Prag als Flyer-Verteiler durschlagen musste, bevor er es mit Hilfe eines neuen Managers zurück in sein Heimatland Mali schaffte.
Schutz vor der perfekten Ausbildung?
Es ist jedoch nur schwer begreiflich, weshalb junge Talente nicht zu Vereinen wechseln dürfen, die in jeder Hinsicht eine Top-Ausbildung garantieren können. Wenn ein 17-Jähriger, der außerhalb einer EU-Nation beheimatet ist, nicht in die Nachwuchsakademien des FC Barcelona oder Real Madrids wechseln darf, stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich zu seinem Schutz geschieht, oder ob möglicher Weise sein Traum zerstört wird. Der Artikel 19 ist in seiner jetzigen Form nur schwer zu rechtfertigen. Bestimmungen, die die höchsten Standards garantieren, sowie regelmäßige Kontrollen wären wohl zielführender.
Sängerknaben könnten zusperren
Bereits im Jahr 2012 verwiesen wir auf den Internetauftritt der Wiener Sängerknaben, der stolz die Herkunftsländer der Gesangstalente aufzählt. Dieser Text ist nach wie vor unverändert auf der Homepage ersichtlich:
„Im Chor der Wiener Sängerknaben singen Kinder aus vielen Ländern. Die meisten Knaben sind aus Österreich; andere kamen und kommen aus Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Irland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Polen, Rumänien, Russland, der Schweiz, aus Serbien, der Slowakei, aus Slowenien, Tschechien, aus der Türkei und aus Ungarn. Wieder andere kommen aus Australien, Indien, Japan, Kanada, Kasachstan, Korea, Malaysia, Mexiko oder den Vereinigten Staaten. Der Sängerknabe mit dem weitesten Heimweg kommt derzeit aus Neuseeland. Die Internationalität hat historische Wurzeln: Schon im 15. und 16. Jahrhundert kamen Kinder aus den Niederlanden, aus Frankreich oder Italien zum Singen an den Wiener Hof.“
In anderen Bereichen ist es also nach wie vor üblich ist, dass Kinder zu Ausbildungszwecken ihr Umfeld verlassen. Es sei hier nochmal angemerkt, dass die Schützlinge der Wiener Sängerknaben zwischen 9 und 14 Jahre alt sind, also wesentlich jünger als die Spieler sind, die die FIFA schützen möchte. Die Leiterin eines Schweizer Elite-Internats sagte gegenüber dem Spiegel: „Unsere 250 Schüler kommen aus 35 Ländern.“
Eltern der betroffenen Jugendlichen verlangen Reform
Inzwischen formieren sich auch die Eltern der betroffenen Jugendlichen und starten Kampagnen, die eine Überarbeitung des Artikels 19 fordern. Der 15-jährige US-Nachwuchs-Nationalmannschaftsspieler Ben Lederman zog gemeinsam mit seinen Eltern nach Barcelona, um in der Nachwuchsakademie des Vereins zu spielen. Während sein Bruder in der Basketballabteilung der Katalanen ohne Probleme seine Ausbildung erhielt, durfte Ben keine Partien bestreiten. Sein Vater gab der New York Times ein Interview: „Der Basketballer, der geht jeden Tag zum Training, lernt von seinen Trainern, spielt alle Spiele. Und der Fußballer? Der sitzt zu Hause und weint. Sie (Anm.: Die FIFA) bringen meinen Sohn um.“ Ben ist mittlerweile wieder in den USA und hofft, dass er in einigen Jahren zum FC Barcelona zurückkehren kann. Bis es soweit ist, „schützt“ ihn der Artikel 19 vor La Masia.
Stefan Karger, abseits.at
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Stefan Karger
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