„Ihr seid scheiße!“ und „Schwule Sau!“, schreit er. Ein aufgebrachter HSV-Fan pöbelt nach einem mageren 0:0 gegen Hannover 96 im April 2010 die eigene... Was erlauben Spieler! – Wie dürfen sich Fußballer gegen Provokationen wehren?

Fans„Ihr seid scheiße!“ und „Schwule Sau!“, schreit er. Ein aufgebrachter HSV-Fan pöbelt nach einem mageren 0:0 gegen Hannover 96 im April 2010 die eigene Mannschaft an. Für Stürmer Paolo Guerrero ist das zu viel. Er schimpft zurück. Ordner versuchen den Peruaner zurückzuhalten, doch schließlich feuert dieser laut fluchend seine Trinkflasche an den Kopf des „Keppelonkels“. „So darf sich ein Profi nicht gehen lassen.“ und „Das ist Körperverletzung.“, kommentieren Medien den Vorfall. In der Tat: Guerrero warf die Flasche nicht, er schleuderte das Hartplastikteil mit voller Wucht ins Gesicht seines Kontrahenten. Rückendeckung erhielt der Angreifer von seinem Klubkollegen Frank Rost: „Natürlich hat er einen Fehler gemacht, aber er macht das ja nicht grundlos. Da muss man auch damit rechnen als Zuschauer, wenn man sich so äußert. Dass dann vielleicht auch einer was zurückmacht.“ Am Ende setzt es eine Fünf-Spiele-Sperre für den Spieler inklusive Geldstrafen von der Bundesliga und seinem Verein. Rost, der Guerrero die Stange gehalten hatte, ist selbst dafür bekannt seinen Emotionen gerne freien Lauf zu lassen. Der Torwart rechnete rund ein Jahr nach dem „Guerrero-Gate“ mit seinem eigenen Verein in einem Interview ab, schon Jahre zuvor hat er einem Journalisten so richtig die Meinung gesagt: „Ihr quatscht immer nur dusselig rum […] und wir sollen immer schön sachlich bleiben.“

Übliche Verdächtige

Es gibt siebzehn Fußballregeln, jede Menge nationale Querschnittsmaterie bezüglich Lizenzen, Spielordnungen und Wettbewerbsbestimmungen. Dazukommt die ungeschriebene Sitte als Verhaltenskodex für Kicker: Sie sollen kämpfen bis zum Umfallen aber trotzdem Gegner und Spielleiter respektieren, Medienvertretern gegenüber höflich sein und Fans schätzen.

Manchmal gehen mit einem Spieler aber die Pferde durch und er wird verhaltensoriginell: Ob es ein Wutanfall beim Interviewtermin ist oder ein „Tête-à-Tête“ mit einem geifernden Zuschauer. Gewisse Zwischenfälle wurden ebenso zum Kult erhoben, wie die dazugehörigen Kicker: Éric Cantona trat einen Zuschauer mit einem Kung-Fu-Tritt nieder, sein Landsmann Zidane stieß seinen Gegenspieler mit dem Kopf zu Boden. Aber man muss nicht in die Ferne schweifen um Ausfälligkeiten zu finden: In der heimischen Bundesliga rempelte Roland Kirchler im Schicksalsspiel seiner Innsbrucker mehrmals den vierten Schiedsrichter an, Didi Kühbauer teilte verbal aus: Er fühlte sich ungerecht behandelt und nannte die Spielleiter „Kreaturen“.

Dass sich außerordentliche Rivalität und Emotionen nicht einfach durch einen Regelwerk auslöschen lassen, versuchte ich bereits darzustellen. Die Ursachenforschung derselben ist jedoch ein „Alzerl“ leichter, als über den Umgang mit den daraus wurzelnden Aktionen zu debattieren.

Die Frustrationsbewältigung eines Profis läuft vor den Argusaugen der Öffentlichkeit ab und sämtliche Beobachter urteilen danach frei von der Leber. Ein Phänomen ist jedoch zu erkennen: Die archaische Form von Gewalt, die zu sehen ist, wenn ein Spieler ausfällig wird, ist breitenwirksam und verkörpert das Schulbuchlehrbeispiel einer als moralisch-schlecht zu qualifizierenden Handlung. „Pfui, das macht man nicht!“, würde man zu einem kleinen Kind sagen, wenn Kicker hörbar schimpfen oder sich körperlich zu nahe kommen. Scheinheilig. Im modernen Europa läuten bei körperlicher Gewalt oder brachialen Verbalinjurien sämtliche Alarmglocken, andere Formen der Brutalität werden geduldet: Wie nicht-artgerechte Tierhaltung, nur damit das Schnitzel 1,50 € kostet oder Kollateralschäden, wenn im nahen Osten ein Krankenhaus unabsichtlich bombardiert wird. Alles normal, nur der Sport muss sauber sein. Ist er aber nicht, die Aggression tritt nur versteckter hervor: Die Spieler lassen sich aus Angst vor Bestrafung (dank Kameratechnik) auf heikle Situation gar nicht mehr ein, sondern greifen stattdessen zu versteckten Fouls und heimlichen Beschimpfungen.

Außerhalb des Platzes wird von den Kickern eine hohe Frustrationstoleranz erwartet: „Heute muss sich ein Profi sehr viel bieten lassen.“, erklärt Sportphilosoph Gunter Gebauer. Die Popularität des Fußballs hat zu einem Zusammenwachsen zwischen Spielern und Fans geführt. Es geht nicht mehr nur um Fußball sondern um viel Geld. Doch gerade im Freizeitbereich, wo es vermeintlich nur mehr um 90 Minuten Ballspielen geht, verwandelt sich der Fußball oft wieder in jene brutalen Duellen, aus denen sich jeder Sport entwickelt hat: Kampf auf Leben und Tod.

Achtung Amateur!

1999 eskalierte in der Landesliga Niederrhein nach dreizehn gelben und zwei gelb-roten Karten die Situation: Ein Kicker von Vatanspor Mühlheim sowie zwei Fans attackierten den Schiedsrichter und prügelten auf ihn ein. Der Referee kam schwer verletzt ins Krankenhaus. Ein Fall für die Mordkommission Duisburg: Den Tätern wurde schließlich wegen versuchter Tötung der Prozess gemacht.

Gerade im Amateurbereich verlieren sich oft jegliche Hemmungen: Auf den spärlich besuchten Holztribünen wird geflucht, was das Zeug hält und auch die Spieler scheinen jeden Schiri-Pfiff persönlich zu nehmen. Heinrich Schneider kennt die „Gedärme“ des Fußballs: Er leitete als Schiedsrichter Amateur- und Jugendpartien auf abgelegenen Fußballfeldern um Berlin. Einmal zückte ein Spieler ein unter dem Schienbeinschoner verstecktes Messer, ein anderes Mal verfolgte ihn ein Ausgeschlossener auf seinem Heimweg. Weit weg von Sicherheitskräften musste Schneider miterleben, wie sich das Publikum geifernd gegen ihn wandte und ihm Partien zu entgleiten drohten. Wir sprechen hier nicht von Spuckattacken oder rassistischen Schmähungen sondern von Momenten in denen Schneider um sein Leben fürchtete. Amateurspieler nehmen Platzverweise nicht so einfach hin wie Profis. Hier entladen sich die Frustrationen des Alltages am Feld. Es geht um nichts und doch um sehr viel: Ehre.

Amateurfußball ist eine Nische für die Emotionsmüllabfuhr, fehlende Kontrollen führen zu einer größeren Handlungsfreiheit der Akteure, die diese auch ausnützen. In Deutschland setzt man daher jetzt auf harte Strafen: Ein 26-jähriger Hobbykicker wurde 2013 lebenslang gesperrt, nachdem er den Spielleiter beschimpft, geschlagen und in den Rücken getreten hatte. In Bremen wurde ein Torwart für das Würgen des Referees mit anhaltendem Spielverbot belegt. Bei Profis kommen solche Sperren eher selten vor. Massenschlägereien und Attacken gegen Schiedsrichter sind die Ausnahme. Berufssportler geraten mit anderen Aktionen in den Fokus der Öffentlichkeit.

Gesten von gestern

„Internationale Gebärdensprache“ ist wohl eine der leichtesten Methoden des Profispielers seine Ventile zu öffnen: Unzählige Fußballer haben Fans und Gegnern gezeigt, was sie von ihren Schmährufen oder Provokationen halten: Ulf Kirsten, David Beckham, Peter Pacult, Jens Lehmann, Daniel van Buyten, Ottmar Hitzfeld, Cristiano Ronaldo und Bernd Schuster reckten allesamt den Mittelfinger in die Höhe. Angesichts dieser Auswahl fragt man sich beinahe, welcher bekannte Spieler denn nicht schon einmal ausfällig wurde. Den berühmtesten „Fingerzeig“ lieferte Stefan Effenberg: Der Mittelfeldspieler flog nach dieser Geste bei der WM 1994 in den USA alleine nachhause zurück. Man sieht: Die Frustration kanalisiert sich durch das rationale Wissen, man dürfe sich keine Blöße geben, verschwindet aber nicht, sondern verkleinert sich nur. Oben genannte Spieler sind niemandem an die Gurgel gegangen, sondern haben mit einer kleinen Bewegung mit großer Wirkung kommuniziert. Auch ein Tor zu feiern kann vielsagend sein.

„So jubelt man nicht auf dem Platz des Gegners!“, mahnte Peter Schöttel Admiras Ouedraogo im Jahr 2013. Der Afrikaner hatte an der Eckfahne vor der Westtribüne des SK Rapid eine kurze Michael-Jackson-Performance gegeben und wurde anschließend von einem Bierbecher getroffen. Rapid-Trainer Schöttel entschuldigte zwar nicht den Becherwurf, nannte das Verhalten des Stürmers aber „respektlos“.

Jubeln auf dem Platz des Gegners? Im Regelwerk ist klar festgehalten, dass der Torjubel weder provozierend noch verhöhnend sein darf – weder zuhause noch in fremden Stadien. Doch neben einem Heim- und Auswärtstrikot auch zwei verschiedene Arten von Freudentänzen parat zu haben, ist unsinnig. Schöttels Annahme offenbart augenscheinlich einen Mangel der Fähigkeit mit Würde verlieren zu können. Für eindeutige Gebärden gegenüber Gegner oder Publikum gibt es eine, in den Regeln festgeschriebene Handlungsanweisung für den Schiedsrichter. In diesem Fall war Ouedraogos Jubel jedoch nicht einmal im Graubereich, bei dem sich sonst selbst die Fantasielosesten als Kreativlinge erweisen, angesiedelt. Sein Trippeln an der Eckstange war von der harmlosen Sorte, zudem suchte der Spieler keinen Blickkontakt zur Tribüne der eingefleischten Rapidfans. Der Kommentar der „West“: Also überflüssig – im wahrsten Sinne des Wortes. Der Admira-Stürmer ignorierte den Becherwurf und trabte friedlich zum Mittelkreis zurück. So gutmütig verhalten sich nicht alle Spieler.

Dunkelhäutige Kicker wurden und werden weltweit in Stadien mit Affenlauten verhöhnt. Erst im letzten Jahr verschmähten Inter-Fans Tottenhams Adebayor mit „Uh-uh-uh’s“ von der Tribüne. Diese zoologisch-angehauchten Schmähungen sind aufgrund des begangenen historischen Unrechts am schwarzen Kontinent besonders niederträchtig. „Wir haben uns wie Affen im Zoo gefühlt.“, schilderte ein Betroffener seine Situation und die Tatsache, dass er sich nicht wehren konnte. Angezeigt wird nämlich kaum ein Rufer, ein Spieler, der sich zu einer Reaktion hinreißen lässt, muss oft mit Konsequenzen rechnen.

Selbst konservative Sportfreunde gestehen es Zuschauern zu, ihre Emotionen auszuleben: Schreien, ja, aber bitte nicht zu laut. Fluchen, ja, aber bitte nicht zu ordinär. Schimpfen, ja, aber bitte, keinen persönlich beleidigen. Je nach Kenntnissen des Knigges und dem persönlichem Geschmack ist der Zuschauer am Fußballplatz ein freier Mensch. Seine Freiheit wurzelt in seiner Wichtigkeit für den Sport: Der Fan finanziert das ganze „Werk’l“ mit seinem Interesse und bestimmt als Konsument die Nachfrage. Der Spieler hingegen übt seine Arbeit aus und hat neben einem Trainings- und Spielplan, sonstigen Vereinsterminen auch eine besondere Berufsethik zu befolgen: Ein gewisses Maß an Contenance beschneidet sein Recht sich mit dem Konsumenten auf eine Stufe zu stellen und sich mit gleichen Waffen zu wehren. Zudem muss er mit der Tatsache leben, dass Medien aus Mücken Elefanten und aus Spekulationen Tatsachen machen. Offiziell misst die Presse dem Fußball ein hohes Maß an Moral bei, in Wirklichkeit verkaufen sich skandalöse Geschichten einfach nur besser. Wenn diverse Skandale mit der Vorbildfunktion des Sportlers begründet werden, dann meist nur um, wirklich jeden kleinen Ausrutscher verbreiten zu können und damit zu verdienen. Eine einseitige Sichtweise gibt es meist zum Drüberstreuen.

Das ist klassisch!

„Eden Hazard tritt Balljungen.“ – Diese Schlagzeile machte im Januar 2013 die Runde und klang furchtbar brutal und dramatisch. Dass sich besagter Bursche im Ligapokalspiel Chelsea gegen Swansea aber demonstrativ auf das Spielgerät gelegt hatte und dieses Zeitschinden auch noch ein (auf Twitter preisgegebenes) Foul mit Ansage war, schien wenige zu stören. Nach den TV-Bildern zu urteilen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Bursche Hazard absichtlich bei der Beschleunigung des Spieles behinderte und sich nach einem kurzen Gerangel auch noch auf die Kugel fallen ließ um die Fortsetzung des Matches zu verzögern. Hazards reagierte mit einem kurzen Kick gegen den Ball, worauf sich der Bursche schmerzverzerrt den Bauch hielt. Ob er ihn nun getroffen hat oder nicht: Juristisch gesehen kann das Recht auf Notwehr bei Provokation verwirkt werden. Wollte der belgische Teamspieler also tatsächlich (und so sieht es aus) den Ball unter dem Balljungen treffen, kann sich der Junge über ein leichtes Bauchziehen nicht großartig beschweren. Der 17-Jährige hat das (fragwürdige) Fair-Play, welches von jedem Spieler eisern verlangt wird, nicht einmal in seiner Essenz eingehalten. Hazard hat gegen das Regelwerk verstoßen und wurde entsprechend bestraft, aber die moralische Keule darf nicht über ihn erhoben werden. Beiläufig gesagt, entschuldigte sich der mit Rot vom Platz gestellte Offensivspieler auch beim Balljungen. Gewalt ist nicht zu tolerieren und die Handlungsweise des Technikers soll daher nicht verherrlicht werden. Doch eigentlich muss die „Affaire Hazard“ als mahnendes Beispiel dafür, dass sportliches Verhalten im Mindestmaß auch von Fans und nicht von Spielern erwartet wird, in die Fußballgeschichte eingehen.

Éric Cantona erklärte sich selbst zum Richter, als er 1995 einen Zuschauer niedertrat. Der Fan hatte sich mehrmals nationalistisch, rassistisch und aggressiv gebärdet. Selbst der Flaschenwerfer Guerrero handelt aus seiner Sicht verständlich: Er verteidigte sich. Dass Selbstjustiz jedoch der falsche Weg ist, sagen sowohl der Gesetzgeber, als auch die Gesellschaft. Im Fußball gibt es für ein Revanchefoul die rote Karte, in der wirklichen Welt einen Prozess. Der gravierende Unterschied zwischen Gesellschaft und Fußball besteht jedoch in der Tatsache, dass im sportlichen Wettkampf gerne idealisiert wird. Diese Praxis ist bei bestraften Retourvergehen oft gut zu erkennen: Die meisten Fans bedauern eher den „Blödsinn“ zu dem sich ein Kicker ihrer Mannschaft hat hinreißen lassen und verwünschen den eigenen Spieler nicht selten genauso wie die „Krätz‘n“, aus der gegnerischen Mannschaft, die eigentlich angefangen hat. Die Schwächung der eigenen Mannschaft durch einen Ausschluss kann im Fußball ja auch dramatische Folgen haben.

In der Gesellschaft hingegen wird dem Rächer vielfach Applaus gespendet, wie beispielsweise im Fall der Marianne Bachmeier, einer Mutter, die den mutmaßlichen Mörder ihrer kleinen Tochter im Gerichtssaal erschossen hatte.

Dem Kicker wird ein Ideal zu- und menschliches Versagen abgesprochen. Studien beweisen: Starkicker sind Vorbilder. Sie werden aber durch die hohe Popularität des Ballsportes erst dazu gemacht. Ihr hoher Identifikationsfaktor ist Ausfluss der Volksnähe des Kickens und Produkt der Werbung. Lässt man in die Berichterstattung etwas mehr Menschlichkeit einfließen, könnte man diesem Trend entgegensteuern. Der Fokus müsste sich dafür verschieben.

Was erlauben Journalist? – Bekenntnisse des Thomas M.

Nicht nur die Fans, besonders die Medien sind dafür bekannt, genau zu wissen, wie sie neben abgespulten Phrasenschwein-Sätzen kleine und große Aufreger aus ihren Gesprächspartner herausquetschen können: Uli Hoeneß, Jürgen Klopp, Christoph Daum oder Peter Pacult haben sich schon als „Journalisten-Schrecks“ einen Namen gemacht. Thomas Müller sieht die Rolle der Medien pragmatisch: „Davon lebt [sic!] doch auch der Fußball und das Geschäft.“ Grundsätzlich behauptet gut die Hälfte aller Kicker und Fußballfunktionäre keinen Sportteil zu lesen. Journalisten würden eh nur Blödsinn schreiben. Müller hingegen gibt zu, dass es auch ihm als Fußballkonsument Freude bereitet hat, wenn Antworten außerhalb des üblichen, aalglatten Geredes gegeben wurden. „Wenn Uli Hoeneß oder Oliver Kahn nach einer Niederlage eine blöde Frage gestellt bekommen haben und danach dann an die Decke gegangen sind. Das war einfach am Schönsten. […] Du kriegst diese interessanten Aussagen nur, wenn du einfach eine unangenehme möglicherweise auch fiese Frage stellst. […] Das ist einfach unser Geschäft, das gehört genauso dazu. Man muss ja nicht antworten.“ Müller zeigt Verständnis für den modernen Fußballzirkus. Auch beim Konflikt Reporter – Fußballer kann man meist in Aktion und Reaktion unterteilen: Aufgeheizte Profis werden mit süßsauren Worten gepiesackt bis der Deckel vom Topf fliegt. Am Ende ist es dann niemand gewesen, doch wieder steckt Kalkül dahinter: Die Presse inszeniert um ihr Publikum zu befriedigen und auch die Zuseher sehnen sich nach Archaisch-Echtem. Dazu gehören klare Ansagen à la Per „Was wollen Sie jetzt von mir.“ Mertesacker als Teil eines modernen Sportvergnügens.

„Der Mensch ist gut, die Leut‘ sind schlecht.“

Mario Basler wurde es in einem Fan-Talk zu bunt. Er lehnte das Totschlagargument „Die Kicker verdienen eh so gut.“ mit dem Hinweis, die Spieler würden Schmerzensgeld kassieren, ab. Dieser Pathetik erwehrte sich der (weltweit wohl bekanntere) Karl Lagerfeld: „So weh tut’s auch nicht.“, meinte der Modezar. Doch Lagerfeld und sämtliche Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur haben es streckenweise leichter als das „Vorbild Sportler“. Von Rockstars wird geradezu erwartet, dass sie Hotelzimmer zertrümmern und in jeder Stadt mindestens fünf uneheliche Kinder haben. Ebenso erwartet man von Lagerfeld eine gewisse Abgehobenheit und Distanz. Der Kunst ihre Freiheit, eben. Athleten aber sollen Milch trinken, früh ins Bett gehen und mit der Großfamilie im Grünen wohnen – kurz gesagt: Sie müssen ein Priesterleben (bis auf den Nachwuchs) führen. Dass hier nur ein passendes Bild zum idealen (weil durchgeregelten) Sport gezimmert wird, wurde schon weiter oben klar gestellt. Diese Moralisierung ist nicht nur falsch und unnötig, sondern wird auch oft missbraucht. Missbraucht von Menschen, die Verantwortung einfach weiterschieben wollen und ihr eigenes Fehlverhalten so verlagern: Der „No-Name“, der einen bekannten Spieler öffentlich beschimpft, ist durch seine Unbekanntheit geschützt. Spieler XY muss mit seiner Popularität leben und im eigenen Interesse Gleiches nicht mit Gleichem bekämpfen. Es ist absurd, mit dem Finger auf Menschen zu zeigen, die fürs Fußballspielen bezahlt werden und ihnen die Erziehung einer Nation aufzubürden.

Gehälter werden immer erst dann thematisiert, wenn es sportlich nicht gut läuft. Das hat nichts mehr mit einer Vorbildwirkung, sondern mit der Industrialität des Sportes zu tun: Ein geregelter Wettkampf verlangt Maschinen. Doch Fußballer sind keine Vorbilder, sie werden zu ihnen gemacht. Ja, respektvolles Verhalten und Teamwork können auch durch den Fußball gelehrt werden. Im „Geschäft Fußball“ setzt man jedoch andere Prioritäten. Es ist daher scheinheilig, Profifußballer ins pädagogische Licht zu rücken. Respektvoller Umgang und friedfertige Konfliktlösung fangen in der Gesellschaft selbst an. Die Welt beeinflusst den Sport und dieser dient ihr zwar einerseits als utopisches Ideal, an dem man sich zu orientieren hat, doch ist er gleichzeitig auch emotional und wird als Wirtschaftszweig „missbraucht“. Schwierige Bedingungen also um Kicker zu Beispielen zu verklären, daher lassen wir es einfach!

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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